Doch anstatt wieder nach Hause zu fahren, und das Internet weiter nach dieser Kreatur zu durchforsten, fahre ich zum nächsten Baumarkt. 2 große Handscheinwerfer landen als erstes in meinem Wagen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Ding nur bei Nacht aktiv ist, ob es Lichtscheu ist oder nicht, weiß ich nicht, aber wenigstens ich möchte in der Dunkelheit etwas sehen. Aber ich besorge noch andere Sachen. Funksprechgeräte habe ich schon daheim rumliegen, aber Stacheldraht noch nicht. Also besorge ich mir eine große Rolle Stacheldraht und Stützen für einen Zaun, den ich noch aufstellen will. Als ich in eine Zeile abbiege, um mir dicke Arbeitshandschuhe zu kaufen erstarre ich. Scheiße ... das hatte mir gerade noch gefehlt. Lora steht von über gebeugt beim Handschuh-Regal und betrachtet zwei unterschiedliche Hitze-Handschuhe. Ich mache ein paar Schritte mit meinem Wagen zurück. Doch das Rattern und Klappern meines Einkaufswagens und des Stacheldrahtes, erregen Loras Aufmerksamkeit und sie dreht sich zu mir. Ich schlucke und starre sie einfach nur an. Sie hat sich ihre langen, grauen Locken zu einem unordentlichen Dutt hochgesteckt. Ihre schmale, unauffällige Brille sitzt ihr etwas zu weit vorne auf der Nase. Sie trägt einen blauen Arbeitskittel, der überall mit Ton und Farbe beschmiert ist. Im Gegensatz zu mir ist sie gut gealtert, in meinen Augen gibt es keine schönere Frau. Ich liebe ihre schmalen Handgelenke, ihre Langen dünnen Finger, die so umsichtig mit Dingen umgehen können, die so zärtlich den Kopf unseres Sohnes gestreichelt haben. Ihre schlanke Taille, so schmal und zierlich. Auf ihrem Gesicht sind überall Lachfältchen verteilt, ihre Wangen sind rosig und ihre grünen Augen glänzen, während mein Gesicht nach unten hängt, meine Augen trist und trüb wirken. Sie macht zu erst den Mund auf, sie trägt einen neuen Lippenstift ... oder trägt sie zum ersten Mal gar keinen? Ich kenne mich wirklich nicht mit solchen Dingen aus. Sie hebt das paar Handschuhe, für das sie sich entschieden hat in die Höhe: "Meine sind mir heute kaputt gegangen ... brauche sie für meinen Brennofen."
"Aha", zu mehr bin ich nicht in der Lage.
"Und ... was hat dich hierher verschlagen?"
Ich deute nur auf meinen Wagen und sage nichts.
"Schön, schön ... wofür brauchst du denn den ganzen Stacheldraht?", fragt sie mich, versucht eine kurze Unterhaltung ein zu leiten um die unangenehme Situation zu überspielen.
"Kids ... an der Hütte ... brechen immer ein.", schon wieder lüge ich jemanden an, der mir wichtig ist.
Sie nickt und rückt sich ihre Brille zurecht und gibt es auf mich in einen Smalltalk zu verwickeln: "Also dann ... mach's gut Michael." So nennt sie mich erst, seit dem wir geschieden sind ... und ich hasse es.
"Mach's gut.", nuschle ich und schaue ihr hinterher, als sie sich umdreht, zwischen den Regalen entlang geht, am Ende abbiegt und aus meinem Sichtfeld verschwindet. Noch einen kurzen Moment stehe ich an Ort und Stelle, dann werfe ich ein paar Handschuhe in meinen Wagen, nehme noch eine Drahtschere mit und gehe dann zur Kasse, in der Hoffnung dort nicht wieder Lora zu begegnen. Und ich habe Glück, beim Bezahlen kann ich Lora nirgendswo entdecken.
