Härter als Beton

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Ich muss gestehen, jetzt doch ein wenig nervös an meinem ersten Arbeitstag zu sein. Meine neue Chefin hat es sich nicht nehmen lassen, eine kleine Willkommens-Veranstaltung für mich zu organisieren zu der jeder Mitarbeiter eingeladen ist.

Wenn auf meiner alten Arbeit im Krankenhaus jemand neu angefangen hat, hat er einen Schulterklopfer und ein Namensschild bekommen weil wir uns seinen oder ihren Namen die ersten Wochen sowieso nicht merken konnten. Deswegen ist dieser Aufwand jetzt doch ein wenig ungewohnt für mich.

Auch wenn ich den Sinn dahinter durchaus verstehe. Schließlich bin ich in erster Linie als Berater in dieser Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung tätig und habe deswegen mit den meisten Mitarbeitern zu tun. Ich habe mich bewusst für eine derartige Einrichtung entschieden. Die Arbeit als Psychiater im Krankenhaus war interessant und gut bezahlt. Allerdings bestand über die Hälfte meiner Patienten aus Kindern und Jugendlichen aus Wohngruppen eben solcher Einrichtungen. Die Mitarbeiter aus den Heimen waren mit den psychisch belasteten und oft traumatisierten Kindern zum Teil überfordert und da wird es schon helfen, denke ich, wenn ein Psychiater vor Ort ist, den sie bei Unklarheiten fragen können.

„Sie werden sich hier sicher wohlfühlen, Herr Fassbender. Wir alle freuen uns schon, einen so kompetenten und ausgezeichnet ausgebildeten Berater wie Sie zu haben.", reißt Frau Strauß, besagte neue Chefin, mich aus meinen Gedanken. Sie ist eine hochgewachsene Frau, die sich eine jugendliche Ausstrahlung trotz ihrer über fünfzig Jahre erhalten hat. Sie ist schick und geschäftlich gekleidet, hat rote Haare die ihr bis zum Kinn gehen und braune Augen die mich freundlich von oben bis unten betrachten. Trotzdem kann ich hinter ihrer abgeklärten Fassade auch die Anziehung erkennen, die ich offensichtlich auf sie ausübe.

Ich lächle und bedanke mich für ihre Worte, als sie mich auch schon unterbricht und sich den ersten Gästen zuwendet.

„Da kommen ja auch schon die Kollegen.", ruft sie fröhlich aus. Woraufhin die Mitarbeiter ein wenig verdutzt dreinblicken, was mich erahnen lässt, dass die gute Frau Strauß nicht immer so einen herzlichen Umgang pflegt.

Ich trete näher und beginne die ersten Hände zu schütteln. Und danach kommen auch schon die nächsten.

Nach einiger Zeit habe ich das Gefühl, dass Lächeln in meinem Gesicht wäre angetackert. Es schmerzt langsam. Und der Strom scheint nicht abzureißen. Ich erinnere mich vage daran, dass Frau Strauß von über einhundert vierzig Mitarbeitern gesprochen hat. Spätestens jetzt taucht in mir der Wunsch auf, mich zu waschen. So viele Hände die mich angetatscht haben, so viele Gesichter deren Namen ich mir nicht mal ansatzweise gemerkt habe und so viele schlechte Witze, weil es sich wohl schon herumgesprochen hat, dass ich gebürtig aus Irland komme.

Zwischen zwei weiteren Händen lasse ich meinen Blick aus einem der Fenster der großen Halle schweifen in der wir uns befinden. Vor dem Eingang hat sich eine Schlange gebildet und ich sehe weiter hinten noch mehr Leute kommen. Ich atme schicksalsergeben einmal tief durch.

Ich tackere mein Lächeln gerade wieder an Ort und Stelle und will mich den Personen vor mir zuwenden, als mein Kopf zurück nach hinten schnellt. Dort mitten in der Warteschlange steht die Frau aus dem Drogeriemarkt. Sie muss es sein, ich bin mir sicher. Sie wird zwar ein wenig von ihrem Vordermann verdeckt und trägt diesmal einen hohen Zopf, aber ich irre mich ganz sicher nicht.

Der vor mir stehende junge Mann stellt sich schon mal vor, während mein Kopf immer noch von ihm weggedreht ist. Meine Stimmung bessert sich schlagartig. Ich sehe den Mann vor mir an und klopfe ihm sogar freundschaftlich auf die Schulter.

So freudig überrascht bin ich, die Schönheit hier zu sehen. Nicht nur sie hier zu sehen. Sondern auch zu wissen, dass sie hier arbeitet. Eine Kollegin von mir ist, die ich vielleicht öfter mal zu Gesicht bekomme. Auch wenn ich sie nicht anfassen darf, weil sie ja ein Kind und bestimmt einen dazu gehörigen Mann hat, kann ich mir vorstellen, wie es wäre sie zu ficken. Ein Hoch auf die Vorstellungskraft. Was sich schon irgendwie doppeldeutig anhört, wie ich schmunzelnd bemerke.

Point of no returnWhere stories live. Discover now