Es war mitten in der Nacht, 2:41 Uhr um genau zu sein. Meine verheulten Augen brannten und Willow´s Schnarchen klang wie ein Walross, dass einen Hustenanfall hatte. Ein Wunder, dass sie nach den letzten Tagen noch schlafen konnte.
Dad war tot. Er war nicht auf irgendeiner seiner blöden Geschäftsreisen, nein, er war tot. Und er würde nicht zurückkommen. In dieser Nacht war es mir klar geworden. Wir standen an seiner Beisetzung an seinem Grab, Mom, Willow und so ziemlich jeder Besucher der Beerdigung weinten. Aber ich? Nein. In dem Moment erschien alles surreal, wie ein Traum, eine Halluzination. Mein Gefühl sagte mir, wir sind auf der Beerdigung eines Fremden, das in diesem Sarg ist nicht mein Dad. Der mich immer zur Schule gefahren hat, mir eine Gutenachtgeschichte vorgelesen hat. Es war einfach falsch. Mein Dad befand sich meiner Meinung nach gerade im Flugzeug auf den Weg nach Shanghai. Das Schicksal hatte hier einen Fehler gemacht.
Es fing damit an, dass meine Mom einen Anruf von einem Polizisten bekam. Er erklärte ihr, dass Dad einen Autounfall hatte und nun mit Knochenbrüchen im Koma lag. Willow und ich saßen gerade im Wohnzimmer, als Mom plötzlich auf dem Boden zusammenbrach und weinte. Okay, weinen ist was anderes, sie schrie und weinte gleichzeitig. Ich konnte sie gerade so gut abregen, dass sie uns ins Krankenhaus fahren konnte. Wir liefen durch lauter weiße Flure, Krankenschwestern und Patienten kamen uns entgegen, es roch nach Desinfektionsmitel und Hustensaft. Als wir in sein Zimmer kamen, hat Mom nichts gesagt, sondern das Gesicht von Dad die ganze Zeit gestreichelt und auf ihn eingeredet. Willow und ich fanden das echt mega gruselig, Mom war komplett aus ihrer Rolle gefallen. Sie verließ ihn nicht und nur wenn die Besuchszeiten vorbei waren, kam sie nach Hause, schlief, und rannte am nächsten Tag so früh wie es ging zu Dad.
Nach Tests wurde festgestellt, dass Dad innere Blutungen im Gehirn hatte. Mom fing an, im Krankenhaus zu übernachten und überließ mir die Verantwortung. In dieser schweren Zeit restaurierte ich das Auto meines Dads weiter, wenn es bis zu seinem Erwachen fertig war, konnten wir eine Spritztour machen, dachte ich.
Aber dann nach einem halben Jahr starb mein Dad. Es ist alles zuviel geworden. Mom hatte irgendwie verlernt, zu leben. Sie interessierte es nicht, was mit mir und Willow passierte, sie aß nichts, ging nicht aufs Klo und versteckte sich in ihrem Zimmer, die Rolläden immer zu. Das war definitiv die schlimmste Zeit meines Lebens. Die erdrückende Stimmung zuhause tat meiner optimistischen Persönlichkeit garnicht gut, ich ging immer zu Freundinnen oder an den Strand. Santa Barbara hatte schöne Strände. Man konnte seine Zehen in den warmen Sand graben, sich sonnen und alles um sich herum vergessen.
Und nun lag ich im Bett, heulte mir die Augen aus dem Kopf und beschmierte mein Kissen mit meiner nassen Wimperntusche. Es war aus, aus und vorbei. Dad hatte verloren. Mom hat sich selbst verloren. Unsere Familie war ein emotionales Wrack.
Ich hörte, wie jemand leise auf den Flur trat. Onkel Harper brachte meinen quengligen Cousin Eminem gerade aufs Klo. (Ja, mein kleiner Cousin heißt Eminem. Onkel Harper hatte eindeutig zuviel Encore gehört.) Onkel Harper zischt die ganze Zeit, weil Eminem so laut ist. Und dann höre ich ein lautes Platschen auf unseren Fliesen. Und wie Eminem anfängt zu heulen. So richtig laut. Eminem hatte sich auf die Fresse gelegt, aber ich hatte schlimmere Probleme als ihn. Also blieb ich im Bett liegen.
Meine ganze Familie war zur Beerdigung gekommen und übernachtete noch bei uns. Sie wohnten alle in Prescott in Arizona, und es dauerte siebeneinhalb Stunden mit dem Auto hierher zu fahren. Deshalb blieben sie für drei Tage.
Drei scheiß Tage erfüllt mit depremierter Stimmung. Eigentlich konnte ich sehr gut darauf verzichten, mit meiner Familie um meinen Dad zu trauern. Das sind praktisch drei verlorene Tage! Und ich will mein Leben genießen. Geht zwar schwer, wenn dein Dad gestorben ist, aber hey! Ich will nicht daran denken, und eine dreitägige Trauerfeier würde mich jede Minute daran erinnern, dass er von uns gegangen ist.
Also stand ich auf, schlüpfte in meine mit blaugefärbtem Fell gefütterten Hausschuhe und lief auf leisen Sohlen in die Garage. Ich tüftelte die ganze Nacht an dem alten VW-Bus herum, vollendete Dads Arbeit. Ich war mir sehr sicher, er hätte gewollt, dass ich das olle Ding auf Trab bringen würde.
Und gegen sechs Uhr morgens ließ sich der Motor starten.
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Summer Road Trip
AdventureLeslie hat die Schnauze voll von ihrem Leben. Sie will etwas erleben und sich der traurigen Stimmung von Zuhause entreißen. Sie restauriert den alten VW-Bus ihres verstorbenen Vaters und macht sich auf ein Abenteuer ins Ungewisse. Sie macht mit alte...