Ich lasse das Zeug gleich in meinem Auto liegen und gehe die Treppen zu meiner kleinen Wohnung hoch. Es ist schon wieder Zeit fürs Abendessen und ich schaue in den Brotkasten. Natürlich ... das Brot hatte sich immer noch nicht von selbst eingekauft. Ich seufze und überlege kurz, ob ich mir etwas liefern lassen soll ... doch ich habe keine Lust. Also öffne ich den Kühlschrank, stimmt ja ... die Lasagne hatte ich schon gegessen ... also bleibt mir nur noch der Joghurt übrig. 0,1% Fett. Der armselige Versuch etwas ab zu nehmen. Ich starre traurig die Plastikverpackung an, eine gezeichnete Kuh grinst mich mit Gras im Mund an. "Ein echt schreckliches Abendessen.", sage ich zu mir selbst, nehme einen Löffel, und hocke mich aufs Sofa. Als ich die erste Portion von diesem ekligen, fettarmen Naturjoghurt in den Mund schiebe fällt mein Blick auf das gestapelte Geschirr, das noch von heut früh auf meinem Tischchen steht. Ich lege mein Abendessen zur Seite, stehe auf, gehe zu meinem Fernseher und bücke mich. Mein Finger wandert zu dem CD-Player, der unter meinem DVD-Spieler steht, und drückt auf Play. Freddi Mercury ertönt aus meinen Boxen und singt: "Ohhhh Lets go! Steve walks warily down the street, With his brim pulled way down low, Ain't no sound but the sound of his feet ..." Ich richte mich auf und meine Laune bessert sich etwas. Dieses Lied haben Lora und ich als junge Erwachsene oft zusammen gehört. Wir haben gelacht und ganz verrückt gelacht. Ich war damals noch ihr Luftgitarrenkönig gewesen. Einmal haben wir so von der Musik mitgerissen, dass ich mit unserem grünem Opel einen Unfall gebaut hätte. Der Lastwagen ist Hupend an uns vorbei gerauscht, wir haben nur gelacht und hatten zu Hause dann eine kleine Überlebens-Pary zu zweit. Es war Loras Idee gewesen, unser Glück mit Sekt und selbstgemachter Pizza zu feiern. Und ab diesem Moment, haben wir immer Queen im Auto gehört. Es wurde uns nie langweilig. Ich muss lächeln an die Erinnerung, ich habe schon lange nicht mehr wirklich gelächelt. Ich trage das Geschirr in die Küche und beginne mit dem Abwasch. Die CD läuft immer weiter und als ich ins Wohnzimmer zurück komme, drehe ich die Lautstärke etwas auf und beginne meine Wäsche in den Wäschekorb zu legen. Ich schiebe ihn zur Tür, sodass ich das morgen daran erinnert werde in den Wasch-Salon zu gehen. Dann hole ich sogar den Staubsauger hervor und sauge meine Komplette Wohnung. Ich beziehe mein Bett neu und putze, mit pinken Gummihandschuhen und Fliesenreiniger bewaffnet das kleine Bad. Ich bin genau in dem Moment fertig, als das letzte Lied auf der Queen-CD zu ende ist. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und betrachte zufrieden mein Werk. Morgen werde ich bei meinem Sohn an rufen, direkt wenn er von der Arbeit kommt. Aber jetzt gehe ich erst mal ins Bett. Nichts fühlt sich besser an, als sich in ein frisch gemachtes Bett zu legen.In dieser Nacht hatte ich keinen Alptraum. Also wache ich gut gelaunt auf, dusche mich kurz, ziehe mich an und steige in mein Auto. Die Wäsche habe ich in meinem Kofferraum verstaut und ich bringe sie auch gleich zum nächsten Waschsalon. Während ich dort warte, verfasse ich eine Mail für meinen Sohn an meinem Hand:
Lieber Sohn,ich möchte mich für mein gestriges Verhalten entschuldigen. Als Wiedergutmachung würde ich gerne das Wochenende mit dir zusammen in meiner alten Hütte im Schwarzwald verbringen. Ich komme für alle Kosten auf.
Grüße, Michael
Ich drücke auf Senden und hoffe, dass mein Sohn einwilligt. Natürlich habe ich mir für dieses Wochenende schon etwas ausgedacht. Aber das wird er erst erfahren, wenn wir gemeinsam dort sind.
