Prolog (Teil 1)

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Es ist schon tief in der Nacht, draußen Schneit es und ich sitze gemütlich auf dem Sofa, eine Tasse Tee neben mir und ein gutes Buch auf meinem Schoß. Ich ziehe die Decke etwas höher und blättere auf die nächste Seite. Das Buch ist ungeheuer spannend, so spannend, dass ich aufstehe, meine Ohrstöpsel in mein Handy stecke und beschließe die Geschichte selbst weiter zu spinnen. Ich ziehe meine Sportschuhe an, werfe meine graue Winterjacke über, stecke den Schlüssel in meine linke Jackentasche und gehe hinaus. 

Ich halte in der Rechten mein Handy, stelle immer wieder die passende Musik ein, die meine eigene Fortsetzung des Buches unterstreicht. Nach ein paar Minuten habe ich das Dorf hinter mir gelassen und gehe in den Wald. Wie immer mache ich keine Taschenlampe an, ich bin oft genug diese Strecke gegangen, um mich in der Dunkelheit nicht zu verlaufen. Die Musik ist so lauf aufgedreht, dass ich das Knirschen des Schnees unter meinen Schuhen nicht höre. Meine Finger sind kalt und zittern schon etwas, doch das stört mich nicht, so sehr bin ich in meine Geschichte versunken. 

Gerade, als ich kurz stehen bleibe um die Musik zu wechseln, höre ich ein Knacken rechts von mir. Ich schaue in den Wald hinein, es ist so düster, dass ich nur die ersten Stämme und Äste schemenhaft erkennen kann. Ich mache die Musik wieder an, drehe sie etwas lauter und laufe weiter. Etwas gruselig finde ich es jetzt schon, aber trotzdem gehe ich meine gewohnte Runde, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben. Ich laufe zügig durch die Nacht und starre auf den Boden, ich habe mir beruhigende Musik angemacht, um mein Unwohlsein zu überspielen. Weiße Wölkchen bilden sich vor meinem Mund, meine Schuhe hinterlassen eine Spur im Schnee. 

Plötzlich spüre ich einen warmen Hauch in meinem Gesicht. Ich bleibe schlagartig stehen und hebe ganz langsam meinen Kopf. Nichts. Nur die Dunkelheit und ein paar einzelne Schneeflocken, die direkt vor meinem Gesicht hinab gleiten, kann ich ausmachen. Ich nehme meine Ohrstöpsel aus meinen Ohren und mache die Musik aus. Es ist mucks Mäuschen still, nur meine eigenen Atemzüge sind zu hören. „Hallo?", flüstere ich und drehe mich ganz langsam um mich selbst, „Ist da jemand?". Ich spüre eine ganz kurze und leichte Berührung an meiner Schulter. Ich schrecke zurück, hole mein Handy aus der Tasche und schalte die Taschenlampe ein. Der kleine Lichtkegel erhellt den schmalen Trampelpfad und ein paar Bäume und Büsche um mich herum. Ich atme schneller: „Hallo? Ist da wer?". Keine Antwort. 

Ich drehe mich wieder um und gehe schnellen Schrittes den Weg entlang und murmle vor mich hin: „In 20min bist du wieder daheim, in 20min." Ich vergrabe mein Gesicht in meinem Schal, um mich vor der beißenden Kälte zu schützen: „Da machst du dir dann einen schönen Tee, liest das Buch zu Ende und ..." Ein unheimliches Kichern schallt durch das Geäst über mir. Ich schaue hoch und kann eine Gestalt erkennen. Flink springt diese von Ast zu Ast. 

Ich renne los, mein Herz schlägt mir bis zum Hals, meine Füße trommeln auf dem Boden, meine Arme bewegen sich an meinen Seiten, rhythmisch zu meinen Schritten, vor und zurück. Ich höre Äste krachen und tote Nadeln und Schnee rieseln auf mich hinab. Wurzeln und gefrorene Pfützen lassen mich Stolpern, ich falle auf alle Viere. Keuche und stemme ich mich sofort wieder hoch, wische mir den Schnee aus dem Gesicht und will gerade weiter rennen, als mich drei große, gelbe Augen anstarren. Ich keuche, etwas außer Atmen und taumle zurück. Das Ding kommt weiter auf mich zu, und kichert unheimlich. Ich halte mein Handy hoch und schreie auf. 

Eine spindeldürre Gestalt mit einem großen Kopf, drei Augen, schlitzförmigen Pupillen und einem riesigen, mit spitzen und langen Zähnen besetzten Mund, starrt mich an und grinst. Es bleckt die Zähne und leckt sich über seine dünnen, grauen Lippen. Ich schiebe mich von dem Monster weg, das Handy immer noch auf die Kreatur gerichtet und zittere, nicht vor Kälte, aber vor Angst, denn ich habe panische Angst. Mein Herz rast so schnell, dass ich kaum noch Luft bekomme. Ich rutsche immer weiter zurück, doch das Ding folgt mir langsam auf allen Vieren. Seine dünnen Arme enden in großen Händen, mit überlangen Fingern und Krallenartigen Nägeln. 

Drei Augen in der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt