eins

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"Oh. Mein. Gott." Ich stand im Pyjama in unserer Küche und sah Willow vor dem Herd stehen. Sie trug Moms alte blaue Kochschürze, die ihr viel zu groß war und hielt einen Holzpfannenwender in der Hand. Und sie machte Pfannkuchen. Willow drehte sich erschrocken um, aber lachte sich einen ab, als sie mein begierdiges Gesicht sah.

"Du sabberst!", rief sie und lachte noch lauter. Ich grinste leicht, aber hatte im Hintergedanken meinen Dad. Ich war froh, dass wenigstens eine seiner Töchter wieder unbeschwert lachen konnte.

"Wielange ist es her, seit ich das letzte Mal diese göttliche Speise aus Milch, Mehl, Eiern und einer riesigen Menge an Ahronsirup zu mir genommen habe?", betete ich und verbeugte mich vor Willow.

"Ich hab sie probiert, die schmecken irgendwie komisch. Wahrscheinlich waren die Eier doch nicht so gut, wie ich dachte...", sagte sie und wabbelte mit einem dicken Pfannkuchen auf der Gabel in der Luft.

"Du kaust wohl auf deiner eigenen Unterlippe rum!", sagte ich vorwurfsvoll, musste dann aber doch losprusten.

Willow hatte den Tisch schön dekoriert und alles, was zu einem Frühstück gehört, dazugestellt. Brombeermarmelade, Honig, Butter, Brötchen und viel mehr. In der Mitte prangte ein schöner Blumenstrauß mit vielen weißen Pfingstrosen. Natürlich durfte mein Bio-Ahornsirup aus Vermont auf keinen Fall fehlen, dass wäre wie Weihnachten ohne Geschenke - also unmöglich!

"Das ist ja schön und gut, aber was ist dein Grund, dass du früh morgens aufstehst und Pfannkuchen machst?", überlegte ich laut, während ich kritisch meine zu große Nase im Löffelrücken betrachtete. Willow schwieg einen Moment, und als ich mich wiederholen wollte, antwortete sie mir.

"Heute ist Muttertag."

Stille. Außer dem Brutzeln und Pfeifen der Pancakes unter dem zu öligen Pfannenboden fiel kein einziges Geräusch. Wir warteten, aber auf was, weiß ich nicht.  Da niemand von uns beiden daran dachte, das Schweigen zu brechen, stand ich auf und lief nach oben in mein Zimmer. Im Vorbeigehen schnappte ich mir das Haustelefon von der Kommode im Flur und  tippte die Handynummer von Mom ein.

Es tutete acht mal, bis sie endlich ranging.

"Laurel Harper, guten Tag?", brummte Mom müde ins Handy.

"Mom, ich bin es, Leslie.", begrüßte ich sie schnell.

"Wann kommst du endlich nach Hause? Ich hab mir gestern voll sorgen gemacht!"

Am anderen Ende der Leitung gähnte Mom ausgiebig.

"Schatz, ich liege gerade halbnackt mit einem Schwarzen im Bett der bestimmt 20 Jahre jünger ist als ich. Und ich erinnere mich an garnichts  von gestern Nacht. Macht euch was zu Essen und habt nen guten Tag."

Na wenigstens war sie ehrlich.

"Mom, Party machen ist nicht immer eine Lösung.", schimpfte ich. "Manchmal halt schon.", unterbrach sie mich, aber ich ignorierte den Kommentar und fuhr fort.

"Wenn dir etwas an uns liegt, stehst du jetzt sofort auf und kommst nach Hause. Bitte!", setzte ich noch hinzu. Mom stöhnte genervt und legte schnell auf. Ich drückte auf den roten Knopf und zog eine wütende Grimasse. Ich schmiss das Handy auf mein Bett und schrie einmal kurz. "Ich hasse dich!", schrie ich in die Richtung des Handys, auch wenn ich wusste, das Mom längst nicht mehr dran war.

Wütend stapfte ich die Treppen runter in die Küche. Als meine Hand die Türklinke berührte, hielt ich kurz inne. Ich atmete tief ein und tief aus.

Eins, zwei, drei, vier. Ich zählte die Zahlen langsam in meinem Kopf. Dad hatte mir das vor vielen Jahren beigebracht. Als Literaturwissenschaftler setzte er sich oft mit alten Gedichten oder Schriftstellern auseinander. Sein Lieblingszitat war von Goethe: "Bist du wütend, zähl bis vier - hilft das nicht, dann explodier!"

Er hatte immer diese Technik angewendet und auch mir und Willow immer wieder erklärt. Deshalb hatte er auch so einen ruhigen, aber starken Charakter. Wie ein Fels in der stürmischsten Brandung. Ich dachte mir immer, er würde was Großes werden. Aber jetzt war er nurnoch ein großes Nichts.

Als ich die Küche betrat, saß Willow schon am Tisch und lächelte mich an.

"Hast du Mom geweckt?", fragte sie und ich hätte mich danach wirklich selbst ohrfeigen können, als ich sagte:

"Nein, Mom's Muttertagsgeschenk ist 'n Nigga!"

Willow lächelte immernoch, aber es war kein fröhliches Lächeln mehr. Eher ein Lächeln, bevor man anfängt zu weinen. Ich seufzte innerlich und setzte mich an den Tisch.

"Fröhlichen Muttertag.", murmelte ich und stapelte meine Pfannkuchen.

Willow hatte Recht. Die Pfannkuchen schmeckten irgendwie muffig, aber der Ahornsirup konnte die Muffigkeit irgendwie verdecken. Willows Pfannkuchen mussten etwas salzig geschmeckt haben, denn auch wenn sie mit ihren herunterhängenden, blonden Locken ihr trauriges Gesicht verdecken konnte, sah ich die Tränen, die auf ihren Pfannkuchen tropften.

Summer Road TripWo Geschichten leben. Entdecke jetzt