Rosa Lippen

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Theresa kommt mit einem Jungen im Schlepptau zurück, bei dem ich mir denke, dass es Kiran ist. Als sie vor dem Esszimmertisch stehen bleibt, bleibt auch er stehen. Ein wenig versetzt hinter ihr, wodurch ich ihn nicht mehr ganz sehen kann.

Sie blickt hinter sich, verdreht schmunzelnd die Augen und zieht den Jungen vor sich.

„Kiran.", spricht sie ihn an. „Das ist Herr Fassbender. Wir haben ja schon besprochen, dass er dich gerne Kennenlernen würde."

Dann sieht sie mich an.

„Herr Fassbender, das ist Kiran. Der freundliche Junge den sie gerne kennenlernen wollen."

Beim Stichwort 'freundlicher Junge' streckt er mir wie mechanisch seine Hand entgegen die ich ergreife und schüttele.

„Hallo, Kiran. Nenn' mich doch Michael. Das macht es einfacher.", biete ich ihm an während ich lächle. Außerdem gaukelt es ihm eine vertrautere Ebene zwischen uns beiden vor. Aber das muss ich ihm ja nicht sagen.

„Hallo. Ich bleibe lieber beim 'Sie'.", antwortet er mir und ich kann keinen Funken Freundlichkeit in seinen Zügen erkennen. Genauer gesagt, kann ich überhaupt keine Gefühlsregung in ihm erkennen. Mir wird klar, dass die Begutachtung dieses Jungen nicht einfach werden wird.

„Wenn du dich damit wohler fühlst, ist das überhaupt kein Problem.", versichere ich ihm.

Theresa setzt sich wieder mir gegenüber und wendet sich an Kiran.

„Setz dich doch. Ich hab dir heißes Wasser gemacht, so wie du es magst."

Plötzlich kann ich Zuneigung in seinem Blick erkennen als er Theresa ansieht und auf sie zu geht um sich neben sie zu setzen. Offensichtlich ist seine Gefühlsarmut von Theresa bereits aufgebrochen worden. Sie schenkt ihm heißes Wasser ein und stellt die dampfende Tasse vor ihn.

„Danke.", murmelt er. Als er sie kurz von der Seite betrachtet, erkenne ich, dass sie ihm wichtig ist. Sie muss ziemlich gute Arbeit leisten, wenn sie ein so hochgradig traumatisiertes Kind in eine sichere Beziehung binden kann.

„Erzähl mir doch etwas über dich.", fordere ich ihn auf und sehe ihn dabei ermutigend an.

„Ich heiße Kiran und bin vierzehn Jahre alt.", antwortet er mir. Danach schweigt er.

So komme ich nicht weiter, denke ich und blicke ratlos zu Theresa. Diese sieht mich allerdings nur abwartend an. Ich habe das Gefühl, dass sie gerade abcheckt was ich so drauf habe und ich von ihr in der nächsten Zeit keine Hilfe zu erwarten habe. Danke auch.

„Was machst du gerne in deiner Freizeit?", versuche ich es erneut.

„Oft bin ich alleine oder lese."

„Auf welche Schule gehst du?"

„Ich besuche das Gymnasium in der Stadt."

„Was liest du so?"

„Bücher."

Jetzt kann Theresa ihr Lachen nicht mehr unterdrücken. Allerdings überspielt sie es, indem sie so tut als ob sie Husten müsste. „Habe mich wohl verschluckt.", sagt sie entschuldigend und sieht mich schelmisch an.

Ich entscheide spontan Theresa in diese Sache hineinzuziehen, ob sie nun will oder nicht. Sie ist der einzige Anhaltspunkt den ich habe und bei dem ich zumindest hoffen kann, dass er reagiert.

„Was würde Theresa über dich sagen wenn ich sie fragen würde?"

Theresa sieht mich überrascht und misstrauisch an. Kiran auch. Er überlegt und sein Blick huscht kurz zu ihr.

Point of no returnWhere stories live. Discover now