2. Kapitel - Marian Charming

22 2 0
                                    

Als ihre Eltern Marian alleine liessen, hatte diese keine einzige Träne geweint. Weinen kam für eine Charming-Prinzessin nicht in Frage, unter gar keinen Umständen. Nicht einmal, wenn man sein Zuhause und seine Eltern für ein ganzes Jahr nicht sehen würde, durften Make-up oder Augen darunter leiden.
Als ihre Mutter die Tür hinter sich geschlossen hatte, wischte sich Marian lediglich rasch über die Augen und überprüfte ihr Aussehen im Spiegel. Zufrieden wandte sie sich ab.
Ihr neues Zimmer war eigentlich eine riesige luxuriöse Suit, mit vier grossen Spiegeln, drei hellen Fenstern mit unglaublicher Aussicht und zwei riesigen, weichen Himmelbetten. Zu gerne hätte Marian sich in die Kissen fallen lassen, aber sie konnte keine Falten in ihrem neuen, lindgrünen Kleid riskieren. Sehnsüchtig musterte sie die perfekte Tagesdecke. Der Weg hier her war lang gewesen und Marian war unglaublich müde. Aber das war nicht der richtige Moment, um ihrem müden Körper nachzugeben.
Gewaltsam wandte sie ihren Blick ab und sah sich um. Ihre Koffer waren bereits ausgepackt, ihre Eltern hatten extra drei Umzugshelfer engagiert, ihre Schulbücher lagen bereit und auch ihre Koffer selbst waren von der Bildoberfläche verschwunden.
Marian trat ans Fenster. Draussen kamen noch immer Leute an. Gespannt beobachtete Marian die aussteigenden Prinzessinnen und fragte sich, welche von ihnen wohl ihre neue Mitbewohnerin werden würde. Auf dem Namensschild stand, dass sie ebenfalls eine Prinzessin einer der zahllosen Charming-Familen war. Vielleicht war es ja diese Prinzessin dort mit der Krone aus Porzellan. Oder diese mit der langen, fallenden Schärpe. Oder diese mit...
Die Tür öffnete sich hinter ihr. Marian fuhr herum und stand plötzlich einem anderen Mädchen gegenüber.
„Hallo", wurde sie von dieser höflich begrüsst, „Ich bin deine neue Mitbewohnerin, Prinzessin Diamond Charming. Es freut mich sehr, dich kennen zu lernen."
Okay, dieser Name passte auf jeden Fall. Alles an Diamond schien irgendwie zu glänzen und zu strahlen, von den welligen, hellblonden Haaren über ihren makellosen Teint bis hin zu den blauen, blitzenden Augen.
Marian lächelte sie an. „Mich auch. Ich bin Maid Marian Charming. Ich freue mich schon mit dir das Zimmer zu teilen. Ich hoffe doch, du schnarchst nicht." Letzteres war ihr rausgerutscht. Marian biss sich auf die Lippe. Das war nicht sehr elegant gewesen.
„Ich glaube nicht, dass du da etwas zu befürchten hast." Diamond lächelte sie weiterhin höflich, aber distanziert an. „Äh..." Marian fühlte sich plötzlich sehr unwohl in ihrer Haut.
„Ich lass dich jetzt in Ruhe, du musst bestimmt viel auspacken", meinte sie schliesslich, nach einem langen, unangenehmen Moment der Stille.
Vorsichtig, damit alles an Ort und Stelle blieb, liess sie sich auf einem thronartigen Sessel in ihrer Zimmerhälfte nieder und griff nach einem ihrer neuen Schulbücher. Das Buch erklärte die Grundlagen eines Burgfräulein in Nöten. Gespannt liess Marian ihren Blick über die Seiten wandern. Sie wollte Diamond Zeit geben, sich einzugewöhnen und sich das Zimmer anzusehen, doch als sie kurz aufblickte, merkte sie, dass ihre neue Mitbewohnerin bloss still auf ihrem Bett sass und noch nicht einmal begonnen hatte, ihre Koffer auszuräumen.
„Ist alles in Ordnung?", fragte Marian sie. Diamonds Gesichtsausdruck blieb unverändert.
„Ja, alles gut."
Marian wartete, doch offenbar wollte ihre Mitbewohnerin ihr nichts weiter erklären. Sie blieb noch einige Minuten, dann erhob sie sich. Genau wie der Rest des Zimmers war auch das zimmereigene Bad so luxuriös wie es sich für zwei Prinzessinnen gehörte.
Als Marian sich die Hände wusch, hörte sie plötzlich ein Geräusch aus dem Schlafraum. Verwundert öffnete sie die Tür und fand Diamond vor ihren fast leeren Koffern stehend. Als sie Marian hinter sich hörte, zuckte diese leicht zusammen. „Ach, hey! Ich bin gleich fertig."
Marian warf einen kurzen Blick in die noch offenen Schränke. Da hingen Ballkleider neben Sommerkleidern, alles aus feinster Seide, Spitze, Samt und anderem Edlem. Nichts, was nicht jede Prinzessin besässen hätte. Aber wieso hatte Diamond mit dem Auspacken gewartet, bis Marian aus dem Zimmer war? Marian schüttelte den Kopf. Das bilde ich mir nur ein. „Gut", meinte sie stattdessen freundlich. „Ich habe gehört, dass der Schulleiter uns später in der Aula willkommen heissen will. Wenn du willst, können wir zusammen hingehen, sobald du fertig bist." Diamond nickte. „Danke! Das wäre nett von dir!" Marian lächelte zurück. Dennoch konnte sie den Gedanken nicht abschütteln, dass ihre neue Mitbewohnerin irgendein Geheimnis hatte.

Once upon a generationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt