Lichtstrom

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Irgendwie war ich wieder auf diesem Sofa gelandet, das recht am Rande des ganzen Trubels stand, aber auch nicht zu weit davon entfernt, um nicht auch noch interessante Dinge mitzubekommen. Zum Beispiel wie Kenny sich – wahrscheinlich wegen irgendeiner Wette – im Kopfstand die Kante gab, indem er sich mithilfe eines Schlauchs so viel Bier aus einem der Fässer reinpfiff wie möglich. Oder, dass Bebe und Wendy irgendwann anfingen besoffen auf den Tischen zu tanzen.

Das einzige, was mir vielleicht zu denken geben sollte, ist, dass ich mich nicht mehr so recht daran erinnere, wie ich überhaupt wieder hier gelandet bin. Eben waren wir noch in der Küche gewesen, Craig, Clyde, Kevin und ich. Wir hatten uns unterhalten, während ich das Stück Pizza doch irgendwie hinuntergewürgt hatte. Aber ich weiß schon gar nicht mehr, worum es ging, nur noch, dass es ein gutes Gefühl war, Teil einer Gruppe zu sein, die sich wirklich irgendwie für dich zu interessieren schien. Oder die jedenfalls den Anschein danach erweckte. Denn ich bin mir immer noch nicht so wirklich sicher, ob sie sich nicht einfach nur einen bösen Scherz mit mir erlauben und mir morgen mitteilen, dass sie mich wieder aus der Clique schmeißen. Einerseits wäre ich dann natürlich bereits vorbereitet, andererseits weiß ich auch, dass es mich so oder so treffen wird. Wahrscheinlich sehr. Denn es ist so ein gutes Gefühl endlich Freunde zu haben. Wirkliche Freunde. Wobei ich mir da wie gesagt immer noch nicht ganz sicher bin...

Clyde ist betrunken und Betrunkene reden ja immer recht viel Blödsinn, wobei sie auch nicht so gut im Lügen sind. Wieso also sollte er dahingegen geloben haben, dass er mit mir befreundet sein möchte? Kevin schien Clydes Meinung in der Hinsicht zu teilen, wenn ich das richtig eingeschätzt haben sollte. Darin bin ich generell eher mies. Und dann soll ich mir angetrunken auch noch eine Meinung von jemandem bilden? Schwierig. Aber Kevin war schon immer ein recht freundlicher Geselle, wenn man denn nichts gegen Star Wars sagte.
Und dann wäre da noch Craig. Craig, den ich nach wie vor so unglaublich schlecht einschätzen kann, dass es mir in betrunkenem Zustand nicht gerade leichter fällt. Mal ist er so, im nächsten Moment ist er ganz anders. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, was ich darüber denken soll, was er von mir will. Und ihn das alles zu fragen... Wenn ich es mich jetzt nicht mal traue, wo doch Alkohol bekanntlich die Zunge lockerte, wann dann? Aber vielleicht wäre es auch einfach besser es dabei zu belassen. Dass Craig nun einmal so ist, so fürchterlich ungesprächig, undurchsichtig, unberechenbar. Theoretisch konnte man ihm alles zutrauen und dennoch nichts erwarten. Dieses Verhalten...

Ich spüre förmlich, wie mein Gehirn vor Überanstrengung anfängt zu brodeln und zu dampfen...
Vielleicht sollte ich aufhören über Craig nachzudenken, was mir in letzter Zeit wieder unglaublich schwer fällt. Ich weiß noch, damals nach der Grundschule, als er plötzlich nicht mehr mein Freund sein wollte, ohne ersichtlichen Grund. Damals habe ich Stunden damit verbracht über ihn und sein Verhalten nachzudenken. Was ich falsch gemacht habe. Wieso er mich plötzlich so hasst, obwohl ich mir keines Fehlers bewusst war. Damals wäre ich fast wahnsinnig geworden, weil ich es nicht verstanden habe. Und ich verstehe es bis heute nicht. Ich weiß nur noch, dass ich irgendwann nicht mehr daran denken musste, dass die Gedanken einfach aufgehört haben, das Leben musste schließlich irgendwie weiter gehen. Und wenn er nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, sollte er doch... Irgendwann ist es mir egal geworden.
Und jetzt? Geht jetzt alles wieder von vorne los? Ich hoffe nicht... Ich denke nicht, dass ich es noch weiter aushalten würde, wenn Craig erst mein Freund sein möchte und mich dann wieder wegstößt. Diese Gedanken daran, was ich falsch gemacht habe und wieso er so zu mir ist... Ich denke nicht, dass ich das noch ein weiteres Mal ertragen könnte...

Aber bevor ich überhaupt weiter darüber nachdenken kann, werde ich auf einmal von jemandem angesprungen und zucke schrecklich zusammen. „GAH!", schreie ich auf und sehe Clyde mit einem erschrockenen Blick an. Was sollte das denn?!
„Tweekers", flötet er und knuddelt mich ungewohnter Weise einmal herzlich durch. Es ist mir einen Moment sichtlich unangenehm, dass er mir plötzlich so furchtbar nahe kommt, da ich sonst nicht viel mit körperlicher Nähe am Hut habe, andererseits freut es mich doch, dass er mich so gern zu haben scheint, wie er behauptet.
„Ich wollt' dich nich' erschreck'n, sorry", entschuldigt er sich jedoch sogleich und lässt von mir ab, als er meinen erschrockenen Ausdruck sieht.
„Sch-schon gut", nuschle ich verlegen unter mich blickend, frage mich, wo meine geliebte Kaffeetasse ist, aus der ich nun einen Schluck zur Beruhigung trinken könnte. Aber da fällt mir auch sogleich ein, dass Craig mir Kaffee für heute verboten hat. Ich erinnere mich, dass ich ihn mit diesem total entgeisterten Gesichtsausdruck angesehen habe, nachdem er mir das erörtert hatte. Und dann hatte er so etwas wie gelächelt, mir kurz den Kopf getätschelt und mir ein Glas Wasser in die Hand gedrückt. Was sollte man bitte von so einem Verhalten halten, wenn man nicht gerade mein Herz war, das aufgeregt in meiner Brust auf und ab gesprungen war. Muss ich so eine Reaktion meines Körpers auf alles, was er tut, verstehen?
Nein? Okay...

JuliWhere stories live. Discover now