Damon kannte diese Strategie. Sein Vorgesetzter hatte ihn zu sich bestellt, doch nun hieß es, dass es vorher noch wichtige Arbeit gab, die es unbedingt zu machen galt. Nun stand der Kriegsveteran vor der reich verzierten Tür, ohne etwas zu tun. Dies sollte ihn nervös machen. Dafür sorgen, dass er aus der Fassung gerät.
"Wie lange soll das denn noch dauern?", fragte Damon die Angestellte, die am Schreibtisch neben ihm an irgendwelchen Dokumenten arbeitete. Er schätzte, dass sie wohl die Sekretärin des Vorstehers war. Eine Frau so langweilig wie ihr Beruf. Sie sah aus, als hätte sie ihr ganzes Leben in diesem Berufsfeld verbracht und plante, nichts daran zu ändern. Keine großen Ziele, keine Perspektive. Eine Art von Mensch, wie Damon sie hasste.
"Sir, bitte haben sie Geduld. Herr Fors wird gleich Zeit für sie haben", meinte die Sekretärin in einem Ton, der davon zeugte, dass sie sichtlich genervt von Damons musterndem Blick war. Dieser hatte allerdings schon sein Interesse an ihr verloren. Stattdessen betrachtete er die Einrichtung des Raumes. Sie zeugte noch von dem Kampf, der hier vor zwei Monaten stattgefunden hatte. Über Brandflecken wurden simple Teppiche gelegt, vor Löcher in den Wänden Schränke gestellt. An der Wand hinter der Sekretärin, die sich wieder ihrer Arbeit zugenwandt hatte, hing eine Flagge. "Was hat das hier zu Suchen?", zischte Damon.
Die Frau blickte auf und hinter sich, als sie den Grund für Damons Wut suchte. "Was hat eine clairische Flagge hier verloren?", formulierte der seine Frage präziser. "Nimm sie ab!" Er spuckte aus und besudelte so den überraschend staubfreien Boden. Mit einem kalten Blick erwiderte die Sekretärin professionell:"Ich habe keine Berechtigung dazu Sir. Und ich bitte sie, den Boden sauber zu halten."
Damon bereitete sich vor, eine gewaltige Tirade aus Schimpfwörtern und Anschuldigungen abzulassen. Etwas wie "dreckige Vaterlandsverräterin", "respektlose Feindesliebhaberin" und andere, allgemeinere Flüche. Doch bevor er seinem Ärger Luft machen konnte, öffnete sich die große Tür zu seiner Linken. "Ah, Herr Stal. Ich hoffe, dass ich sie nicht zu lange habe warten lassen."
Damons Vorgesetzter! Sofort nahm der Soldat Haltung an. "Keineswegs, Sir!" Er hörte die Sekretärin neben sich ein unidentifizierbares Geräusch machte, als er dies sagte. "Miss Thorns, bitte holen sie uns etwas zu trinken", wurde sie nun angesprochen. "Kein Problem!" Sie klang ungewöhnlich locker im Umfeld ihres Vorgesetzten. Dies war aber nichts, worüber sich Damon viele Gedanken machte, da er schnell in den nächsten Raum hineingewunken wurde.
~~~I~~~
Herr Fors, Damons Vorgesetzter, war ein Mann, dem man seinen militärischen Hintergrund nicht ansehen konnte. Er war schmal, beinahe schmächtig, kein breit gebauter Koloss mit Mohawk wie Damon selbst.
"Setzen sie sich", bat Fors nun mit einem Lächeln an. "Ich stehe lieber." Auf diese Antwort schien der Vorgesetzte unsicher zu sein, ob weiterhin lächeln sollte. "Jedem das seine", meinte er schließlich langsam. Er zögerte und entschloss sich schließlich, nicht lange um das Thema herum zu reden.
"Sergeant Stal, sie haben beachtliche Leistungen im Krieg gegen Clairien gezeigt. Ihre Tapferkeit bei der Schlacht um unsere Hauptstadt waren ohnegleichen und sie haben es geschafft, die feindlichen Nachschubslinien mit ihren Operationen stark zu schädigen. Aber..." Da war es. Dieses "Aber". Dieses verdammte "Aber", das das Ende seiner eigentlich so vielversprechenden Karriere sein könnte. "Wir sind nicht mehr im Krieg. Wir haben eine neue Regierung. Es gibt keinen Grund, ihre feindselige Haltung gegenüber den anderen Reichen einzuhalten."
Als Damon nichts sagte, fuhr Fors fort: "Ihr Verhalten in der nahen Vergangenheit war, ich will es nicht anders sagen, unausstehlich. Ich verstehe, dass sie wütend über das Verlieren des Krieges sind, aber die Zeiten sind vorrüber." Um seinen Punkt zu bekräftigen deutete er auf die Clairische Flagge, die auch hier die Wand zierte. Dann blickte er wieder seinen Gegenüber an und bat ihm eine Gelegenheit zu sprechen.
