Ich liebte die Stadt am frühen Morgen. Diese ganzen bunten Lichter waren einfach schön. Die groteske Schönheit. Denn wenn man drüber nachdachte, was die LED Leuchten und Neonröhren alles verursachten, ist der Anblick gleich nicht mehr so schön. Doch ich ließ mich davon nicht beirren. Ich genoss es einfach. Mein Weg führte mich vorbei an allerlei Coffeeshops und übel riechende Typen. Ohne mich wirklich umzusehen, durchschritt ich die engen Straßen. Jedes Mal ein Graus. Das Viertel, in dem ich lebte, lag mehr oder minder am Rand der Stadt. Meine Schule war tatsächlich nur ein paar wenige Minuten von meinem Zuhause entfernt. Den Göttern sei Dank.Bald erblickte ich das Gittertor vor dem Campus. Davor standen allerlei unterschiedlich aussehende Schüler, trotzdem konnte man sie perfekt in Kategorien einteilen. Da waren zum einem die 'Model'. Zumindest bezeichneten sie sich selbst so, obwohl sie eigentlich gar nicht so hübsch waren, wie sie selbst dachten. Daneben gab es die Machos und Fuckboys, dann noch die Gamer, und dann noch die Schüchternen Mauerblümchen. Hier war jeden Tag alles gleich. Ich hatte mir selbst geschworen, eines Tages hier wegzuziehen. Das Leben, welches ich hier führte, war nicht das was ich wollte. Aber gerade war es nötig. Dezent entnervt lehnte ich mich gegen eine Wand und fischte eine Zigarette aus meiner Packung, die in meiner Jackentasche fast unterging. Um nicht irgendwelche Gespräche von den anderen mitzubekommen, steckte ich mir Kopfhörer in die Ohren. Ein kurzes Drücken auf den Knopf am Mikro und 'Take a Hint' erfüllte meine Gedanken. Gerade als ich mein Feuerzeug aus der schier endlos tiefen Tasche kramen wollte, wurde mir der Glimstängel unerwartet angezündet. Überrascht hob ich meinen Blick und sah in die grünen Augen Joun. Ein kurzer Moment passierte nichts. Bis ich anfing zu lachen.
"Was hast du mit deinen Haaren gemacht? Cosplayst du gerade irgendwen?"
Augenblicklich wurde der Junge vor mir rot. Passend zu seiner Haarfarbe. Die Fussel auf seinem Kopf hatte er sich hochgestylt, als wäre er gerade in dem Windkanal gekommen. Es sah nicht schlecht aus, aber es war ungewohnt und sehr überraschend für mich, da mein bester Freund normalerweise echt schüchtern war. Das war wohl auch das Problem, warum er keinen Freund hatte.
"Es..ich..Nein! Vielen Dank auch Livi...ich dachte wenigstens du würdest es gut finden. Aber nein!"
zeterte er empört und zog an seiner Zigarette. Ich kicherte nur leise. Er hatte zumindest kurze Haare, so das es nicht so dramatisch war, das jedes einzelne Haar akurat in eine Richtung abstand. Auf sein Gejammer erwiderte ich nichts. Verstanden hatte ich ihn wegen der Musik in meinen Ohren sowieso nicht. Daraufhin nahm ich meine Kopfhörer raus, wickelte sie zusammen und steckte sie in meine Tasche zurück. Während Joun freudestrahlend und sehr theatralisch erzählte, was am Wochenende passiert war, fuhr ich mir durch die blauen Haare.
"Dich brauche ich nicht nach den letzten zwei Tagen zu fragen. Hab ich recht?"
Wie gut dieser Junge mich doch kannte. Ertappt grinste ich und ließ die Zigarette fallen, zertrat sie daraufhin noch. Joun kniff amüsiert die Augenbrauen zusammen und schmunzelte. Auch er schmiss seinen Glimstängel weg. Dann legte er lachend seinen Arm um mich. Zumindest herrschte da von der Größe her nicht so ein gravierender Unterschied.
"Och Joun. Weißt du...ich habe viele heiße Mädchen gesehen."
Er sah verwundert zu mir rüber. Seinen Gedanken konnte man erahnen.
"Das habe ich nicht gemeint. Ja, du hast recht. Ich hab das Wochenende mit Zocken verbracht. Manchmal sind sogar NPCs kompetenter als Menschen. Außer sie sind schlecht programmiert. Dann sind sie echt zum töten."
Erleichtert atmete er aus und machte sich mit mir auf den Weg zur Klasse. Gerade als ich dran dachte, hätte ich mich am liebsten ausgelöst. Ja, ich war nicht ganz so menschenfreundlich. Mittlerweile. Es nervte mich jedes Mal aufs neue. In manchen extrem Fällen ließ ich einfach raus. Man konnte sagen, dass mich jegliche Klassenkameraden nicht wirklich zu mögen schienen. Damals hatte ich noch einiges getan um dazuzugehören, mit der Zeit war ich es aber leid, mich so zu verausgaben für nichts. Widerwillig ging ich also mit meinem besten in die Klasse und schnurstracks auf meinen Platz zu. Plötzlich fielen mir die drei Mädchen auf, die sich um mich herum versammelt hatten. Das würde ein Spaß werden.
