Cloey zog die Strümpfe hoch und die Zöpfe noch etwas enger. Dann zog sie die Kopfhörer zu sich heran und stöpselte sie in das Handy, bevor sie ein Lied einschaltete. Es durchschnitt die Stille und ein erleichtertes Gefühl durchströmte sie.
Draußen regnete es. So, wie an jedem Tag in Jest-Town. Hatte sie überhaupt schonmal die Sonne gesehen? Ihr Blick wanderte von dem kleinem Fenster zu dem Päckchen auf ihrem Bett. Plötzliche Angst durchfuhr sie und vorsichtig griff sie nach dem brauen Packpapier. Das Gefühl auf ihren Fingern bei der Berührung bereitet ihr ein schreckliches Unwohlsein.
Leicht schüttelte das Mädchen den Kopf und rieb sich mit der Hand über die Stirn. Mit einem Atmenzug krallte Cloey ihre Fingernägel um den Gegenstand und ließ ihn in ihrer breiten Bauchtasche ihres übergroßen Hoodies verschwinden. Mit einem Ruck stand sie auf und verließ ihr kleines Zimmer. Im engen Flur klopfte sie an die Tür ihres Zwillingebruders. Er sah ihr kaum ähnlich. Wie Cloeys war Peters Körper sehr schmal und zierlich. Die Haare der Geschwister waren braun, doch das war auch das Letzte, was irgendwie ähnlich war.
Stille drang aus Peters Raum und Cloey drückte leise die Türklinke herunter. Ihr Bruder saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf seinem Bett. Als das Mädchen den Raum betrat blickte er nicht auf, sondern starrte weiter auf seine Hände.
"Peter. Ich gehe jetzt." sagte Cloey tonlos. Der Junge reagierte immer noch nicht. "Ich schreib dir eine SMS." Peter blickte auf, aber sein Blick blieb leer und es kam kein Wort über seine Lippen.Als Cloey draußen im Regen stand zog sie sich ihre Kapuze über und drehte die Musik noch etwas lauter. Die Chucks waren innerhalb von wenigen Sekunden durchnässt und ihre Beine kalt. Sie trug eine kurze Hose und die Strümpfe gingen bis über die Oberschenkel. Ihre Hände waren bei dem Päckchen in der Bauchtasche und mit der linken Hand hielt sie es fest, während sie durch die dunklen Wege der riesigen Stadt lief. Die Häuser standen manchmal so dicht beieinander, dass Cloey sich hindurchzwängen musste und ihr Pulli wurde noch nasser, als er es eh schon durch den Regen war.
Der Geruch von Rauch lag in der Luft und die Nacht breitete sich in tiefem Schwarz aus. In Cloeys Gedanken wurde alles durcheinander geworfen. Wie war die da bloß hineingeraten? Warum grade sie? Sie biss sich vor Schuldgefühl auf die Lippen und blieb automatisch stehen. Leere erfüllte ihren Kopf und ihr Herz schlug hart und laut in ihrer Brust. Sie musste jetzt weitergehen. Sie hatte gar keine Wahl mehr. Einmal zu dem falschen Zeitpunkt in einer schlaflosen Nacht in dem falschen Teil der Stadt und schon kann man den Kopf nicht mehr aus der Schlinge ziehen. Cloey setzte sich wieder in Bewegung und ihre Füße trugen sie bis in einen kleinen Vorhof. Er schien komplett leer zu sein und von jeder Seele verlassen. Bei den Häusern in Jest-Town konnte man sich nicht mal sicher sein, ob dort überhaupt noch jemand lebte, denn die Einwohner lebten so zurückgezogen, dass man den Unterschied nicht erkennen konnte. Cloey atmete nochmal durch und versuchte dem Schwindelanfall zu widerstehen. Plötzlich fühlte sie sich beobachtet. Panisch blickte das Mädchen um sich und eilte auf eine dunkle Ecke zu, die nicht grade selten in diesem Vorhof war. Mit zitterndem Atem ließ sie sich an der Wand auf den Boden gleiten. Es war ein bisschen regengeschützt und ein kleiner Platz war sogar trocken. Doch der Schutz wurde ihr nicht lange vergönnt. Sie hörte Schritte und plötzlich zog sie jemand an ihrem Hoodie hoch. Erschrocken schnappte Cloey nach Luft und hielt sich schützend die Hände vor ihr Gesicht.
DU LIEST GERADE
Jest-Town Girl
Mystery / ThrillerTrostlos. Kalt. Regnerisch. Das war Jest-Town. Cloey hatte sich mit dem Anblick abgefunden. Ihr Leben war herzlose Stille, die sie mit ihrem Zwillingsbruder Peter teilte. Doch dann traten sie in ihr kaltes Leben. War es jetzt spannender? War es au...