6.

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"Vergesst nicht, euer Chakra möglichst zu unterdrücken", erinnerte Yamato uns noch einmal an seine Worte und kletterte als erster durch das quadratische Loch in dem Fels, welches er mithilfe seines Mokutons gebohrt hatte.
Wortlos folgten erst Sakura, anschließend Naruto und zuletzt ich ihm auf den spärlich mit Fackeln beleuchteten Gang.
"Lasst uns nach Sai suchen", ordnete der Teamleiter an und schloss konzentriert die Augen, "hier geht's lang."
Nach nicht allzu langer Zeit blieben vor vor einer der vielen Türen stehen, die sich äußerlich nicht von den anderen unterschied.
"Hier müsste er sein."
Mit diesem Worten begutachtete Yamato kurz das Schloss, bevor er einen hölzernen Schlüssel aus seinem Finger wachsen ließ und langsam den Verschluss öffnete.
"Ich werde hier draußen warten und die Augen offen halten", verkündete ich und mit einem bloßen Nicken betraten die anderen drei den Raum.
Nur gedämpft hörte ich Stimme von innen, aber genau verstehen konnte ich nichts.
Es zog sich eine ganze Weile hin und langsam wurde ich ungeduldig, besonders, als ich entfernte Schritte vernehmen konnte.
"Ich störe ja wirklich nur sehr ungern, aber wenn wir nicht schleunigst verschwinden, werden wir höchstwahrscheinlich Kontakt mit dem Feind bekommen", unterbrach ich das Gespräch mit durch den Türspalt gestecktem Kopf.
"Verstehe, folgt mir."
Mit dem gleichen Trick, mit dem wir hereingekommen waren, verließen wir den Raum, wobei Sais Oberkörper und seine Arme von Holzschlingen gefesselt waren.
Als wir gerade knapp unter der Oberfläche waren, drehte der Gefangene den Kopf zu mir herum und musterte mich mit einem undefinierbaren Ausdruck.
"Wer bist du?"
"Tsuki, die Verstärkung", erwiderte ich knapp, denn jemanden, dem ich nicht trauen konnte, hatte ich auch nichts zu sagen.
Kommentarlos drehte er sich wieder um und wir gelangten schließlich ans Tageslicht.
Die anderen sprachen noch ein bisschen über Sasuke, allerdings hörte ich nur mit halbem Ohr zu.
Der Gedanke, dass ich Orochimaru so nah war, löste Unbehagen in mir aus, obwohl ich eine Art merkwürdige Vorfreude in mir aufkeimen fühlte.
Dabei war mir bewusst, wie falsch das war.
Wir beide standen schon seit Ewigkeiten in keinerlei Verbindung mehr und jeder einzelne hier - besonders Naruto - schien ihn abgrundtief zu hassen.
Warum hatte Tsunade ausgerechnet mich schicken müssen?
Energisch schüttelte ich den Kopf und versuchte, diese Gedanken abzuschütteln wie eine lästige Fliege.
"Yamato-san", wand ich mich an den Teamleiter, welcher bis über die Schulter fragend anschaute.
"Wäre es in Ordnung, wenn ich schon alleine vorgehen würde? Das hier scheint etwas länger zu dauern und so könnten wir viel Zeit sparen."
Er schüttelte den Kopf.
"Wir gehen ein zu großes Risiko ein, wenn einer auf eigene Faust handelt. Du wirst warten müssen, bis wir als Gruppe aufbrechen und uns in kleine Teams aufspalten", befahl er, doch damit wollte ich mich nicht zufrieden geben.
"Bitte behandeln Sie mich nicht wie die anderen beiden. Ich bin kein unreifes Kind mehr, außerdem hat Tsunade-sama mich selbst ausgewählt und das wird nicht ohne Grund gewesen sein. Und ich habe den Sender, mit dem ich jeder Zeit nach Hilfe rufen kann."
