1. Kapitel - Bad Wolf

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Viele Jahre zuvor:

Der Abend dämmerte bereits, als Bad Wolf zum ersten Mal das Gelände der Ever After High betrat.
Geblendet blinzelte er. Die Fenster der Schule reflektierten das letzte Sonnenlicht und verliehen dem Gebäude eine beinahe überirdische Erscheinung.
Als er seine Ohren spitzte, hörte er vor sich das Klackern von Pferdehufen und lautes Gelächter. Sie klangen glücklich, unbeschwert. Bad schnaubte verächtlich.
Er war allein gekommen. Stundenlang war er gelaufen, jetzt taten ihm die Pfoten weh. Seine Eltern hatten ihn nicht begleitet, sie hatten sich noch im tiefsten Wald kurz und emotionslos von ihm verabschiedet. Bad bezweifelte, dass sie ihm fehlen würden.
Langsam liess er seine Wolfsgestalt in seine menschliche übergehen und beobachtete versteckt am Waldrand die anderen Schüler beim Ankommen. Er sah, wie seine künftigen Mitschüler aus ihren Kutschen stiegen, sich  lachend begrüssten oder sich weinend von ihren Eltern verabschiedeten. Bad beobachtete sie argwöhnisch. Seine Eltern hatten in die Arroganz des gewöhnlichen Volkes schon gelehrt bevor er hatte laufen können. Dennoch hatte er sich immer auf den Tag gefreut,  an dem er die heimatliche Höhle verlassen konnte. Jetzt war es endlich soweit.
Bad wartete noch einige Minuten, dann gab er sich einen Ruck und machte sich auf den Weg. Als er den Hof betrat, bemerkte er die Dinge, die ihm aus der Ferne nicht aufgefallen waren.  Alle, die dort versammelt waren, schienen einer bestimmten Gruppe anzugehören: Prinzen und Prinzessinnen tummelten sich auf der einen Seite, Bürgerliche auf der anderen. Am meisten aber fiel die dritte Gruppe auf: Sie standen so weit wie nur möglich von den anderen weg, trugen dunkle Kleider und hatten verächtliche Blicke im Gesicht. Jedem war auf den ersten Blick klar, wessen Kinder sie waren.
Bad senkte seinen Blick, als er sich an den anderen vorbeischob. Er wollte keine Aufmerksamkeit erregen. Einige der Bürgerlichen warfen ihm einen kurzen Blick zu, die Bösen und Königlichen hielten ihn sichtlich für unter ihrer Würde.
Vor dem Schulportal waren mehrere Empfangstresen aufgebaut. Bad überlegte einen Moment, an wen er sich nun zu wenden hatte. Doch im zweiten wurde ihm klar, dass es offensichtlich war: Am einen Tresen stand eine grossgewachsene, stolze Frau, die gerade drei Mädchen, die offensichtlich Prinzessinnen waren, beriet. Das war definitiv nicht seine Anlaufstelle. Stattdessen wandte Bad sich an den anderen Tresen, an dem eine uralte, runzlige Frau stand. „Name?", schnauzte sie ihn an. „Bad Wolf", erklärte er hastig. Sie seufzte, wühlte kurz in ihren Unterlagen, dann zog sie einige Blätter Papier hervor. „Stundenplan, Regeln und Anweisungen", knurrte sie. „Zimmer im Flügel der Bürgerlichen.  Mitbewohner: Hunt Huntsman." Bads Kopf, der bereits über den Papieren geschwebt hatte, schoss hoch. „Was!?" Die belustigten Blicke seiner Mitschüler richteten sich auf ihn. So hatte ich mir meinen ersten Auftritt eigentlich nicht vorgestellt, dachte er verärgert. Aber lieber ertrug er diese Blicke als... das. Die alte Frau runzelte die Stirn. „Sie haben mich sehr genau verstanden. Gehen Sie jetzt."
Schweigend gehorchte Bad, auch wenn er sie liebend gerne angeschrien hätte. Hunt Huntsman! Das konnte ja heiter werden! Wütend knurrte er vor sich hin, während er durch die Flure stapfte. Jene an denen er vorüber kam, warfen ihm kritische bis angsterfüllte Blicke zu. Bad ignorierte sie. Stattdessen musterte er konzentriert die Namensschilder der Türen, an denen er vorüberkam. Pinocchio Wood, Jack Beanstalk, Hänsel Crumb, Humpty Dumpty... Hunt Huntsman und Bad Wolf.
Bad hörte schon von draussen, dass sein neuer Mitbewohner bereits angekommen war. Er holte tief Luft. Vielleicht wird es ja gar nicht so schlimm, versuchte er sich selbst zu beschwichtigen. Dann öffnete er die Tür und betrat den Raum, der für die nächsten vier Jahre sein Zuhause sein würde.

Sein erster Gedanke war, dass das unmöglich wahr sein konnte: Überall im Raum waren Jagdtrophäen und Waffen aufgehängt. Die Tapete war Jägergrün gestrichen und die Möbel schienen aus Knochen zu bestehen. Und in mitten dieses Kunstwerks eines Zimmers stand Hunt Huntsman, die Arme vor der Brust verschränkt und selbstgefällig lächelnd. „Na, Bady, was hältst du davon?"
Bad war erstarrt in der Tür stehen geblieben. „Ich..." Dieser Wolf da oben sah fast so aus wie er, wenn er in Wolfsgestalt war. Hunts Lächeln  vertiefte sich. „Ach, hat unser kleines Hündchen ein Problem mit der Einrichtung? Machst dir wohl ins Fell, dass ich dich in der Nacht umbringe, was?" Bad biss seine Zähne zusammen. „Nein", log er, „Überhaupt kein Problem." Er hatte gewusst, dass es schlimm werden würde und er hatte gewusst, dass er Hunt nicht mögen würde. Aber jetzt erst wurde ihm bewusst, dass das noch optimistisch gewesen war: In Hunts Gesicht schien der reine Teufel  zu wohnen. Bad sah bereits die vielen Jahre vor sich, in denen er nachts kaum schlafen können und, wenn es ihm dann gelang, von Albträumen gequält werden würde.
Sein Vater hätte ihm jetzt gesagt, dass sich solche Gedanken nicht für ihn ziemten. Aber sein Vater war auch nicht hier.
„So ist's brav. Zieh nur deinen Schwanz ein."
Das Verlangen, zu knurren und Hunt eins überzuziehen war unbändig, aber Bad riss sich zusammen. Er wollte an seinem ersten Tag noch nichts falsch machen und vor allen wollte er Hunt nicht die Genugtuung  geben, ihn provoziert zu haben.
Aber als er seinen Koffer auspackte und einen Blick in seine neuen Bücher warf, wohl wissend, dass sein neuer Mitbewohner jeden seiner Schritte mit schadenfreudigen Augen beobachtete, wusste er bereits, dass eine schwere Zeit auf ihn zu kommen würde...

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