"Liviana?"
Dieser quängelde Ton sägte jetzt schon an meinen Nerven. Das langgezogene 'A' meines Namens. Meine Faust begann zu kribbeln. Zwar würde ich das niemals tun, aber das Bedürfnis war da. Langsam hob ich den Kopf und sah Emily an, welche mich mit glitzernden Augen ansah. Insgeheim stand sie auf mich, was sie aber niemals zugeben würde. Andauernd suchte sie einen Vorwand um mich nerven zu können. Sie war eine dieser Mauerblümchen, die verzweifelt versuchten dazuzugehören, wie ich vor einiger Zeit. Dazu kam noch, dass sie sehr gern kuschelte und ich meistens Opfer davon wurde. Warum auch immer. Sie hatte wohl einen Narren an mir gefressen. Mein Blick wanderte kurz zu den anderen beiden weiblichen Wesen neben mir. Waren wohl neue Verbündete gegen die Machenschaften der Beliebten. Beide von ihnen hatten braune Haare. Beim zweiten Blick erkannte ich, das sie komplett identisch aussahen, das einzige was sie unterschied, waren ihre Augenfarben. Emily war die einzige blonde in ihrem Kreis. Allein der Anblick des Pulks entfernte einen großen Teil meiner strapazierten Nerven.
"Wie sehe ich aus?"
fragte sie mich. Ein erneuter Vorwand. Ich kniff die Augen zusammen. Am liebsten hätte ich die Wahrheit gesagt. Sie sah aus wie die beliebten hier. Hautenges weißes Oberteil, genauso enge helle Jeans und weiße Adidas- Halbschuhe. Die Haare komplett glatt und die Haut leicht gebraunt. Ihr Gesicht passte nur gar nicht zu ihrem Auftreten. Man roch ihre Verunsicherung förmlich.
"Weißt du Em?"
Ich stellte mich gerade und selbstbewusst hin. Mit zusammengekniffenen Augen musterte ich sie kurz, ehe ich mich wieder etwas vorbeugte. Sie verlangte wohl tatsächlich eine Antwort.
"Ganz ehrlich. Du siehst hübsch aus, aber ich habe keine Ahnung wen du beeindrucken willst, wenn du so rumrennst, wie sogut wie jede andere hier. Und jetzt.."
Dann unterbrach sie mich. Das konnte ich gar nicht leiden. Sie verzog die Augenbrauen und verschränkte die Arme. Jetzt kam endlich, was sie wirklich wollte.
"Dich auf jedenfall nicht. Pff. Wer bin ich denn. Eigentlich wollte ich dich auch nur nach einer Zigarette fragen."
Ihr beleidigter Unterton war gut rauszuhören. Emilys 'Freundinnen' merkten den Launenumschwung ihrer Anführerin und sahen mich ungefähr genauso giftig an wie eben diese. Ich verdrehte die Augen. Jedes Mal aufs Neue. Manchmal ist eine Lüge schöner als die Wahrheit. Langsam zog ich meine Jacke aus, hängte sie über den Stuhl und setzte mich hin. Erleichtert atmete ich aus und verbannte die Truppe vor mir aus meinem Blickfeld. Emily schnippste vor meinem Gesicht herum. Daraufhin warf ich ihr diesen einen Blick zu. Den Blick, wenn man jemanden gerade gern umbringen würde. Sie wich etwas zurück.
"Nur eine...Bitte.."
Da wurde sie plötzlich ganz klein. Daraufhin lockerte ich meinen Blick wieder und kramte in meiner Jackentasche. Dort nahm ich dann eine Zigarette raus und hielt sie ihr hin. Sie starrte mir in die Augen und geistesabwesend wollte sie den Glimstängel nehmen, bevor ich diesen wieder etwas zurückzog.
"Der Lehrer kommt. Und Em? Such dir wen anderen, wenn du Modetipps haben willst. Dazu rate ich dir, mich normal zu behandeln. Verstanden?"
Sie nickte eilig und schwieg weiterhin. Ich reichte ihr den kurzen weißen Stift und sie verschwand mit ihrem Gefolge sofort. Es war traurig. Wie verzweifelt sie versuchte wie die anderen zu sein. Dabei waren wir doch alle im selben Jahrgang. Nur benahm sie sich wie ein kleines Mädchen. Ich kramte meine Sachen raus und genau in diesem Moment kam mein Lehrer rein. Welch einfache Probleme ich doch hatte.
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Zweitens Kapitel von Individuen O.o
Es ist etwas mehr geworden und es hat dazu noch eine Weile gebraucht. Danke fürs Lesen.
Lasst mir gern Feedback da ^^Eure Oncester :*
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Individuen
Aktuelle LiteraturCeratec - das brandneue Fantasy/ Sci-Fi Computerspiel. Liviana brennt darauf, es endlich in den Händen zu halten. Seit der Ankündigung wartet sie darauf, dass es endlich auf dem Markt erscheint. Unter dem Synonym 'Hydra's Tombstone' gilt die 17-jähr...