Unnachgiebig blickte ich ihm direkt in die Augen, bis er schließlich seufzte und mit den Schultern zuckte.
"In Ordnung, aber keine riskanten Alleingänge. Und geh auf jeden Fall einem Kampf aus dem Weg", befahl er und schnell nickte ich.
"Natürlich."
Ohne mich von Naruto und Sakura zu verabschieden, die noch immer mit Sai redeten, betrat ich den Gang, aus dem wir gekommen waren und gelangte durch das Zimmer wieder in das unterirdische Tunnelsystem.
Schnell kramte ich eine kleine Schriftrolle und einen Kohlestift aus meinem Rucksack und zeichnete einen kleinen Kreis mit der Beschriftung 'Ausgang'.
Nach kurzem Überlegen entschied ich mich dafür, mich möglichst rechts zu halten und machte immer wieder kleine Pfeile und Notizen zu meinem Weg auf dem Papier.
In jedes Zimmer, an dem ich vorbeikam, warf ich einen Blick, stetig hoffend, dass ich keine Menschenseele finden würde.
Denn um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, wie ich im Falle eines Zusammentreffens mit Sasuke reagieren sollte, geschweige denn welche Probleme bei einem Kampf mit Orochimarus Schergen auf mich zukommen würden.
Bald schon wurden meine Schritte langsamer und ungewollt schossen mir Erinnerungen aus alten Zeiten durch den Kopf und lösten ein Ziehen in meiner Magengrube aus.
Zuerst war es nur das blasse und kindliche Gesicht mit den goldenen Augen, die mich bei unserem ersten Treffen genauso argwöhnisch wie interessiert gemustert hatten.
Danach war alles eher durcheinander, da war ein Bild von unserem letzten Zusammentreffen und der Zeit, als er zu Besuch bei Jiraiya und mir in Amegakure gewesen war.
"Na sieh mal einer an", riss mich eine altbekannte Stimme aus meinen Erinnerungen heraus und bereits zum zweiten Mal an diesem Tag lag etwas tödliches auf meiner Kehle.
Auch, wenn es keine Klinge, sondern die kalten Schuppen einer etwa faustdicken Schlange waren.
"Orochimaru", bemerkte ich ruhig, drehte mich allerdings nicht um, da ich das Reptil nicht unnötig provozieren wollte.
"Du warst nicht bei Naruto-kun und den anderen dabei. Hat Konoha dich nachträglich geschickt?", wollte er wissen, noch immer hinter mir stehend.
"So ist es. Und wenn ich mich vorstellen dürfte, mein Name lautet Tsuki."
Sofort verschwand das tödliche Tier von meinem Hals und ich langsam wand ich mich zu dem Mann um, dessen Gesicht durch das Licht der Fackel teilweise verzerrt aussah.
"Ich nehme an, du wusstest schon, dass ich wieder da bin", vermutete ich, als er keine Anstalten machte, etwas zu sagen.
"Natürlich sind schon seit ein paar Monaten Gerüchte über eine plötzlich aufgetauchte Überlebende der Uchiha im Umlauf, allerdings war es schwer, an genaue Informationen zu gelangen. Also konnte ich nicht sicher sein", erklärte er langsam, wobei mir seine schon fast gleichgültige Stimme einen Schauer über den Rücken jagte.
"Tja, jetzt... weißt du es", murmelte ich, konnte es dabei jedoch nicht über mich bringen, ihm in die Augen zu schauen, auch wenn ein kleiner Teil von mir sich krampfhaft gegen diese Distanz zu sträuben schien.
Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen, während die unbehagliche Stille mich mit trockener Kehle schlucken ließ.
"Also... ich", setzte ich an, wusste allerdings nicht, was ich überhaupt sagen sollte, also verstummte ich wieder.
Als ich schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit den Blick von dem Boden vor meinen Schuhen reißen konnte und ihn ansah, blickte er mir direkt in die Augen und mein Herz setzte einen Schlag aus.