Ich trommle mit den Fingern auf die Waschmaschine, warte und beobachte die Menschen um mich herum. Eine junge Mutter mit schlafendem Baby, eine ältere Dame mit einem schrecklichen blauen Lidschatten und pinken Lippen hat einen Hund dabei. Wer zur Hölle nimmt denn seinen Hund in einen Waschsalon? Aber immerhin ist es ein kleiner Hund ... einer von diesen widerlichen, kleinen Möpsen. Der Hund starrt mich mit seinen hässlichen Glubschaugen an, an seinen schwarzen Lefzen läuft ihm sein Sabber hinunter. Sein plattes Gesicht dreht sich von mir weg und wendet sich seiner Herrin zu, die sich auch noch allen Ernstes eine Zigarette ansteckt. Leute gibt's ... dass ist echt kaum zu glauben. Doch Gott sei Dank, piept die Waschmaschine und ich hole meine Sachen aus der Trommel und werfe sie in meinen blauen Wäschekorb. Ich werfe der unmöglichen Person und ihrem hässlichem Vieh noch einen letzten Blick zu und gehe dann einkaufen.
Auch wenn meine Kreditkarte langsam an ihre Grenzen kommt, gönne ich mir und Tim einen guten Rotwein für das Wochenende und kaufe allerlei Leckereien. Mit einem vollen Einkaufswagen fahre ich zurück zu meiner Wohnung, als ich den Kofferraum öffne, bemerke ich, dass ich mir nichts zum Hochtragen mitgenommen habe. Ohne zu zögern lege ich die Sachen in den Wäschekorb zu meinen Klamotten und trage diesen ächzend hoch. Oben angekommen, sortiere ich alles in den Kühlschrank ein, lege die Wäsche zusammen und verstaue sie in meinem Kleiderschrank. Ich glaube meine Wohnung sah noch nie so ordentlich aus, wie jetzt. Vielleicht liegt es daran, dass ich Lora wieder gesehen habe ... oder dass mir langsam bewusst wird, dass ich eine große Aufgabe vor mir habe. Ich hasse es zu sagen, aber ich glaube ich sollte langsam mal etwas erwachsener werden, zumindest was die Hausarbeit an geht. Und ich gebe zu, in einer aufgeräumten und geputzten Wohnung ist es gleich viel angenehmer. Voller Vorfreude auf das Wochenende schalte ich mein Handy an. Keine neunen Mails oder Nachrichten. Nun gut ... dann bereite ich mich eben schon mal auf den Ausflug mit meinem Sohn vor, dass er diesen absagen könnte, kommt mir gar nicht in den Sinn.
Ich hole die Fotos, die ich gestern per WLan ausgedruckt habe aus meinem Drucker und füge sie der Letum-Akte zu. Ich grinse: "Mit diesen Fotos werde ich Tim schon überzeugen können." Dann fahre ich meinen PC hoch, den ich auf meinem Schreibtisch abgestellt habe und schaue mir Videos auf diesem YouTube an, wie man einen hohen Stacheldraht-Zahn baut. Mir fällt auf, dass es viel schlauer gewesen wäre, mich vorher zu informieren, denn dann hätte ich gewusst, dass ich die falschen Handschuhe gekauft habe. Aber das ist mir egal und surfe weiter im Internet. Als ein Plop aus meinem Handy ertönt schaue ich erwartungsvoll auf mein Display und tatsächlich hat mir mein Sohn eine Mail geschrieben:
Gerne doch. Ich komme am Freitag nach der Arbeit zu dir. :)
Ich lächle und gehe in die Küche um mir das erste Mal seit Wochen etwas zu Essen zu kochen. Lora war eine super Köchin, doch seit wir geschieden sind muss ich alles selbst machen. Doch dank des Internets und den vielen hilfreichen Seiten habe ich schnell ein einfaches Rezept für Pasta gefunden. Hat gar nicht so übel geschmeckt ... auf jeden Fall besser als diese Tiefkühl-Lasagne von Vorgestern.
DU LIEST GERADE
Drei Augen in der Dunkelheit
TerrorSchon oft bist du diesen Weg durch den Wald gegangen. Doch heute ...