Schockzustände

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Ich befinde mich im Innern eines Bonbons. Alles ist pink und aus Tüll und tuffig und glitzern. Ungläubig sehe ich mich in der Halle um, in der gleich unsere Weihnachtsfeier stattfinden wird. Es ist scheußlich! Ein schrecklicher Unfall und ich kann nicht wegsehen.

Wer auch immer das verbrochen hat, kann sich darauf einstellen, dass ich ihm vor die Füße kotze. Mit Geschmack hat das ganze hier so gar nichts zu tun.

Um die Stühle sind weiße Hüllen gezogen und pinkfarbene Schleifen aus Tüll gebunden. Der Rest ist rosa. Die Tischdecken, die Servietten, die Blumen. Selbst die beschissenen Pralinen, die auf den Tischen ausliegen, sehen aus wie von einem Bonbon gekackt.

Ich überlege ob ich Karen nicht schreiben soll, dass sie ihren Kosmetikabend ruhig verschieben kann, weil ich doch nicht lange bleiben werde. Sie ist erst seit ein paar Tagen aus Tokio zurück und bevor ich hier an einem Zuckerschock sterbe, kann ich lieber zu ihr fahren. Sie fehlt mir sowieso, und wir müssen so einiges nachholen, was wir die letzten Wochen verpasst haben als wir getrennt waren.

Gut, von den drei Rothaarigen in Berlin werde ich ihr natürlich nichts erzählen. Ich möchte ja auch nicht wissen, wen sie so flachlegt. Trotzdem war das Wochenende bei Thorben einfach legendär, wie es dieser eine Typ in dieser einen Serie immer sagt. Zwei Rothaarige, habe ich gleichzeitig und noch am selben Abend als ich in Berlin ankam, abgeschleppt. Die Andere, habe ich kurz vor meiner Abfahrt getroffen und leider, war sie auch nicht von Natur aus rothaarig. Allerdings, ist mir das, bevor ich einen Blick in ihr Höschen geworfen habe, nicht aufgefallen.

Alles in allem war der Kurztrip in meine alte Heimat eine willkommene Abwechslung und Ablenkung die ich bitter nötig hatte.

Unter anderem Ablenkung von der Person, die soeben den Saal betritt. Und wie zu erwarten sieht sie betörend aus. Miststück. Miststück. Miststück.

Sie trägt ein bodenlanges, grauschimmerndes Kleid. Es ist bis zu ihrem Nacken hochgeschlossen, aus Seide und enganliegend, bis es sich von ihrer Hüfte abwärts in einem immer weiter werdenden Fluss bis zum Boden ergießt. Geschwungene, schwarze Muster sind darauf gestickt und so über dem Kleid verteilt, dass ihre atemberaubenden Kurven noch mehr zur Geltung kommen. Ihre Haare sind so drapiert, dass sie über eine Schulter liegen und locken sich zu den Spitzen hin ein wenig. Sie hat ihre Augen schwarz geschminkt. Karen würde es Smokey-Eyes nennen, aber ich bin ja keine Tussi. Ihr Mund ist in einem sanften Rose' geschminkt. Ok, jetzt höre ich mich doch wie 'ne Tussi an.

Ich sehe, dass ihr fast die Augen aus dem Kopf fallen, als sie sich das Verbrechen in diesem Saal ansieht und scheinbar zum selben Urteil kommt wie ich. Als sich unsere Blicke begegnen, formt sie mit ihren Lippen ein tonloses „Was ist das?" und ich zucke lachend mit den Schultern.

Dann begutachtet sie mich ganz demonstrativ von oben nach unten und hebt anerkennend einen Daumen in die Höhe. Ich kann ihr die ernsthafte Bewunderung im Gesicht ablesen. Ich mache eine wegwerfende Handbewegung. Keine große Sache, Babe. Ich weiß allerdings, dass ich gut aussehe. Natürlich nicht nur heute, sondern immer. Aber heute eben ganz besonders.

Mein Nadelstreifenanzug ist dunkelblau und maßgeschneidert. Die Hose sitzt mir auf den Hüften, das Hemd ist enganliegend und mein Jacket sportlich. Ich bin heiß. Aber nicht heißer als sie. Obwohl sie mir in Alltagskleidung zugegebenermaßen sogar noch besser gefällt. Wenn sie sich nicht anstrengt, sondern einfach hinreißend aussieht, weil sie es ist. Als ich Kiran in der Wohngruppe besucht habe und sie beim Putzen gestört habe, diese Theresa hat sich in meine Netzhaut eingebrannt. Unlöschbar. Ich sehe sie in meinen Träumen. Sie spielt darin keine Hauptrolle. Nie. Aber sie steht an irgendeiner Hausecke oder ich gehe an ihr in einer Menschenmasse vorbei oder sie ist auf einer Zeitschrift die Karen liest.

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⏰ Last updated: Dec 13, 2017 ⏰

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