Es war, als wären seine Augen noch immer exakt dieselben wie vor vielen Jahren, das einzig Beständige, sich nicht verändernde an ihm.
Es heißt zwar, die Augen wären das Fenster zur Seele, aber in seinen war überhaupt nichts zu erkennen, nicht einmal Abweisung oder Kälte, weder etwas positives noch negatives.
Einfach nichts.
Und mit einem Mal hatte ich das starke Verlangen, zu weinen.
Meine Sicht an den Augenwinkeln verschwamm langsam, als salzige Flüssigkeit sich in meinen Augen sammelte, nur um kurz danach in warmen Tränen meine Wangen herunterzufließen.
In der vollkommenen Stille des Ganges schien das Geräusch der Tropfen auf dem steinernen Boden lauter als Explosionen auf dem Schlachtfeld, nur übertönt von meinem aufgeregten Herzschlag.
"Tsuki."
Ich löste mich aus meiner Starre und legte kaum merklich den Kopf schief.
"Ich habe kein Interesse mehr daran, mich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Außerdem habe ich noch etwas zu erledigen."
Ungläubig blinzelte ich, als er sich umdrehte und ein paar Schritte mehr zwischen uns brachte.
"Warte-"
"Ach ja", er blieb stehen und blickte über die Schulter, bevor er mir eine Schriftrolle zuwarf, "das wollte ich dir noch zurückgeben. Ich habe es aufbewahrt."
Mit einer Hand fing ich sie und ließ meinen Blick kurz über die dunkelgrüne Färbung an dem oberen Ende schweifen, auf welchem auch eine schwarze Schlange zu sehen war.
"War das alles?", fragte ich mit bemüht ruhiger Stimme, "mehr ist da nicht?"
Von mir aus wäre alles in Ordnung gewesen, sei es wütendes Schreien, abwertende Beschimpfungen oder sogar nette Worte.
Aber dass er einfach so abhauen wollte, konnte ich nicht glauben.
"Wie meinst du das?", erwiderte er mit dem Rücken zu mir.
"Wie ich das meine? Bist du so bescheuert oder tust du nur so? Du hast kein Recht, einfach zu vergessen! Du wirst gefälligst hier bleiben! Oder weißt du etwa, wie es ist, immer und immer und immer wieder neu anfangen zu müssen?! Es tut so weh, nicht sterben zu können!", schrie ich hysterisch und mir war es komplett egal, ob mich jetzt jemand hören könnte.
Als er keine Reaktion zeigte, kam ein knappes Lachen über meine Lippen.
"Ich kann auch nicht einfach aufgeben. Selbst, wenn ich es versuchen würde, könnte ich dem hier niemals entkommen. Also wirst du das auch nicht tun. Wenn du mich so sehr hasst, nur zu, töte mich. Aber du weißt, ich werde zurückkommen."
Meine Stimme war überraschend ruhig, angesichts der Wuttränen, die über meine Wangen liefen.
Mit einem müden Ausdruck auf dem Gesicht drehte Orochimaru sich langsam zu mir um und als ich das mitleidige Glitzern in dem Gold entdeckte, war es um meine Geduld geschehen.
Unbewusst ballte sich meine Hand zu einer Faust, welche bloß einen Herzschlag später in seinem Gesicht landete, und das nicht nur einmal.
"Warum schaust du mich so an? Kapierst du endlich, wie beschissen diese Unsterblichkeit ist? Verstehst du, wie ich mich fühle?!"
Schwer atmend ließ ich von ihm ab.
"Nein", durchschnitt seine Stimme die Stille, "ich weiß es nicht. Aber als wir uns das letzte Mal gesehen haben, ging es dir gut. Ich bin mit sicher, du wirst wieder Freundschaften schließen und ein wundervolles Leben haben."
Ungläubig starrte ich ihn an.
"Ist... ist das dein Ernst?"