In diesem braute sich ein Sturm zusammen. Wut stieg hoch, doch trotzdem versuchte er, seine Worte weise zu wählen. "Also soll ich einfach unsere neue Regierung akzeptieren? Die Reformen, diese neue Demokratie?" "Warum würden sie das nicht tun?", fragte Fors mit gerunzelter Stirn. Das war genug. Kein weiteres Wort mehr.
"Ich soll also die neue Regierung akzeptieren? Diese Marionette?" Damon ließ nicht zu, dass sein Vorgesetzter dem widersprach. Er redete einfach weiter, immer schneller und wütender. "Wir werden kontrolliert! Wir alle! Entmilitarisierung, Demokratie! Sehen sie es nicht? Die Clairianer wollen uns schwächen, uns beschämen!" Einen kurzen Moment holte er Luft, was Fors die Chance gab, zu widersprechen. "Das ist doch lächerlich! Gibt es dafür irgendwelche Bew..." "Gucken sie sich um, wenn sie auf die Straße gehen", unterbrach ihn Damon. "Arbeitslose, Soldaten ohne Job, Leute ohne Perspektive. Überall sitzen sie. Jede Straßenecke, jede Bank. Unsere Nation wird schwächer. Wir müssen Waren aus Clairien importieren, weil unsere Industrie in Scherben geschlagen wurde. Und unsere Regierung", er lachte bitter auf, "tut nichts. Kein einziger Erlass."
Damon hatte sich abreagiert. "Sind sie fertig?", fragte Fors erstaunlich ruhig. Als keine Antwort kam, fuhr er fort. "Es macht mich traurig, dass sie so denken, dass sie das neue System einfach nicht akzeptieren können." Der Vorsteher stand von seinem Stuhl auf und blickte aus dem Fenster hinter seinem Schreibtisch. "Wir dürfen leider nicht zulassen, dass jemand wie sie in so hohen Positionen bleibt. Es wäre unverantwortlich für den Staat." Er drehte sich zu Damon, der schon wusste, was jetzt kommen würde. "Es ist die Pflicht der Armee, den Staat und alles, wofür er steht, zu verteidigen. Sie können diesen Pflichten offensichtlich nicht nachkommen." "Beeil dich und brings hinter mich!", knurrte Damon. "Nach dem neuen Entmilitarisierungsgesetz werden sie offiziell von ihrem Dienst entlassen. Geben sie bitte alle staatlichen Besitze an Frau Thorns weiter."
"Verstanden...Sir. Mir ist jetzt bewusst geworden, was euer neues Reich will. Hirnlose, blinde Marionetten." Damit drehte Damon sich um und wäre fast in Frau Thorns gestoßen, die es wohl irgendwann geschafft hatte, geräuschlos durch die Tür zu kommen. Er versuchte, sie zur Seite zu schubsen, wobei sie überraschend viel Widerstand zeigte, da sie sich kein Stück bewegte. Wütend, doch leicht erstaunt blickte er sie an, bevor sie einen Schritt zu Seite machte und den Weg frei machte.
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Nachdem Damon den Raum verlassen hatte, stellte Frau Thornes ein Tablett mit den zwei Getränken auf den Tisch, die eigentlich für Fors und Herrn Stal gedacht gewesen waren. Sie nahm sich eines davon und führte es an ihre Lippen. "Der wird uns noch eine Menge Papierkram einbringen, Samantha", prophezeite der Vorsteher. "Das stimmt", meinte diese. "Ich sollte ein Auge auf ihn behalten."
Auch Herr Fors hatte seine Tasse vom Tablett genommen. "Es ist immer eine Schande, einen guten Soldaten zu verlieren, vor allem in solchen Zeiten", sinnierte er. "Aber Befehle von oben muss man befolgen", erinnerte Samantha Thorns ihn. "Du machst dir zu viele Sorgen, Volker. Ich werde dafür sorgen, dass alles glatt läuft." Volker lächelte. "Wie immer mein Lebensretter..." Er dachte an alte Zeiten. "Alles wird gut laufen, ich weiß, dass du recht hast..." Nach einigen Minuten seufzte er schließlich. "Zurück an die Arbeit."
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Ehrgefühl
FantasyDamon Stal, einem ehemaligen Soldat der Galscopianischen Armee, wird ein verlockendes Angebot gemacht. Er schließt sich einer Truppe zusammengewürfelter Kämpfer an. Sie sollen mächtige magische Artefakte aus den Schatzkammern des Reiches Clairien st...