Harry POV.
Mit Schwung zog ich die hintere Türe des Autos auf. Der silberne Lack glänzte in der noch aufgehenden Morgensonne. Ich schloss noch ein letztes Mal meine Augen und atmete intensiv die süßliche, so verlockende Meeresluft ein und lauschte dem Gezwitscher der Möwen, bevor ich meine Hand ausstreckte und sich meine Zukunft in meine Hände legte.
Ich umschloss die, in einen seidenen Handschuh gewickelte, dünne Hand und half Kendall, meiner Verlobten aus dem Auto. Sie schaute mich nicht an, sagte aber nichts, sondern stieg einfach aus und stellte sich etwas vor mich.
Unter ihrem Hut konnte ich erkennen, wie sie an den Pier schaute, direkt auf das Schiff, das uns beide auf den Weg in die Ehe fahren sollte. Sie verzog keine Miene, mich jedoch faszinierte dieses Schiff von vollkommener Schönheit mehr als ich hätte beschreiben können.
Zu Lebzeiten war mein Vater ein begeisterter Begründer der modernen und innovativen Technik gewesen. Dies schien ich wohl von ihm geerbt zu haben. Ebenso wie die vielen Millionen Pfund auf der Bank.
Diese Faszination an der Technologie jedoch verband mich und ihn schon seit ich ein kleiner Junge war auf einer Vater-Sohn Ebene, wie nur wir sie vielleicht haben konnten. Er hatte mich zu dem gemacht, was ich heute bin und auch jetzt noch bin ich jede Sekunde stolz ihn meinen Vater nennen zu dürfen.
Meine Kindheit war perfekt und vollkommen. Mein Vater, so wie auch meine Mutter zeigten mir, was es heißt unendliche Liebe empfinden zu können und wurden zu meinen größten Vorbildern. Das viele Geld und den angesehenen Status, den unsere Familie besaß, hatten immer zweiten Rang. Doch die Krankheit und letztendlich auch der Tod meines Vaters veränderte dies in jeglicher Hinsicht. Genauso wie meine Mutter.
Der Verlust von ihm, ließ ihr Herz erkalten. Sie dachte ständig an unsere Zukunft und daran, der Welt zu zeigen, wie stark und emanzipiert sie doch war. Sie kämpfte um jeden Preis darum, eine der wohlhabendsten Familien Englands zu bleiben.
Eine Vermählung mit einer Dame aus der Jenner Familie würde dieses Ansehen und das Geld auf der Bank, so sagte meine Mutter immer, nur noch vermehren. So musst ich also vor einigen Monaten um die Hand der älteren Tochter, Kendall, anhalten.
Die einstige, bedingungslose Liebe hatte ich jedoch schon vor Jahren, zusammen mit meinem Vater beerdigt.
Ich schaute mich durch das Gewusel der Menschen um, stets suchend nach dem einen blau, das für mich die grenzenlose Freiheit bedeutete. Und da entdeckte ich, zwischen unzähligen Haarschöpfen und Hüten, das Meer. Ich schaute sehnsüchtig auf die leichten Wellen im Liverpool Hafen, über denen die Möwen kreisten.
Ich hätte nicht in Worte fassen können, wie sehr mich eine unbegreifliche Kraft nach dort draußen zog. Weg von den kaltherzigen Menschen und all den Pflichten. Weg von einem Leben, das ich nicht bereit war zu leben.
,,Harold, nimmst du meine Tasche?" Kendalls bestimmerische Stimme ließ mich herumfahren. ,,Du bist ja schließlich auch der Mann", lachte sie auf und ich zwang mir ein Lächeln auf die Lippen. ,,Ein richtiger Gentleman, mein Sohn", fügte meine Mutter hinzu und trat hinter uns.
Sie und Kendall lachten wieder gemeinsam und da wurde mir klar, dass ich alles andere als bereit war, ein Leben wie dieses zu führen. Ein geregeltes, alltägliches Leben, in einem wohlhabenden Haus, an der Seite einer Frau wie Kendall würde mich niemals vollends befriedigen. Mein gesamtes Inneres zehrte sich nach dem Risiko, dem Abenteuer und der Freiheit. Ich sehnte mich nach der weiten Welt und einem Leben, in dem kein Tag wie der andere war. Ein Leben, in dem ich wieder etwas fühlen konnte, auch wenn es nur das Gefühl der Freiheit und des Adrenalins in meinen Adern sein würde.
Doch ich wusste, dass so ein fiktionales Leben keine Option für mich war. Ich würde Kendall zur Frau nehmen und das Leben leben, das man von mir erwartete. Die Frage war nur, wie lange ich dies durchstehen würde ohne daran zu zerbrechen.
Ein paar wenige Augenblicke später hatten die Buttler die restlichen Koffer und Taschen aus dem Auto getragen und gingen schon vor, mitten hinein in die Menschenmenge. Kaum hatte ich mich versehen, zog mich meine Mutter hinter sich her.
Als wir durch das Gedränge von Menschen aus den unteren Klassen liefen, gaben meine Mutter und auch Kendall immer wieder abfällige Wort von sich. Ich jedoch sagte nichts und senkte einfach nur den Kopf zu Boden. Auf einmal spürte ich eine kühle Brise von der linken Seite auf meiner Haut.
Meine Neugierde verleitete mich dazu, diesem Luftzug zu folgen und hinter mehreren Erwachsenen und Kindern, die alle mit schwerem Gepäck das vor ihnen emporragende Heck des Schiffes bewunderten, tat sich der Ozean auf.
Ich stellt mich ganz an den Rand, sodass meine Zehenspitzen schon in der Luft schwebten. Einen Schritt weiter und ich wäre hineingefallen in das Wasser. Ich breitete meine Arme aus nahm tief in meinen Lungen den Duft der Freiheit auf. Für einen winzigen Moment fühlte es sich so an, als würde ich fliegen. Mein Hemd flatterte unter meinen Ärmeln und ich da fühlte ich diese Verbundenheit mit dem, was auch immer da hinterm Horizont lag.
Ein hoher Schrei brachte mich zurück in die Realität. Ich erkannte Kendalls grelle Stimme sofort. Ich drehte mich um und folgte augenblicklich dem Aufschrei. Zurück in der Menschenmenge angekommen konnte ich schon sehen, wie Kendall, meine Mutter und einige der Buttler die ärmeren Menschen zur Seite gedrängt hatten.
,,Meine Tasche, sie wurde gestohlen". Ich blickte mich um, doch es war unmöglich in dem Gedränge einen Dieb ausfindig zu machen. Ich ging also auf sie zu, doch anstatt mich anzusehen, schaute sie mir über die Schulter auf eine der Boardtüren für die dritte Klasse. Ich drehte mich um und folgte ihrem Blick, doch ehe ich etwas wahrnehmen konnte, übernahm meine Mutter wieder meine Aufmerksamkeit. ,,Das hat man davon, wenn man den Drittklasspassagieren zu nahe kommt. Zigeuner". Ich schluckte über die verächtlichen Wort meiner Mutter.
Kendall indessen fuchtelte aufgebracht mit den Händen in der Luft herum und verlangte nach der Polizei.
,,Kendall, nun beruhige dich doch. Ich bin sicher, sie werden deine Tasche finden", versuchte ich auf sie einzureden. ,,Ich verlange noch heute, meine Tasche wieder in den Händen zu halten", entgegnete sie kalt. Ich setzte an etwas zu sagen, doch mir wurde das Wort von einer dunklen Männerstimme abgeschnitten.
,,Und das werden sie auch, Miss Jenner". Ein mittelalter Mann mit braunem Haar und Bart reichte ihr die Hand. ,, John Reynolds. Erster Offizier für Schiffssicherheit. Es ist mir eine Ehre". Zufriedengestellt nahm Kendall die Hand an und nach meiner Mutter begrüßte auch ich ihn höflich, wie man es mir beigebracht hatte.
,,Und nun, dürfte ich sie an Board geleiten? Familie Jenner und Mills erwarten sie bereits", wandte er sich an uns. Wir alle nickten und setzten uns in Bewegung.
Meine Mutter und Mister Reynolds mit Kendall am Arm liefen voraus und ich hinterher. Wie entfernten uns von den vielen Menschen und betraten ein leeres Gate. Durch eine großen Eingang, an dem links und rechts zwei Männer in Offiziersanzügen standen, die uns zunickten, betraten wir das gigantische Schiff.
Ohne auch nur einmal zu zögern verließ ich mit einem einfachen Schritt, das Land, das für mich ein nur ein Leben von Geld und gesellschaftlichem Ruf bedeutet hatte, dennoch auch wohlwissend, dass mich in dem Land fernab vom der vertrauten Heimat eine nicht weniger schlimme Zukunft erwarten wird.
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Hey,
nach langer Zeit endlich mal das zweite Update von dieser Story!
Lasst gerne eure Meinungen zu der Story da und ob wir sie weiter schreiben sollen.Eine schöne Adventszeit noch,
Lin & Caro 💕
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Britannic - Deeper than the ocean ♡ || Larry ||
RomanceTitanic. Jeder kennt das tragische Schicksal des riesigen Passagierdampfers, als in einer Nacht über 2200 Menschen bis zur letzten Minute ums bittere Übereleben kämpften. Aber die Geschichte hat auch eine andere Seite. Es gibt wohl kaum noch Mensch...