"Ja, voll und ganz. Ich habe keine Lust, dass du deine Wut an mir auslässt, denn Tsuki", er beugte sich zu mir herunter und blickte mir direkt in die Augen, "ich kenne dich nicht mehr."
Sprachlos starrte ich ihn an, jegliche Wut war verschwunden und ein überwältigendes Gefühl von Entsetzen machte sich in mir breit.
Schlagartig wurde mir bewusst, dass er Recht hatte.
Dieser Mann vor mir war ein anderer, als der Junge, in den ich mich vor so langer Zeit verliebt hatte, wir waren beide verschiedene Wege gegangen.
Ohne mir die Chance zu geben, etwas zu erwidern, wand er sich ab und verschwand hinter der nächsten Ecke.
Unfähig, ihm zu folgen, stand ich eine ganze Weile einfach nur dort, bis ich mit zitternden Händen die Schriftrolle öffnete, auf welcher eine Art Beschwörungssiegel angebracht war, welches ich verwirrt musterte.
Ich hatte keine Ahnung, was man damit rufen konnte, aber meine Neugier zwang mich dazu, sie auf dem Boden abzulegen und Fingerzeichen zu formen.
In der Sekunde, als ich die schwarze Tinte berührte, entstand eine kleine Rauchwolke, die sich nach und nach auflöste, um einen langen, schmalen Gegenstand freizugeben.
Mein Mund klappte überrascht auf und vorsichtig fuhr ich erst über den Griff und anschließend die Klinge des alten Katanas.
Es war das Schwert, was ich damals gekauft hatte, bevor ich mit den Sannin in den Krieg gezogen war, er hatte es all die Jahre aufbewahrt.
Und nicht nur das, das Metall wies keinerlei Rost oder anderweitige Mängel auf, lediglich etwas abgeblätterte Farbe, die mich damals schon nicht gestört hatte.
Im schwachen Licht der Fackeln blitzte kurz etwas am unteren Ende des Griffes auf, was ich davor noch nicht bemerkt hatte.
Dort war ein dünnes Lederarmband befestigt, an welchen zwei Anhänger hingen, eine silberne Schlange mit grünen Augen und das Clanwappen der Uchiha.
Meine Hände verkrampften sich um die Waffe und den Schmuck, welche sich in meine Haut pressten und Abdrücke hinterließen.
Er wollte also mit der Vergangenheit abschließen?
So tun, als wäre nie etwas besonderes zwischen uns gewesen?
Meine Zähne knirschten, als ich sie so fest aufeinander presste, dass mein Kiefer schmerzte.
Also dachte er, für ihn wäre es schwierig gewesen?
Wie oft hatte er denn ein komplett neues Leben anfangen müssen?
Und hatte er jemals darüber nachgedacht, wie es war, dass alle seine Freunde altern und sterben würden, aber er immer wieder als ein gottverdammtes Kind zurückgeschickt wird?
Nein, das hatte er nicht.
Er hatte keine Ahnung, überhaupt keine!
Sogar freiwillig suchte er nach ewigem Leben, als wäre ihm alles und jeder andere egal, den er irgendwann verlieren würde.
Er hatte kein Recht, die Vergangenheit einfach ungeschehen zu machen, denn das konnte ich auch nicht.
Also sollte es für ihn möglich sein?
Bloß weil er ein bescheuerter Arsch war, der theoretisch einfach sterben konnte, wenn er keine Lust mehr auf den ganzen Mist hatte?
"Ach, verreck doch einfach", knurrte ich, doch gerade als in mir das große Verlangen aufkam, mich eigenhändig darum zu kümmern, wurde der Boden unter meinem Füßen von einer gewaltigen Explosion geschüttelt.
Alarmiert sprang ich auf und lief in die Richtung des Lärms, jedoch nicht, ohne vorher das Katana wieder zu versiegeln und die Schriftrolle einzupacken.
Das hatte allerdings nichts mit Orochimaru zu tun, schließlich war es meine Waffe.

Schwester einer Legende - Herzen aus FeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt