Meine Hände waren schon ganz taub von den vielen, schweren Einkaufstüten, die ich und Willow mit uns herumschleppten. Die Ereignisse des Tages lasteten schwer auf meinen Schultern und ich trauerte meinen geliebten Shorts nach. Die Füße schmerzten und mein Magen machte sich lautstark bemerkbar.
"Ich hab Hunger.", maulte ich rum. Willow war ganz entspannt und schwenkte ihre Tüten freudig hin und her. Von der Traurigkeit vom Morgen war keine Spur zu sehen und ihre Augen auch nicht mehr rot und angeschwollen. Zum Glück, denn eine traurige Willow war echt das allerletzte was ich an solchen Tagen gebrauchen könnte.
Die weißen Shorts hatte ich kurz bevor wir aufgebrochen waren in den Müll befördert und ein Stoßgebet in den Himmel geschickt, dass die Shorts noch nicht ausverkauft waren. Dillard's hieß die kleine aber bekannte Boutique am Rande der Innenstadt von Santa Barbara. Sie gehörte einer etwas älteren Dame names Lydia Dunne, die den Laden schon seit Ewigkeiten führte. Jeder Bewohner von Santa Barbara kannte sie, und sie war bekannt für ihren Charme und die wunderbaren Klamotten. Ich machte Willow klar, dass sie garnicht erst mit mir diskutieren könnte - zu aller erst würden wir zu Dillard's gehen!
Als ich die Ladentür aufstieß und zur Hosenabteilung rannte, hörte ich Willow murmeln: "Wen meinen sie mit "diese Verrückte"? - Ach die da? Ja, die kenne ich nicht. Ist nicht meine Schwester oder so." Es waren ungefähr sechs andere Frauen und Mädchen im Laden und stöberten herum. Davon vier in der Hosenabteilung. Also musste ich schnell machen, sonst könnte mir jede zur Feindin werden. Die Bügel raschelten und gaben einen unanständigen, quietschigen Laut von sich, als ich die Klamottenstange mit den Shorts durchforstete. Bitte sei nicht ausverkauft, bitte sei nicht ausverkauft. Aber mit jedem beiseitegeschobenen Bügel wurde ich immer missmutiger.
Ein Mädchen kam von den Skinny Jeans zu den Shorts und suchte neben mir die Bügel nach etwas hübschen ab. Sie war vielleicht ein bisschen jünger als ich, hatte lange hellbraune Haare, einen sonnengebräunten Teint und trug ihre Cowboyboots mit einer ausgewaschenen Jeansshorts und einem rotkarierten Hemd kombiniert. Nun hasste ich sie noch mehr, nicht nur weil sie mir auf meiner Shortsjagd gefährlich werden konnte sondern auch weil ich ihren Style garnicht mal so schlecht fand. Ich kam gerade bei ihrer Seite an, als das Mädchen eine hübsche, weiße und mir nicht allzu unbekannte Shorts aus dem Bügelurwald zog. Ich explodierte fast, als das Mädchen ihrer Freundin zurief: "Hey, Miranda! Schau mal, die würde mir bestimmt gut stehen. Ist Größe 36, und auch noch runtergesetzt! Die muss ich doch kaufen, oder?" Jetzt raste bloß nicht aus Leslie, du bist bestimmt rot wie eine Tomate. Und du willst ganz sicher kein Hausverbot im Dillard's, oh nein. Mein Gesicht war ganz heiß und meine Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in meine Hand. Das waren die letzten Paar Shorts, in meiner Größe. Und sie waren auch noch runtergesetzt. Schlimmer ging es echt nicht.
Die Freundin hob grinsend einen Daumen in die Höhe und das Mädchen lief zur Kasse während sie freudig ihr Portemonnaie aus ihrer Tasche kramte. Mit trüben Blick und gescheiterter Mission verließ ich den Laden. Als Willow meine Miene sah, wusste sie, was wir als nächstes machen müssten."Wir könnten ja einen Abstecher beim nächsten Fastfoodladen machen.", schlug Willow vor. Und das taten wir auch.
Nach langem Überlegen entschieden wir uns unter unseren Favoriten KFC, Jack In The Box, Taco Bell und Panda Express für eine Runde Hotwings bei KFC. Als Willow die schwere Glastür aufstieß und zur Kasse rannte, um zu bestellen sah ich mich nach Plätzen um. Es war nicht viel los für einen Wochentag, nur an vier Tischen saßen Leute. Ich blickte über die Köpfe hinweg. Und erblickte einen blauen Haarschopf. Der sich in dem Moment zu mir umdrehte.
"Tyler!", rief ich erstaunt und rannte zu ihm. Er sah genauso überrascht aus und stand auf um mich lachend in seine Arme zu schließen.
"Wow, Leslie. Was machst du denn hier?", fragte Tyler und sah mich verblüfft an. Das letzte Mal hatten wir uns vor einem knappen Jahr gesehen, in San Francisco, als ich von Dads dreitägigen Beerdigungsfeier abgehauen bin. Ich starrte ihn genauso verblüfft an. Er sah so viel besser aus als vor einem Jahr. Die Pickel waren leicht zurückgegangen, Muskeln zeichneten sich unter seinem Rockband T-Shirt ab und er trug seine eisblauen Haare als Undercut.
"Ich wohne in Santa Barbara.", hauchte ich, während ich ihn musterte. Auch er musterte mich. Als ich in San Francisco gewesen bin, hatte ich mich nie geschminkt, lief immer in weiten, bunten Hippiehosen rum und trug meine Haare im hohen Zopf. Jetzt trug ich ein dezentes Makeup, meine lockigen, mondblonden Haare offen und eine enge ripped Jeans mit einer weinroten, schulterfreien Bluse. (Hätte ich die Bluse doch nur getragen, als ich zu Mom gefahren bin! Dann hätte ich weniger Arbeit mit dem Rauswaschen der Flecken gehabt!)
"Achja, stimmt.", erinnerte Tyler sich dunkel und wandte den Blick ab, als er sich selbst dabei ertappte, wie er mich zulange ansah. Dies war mir auf keinen Fall entgangen.
"Aber was machst du hier? Und mit wem bist du hier?", fragte ich und versuchte, über seine breiten Schultern zu spähen und einen Blick auf die Person an seinem Tisch zu erhaschen.
"Ähm, das ist", Tyler drehte sich um und gab der Person, die sich als Junge herausstellte, das Zeichen, aufzustehen, "Calum. Er und ich haben diesen Sommer die Schule geschafft und machen jetzt den gesamten Sommer über einen Road Trip quer durch Amerika, erst die kalifornische Küste runter und dann rüber nach Vegas, dazwischen ein Abstecher beim Grand Canyon..."
Während Calum Tyler weiterplappern ließ, hob er grinsend seine Hand und winkte mir zu. Ich winkte schmunzelnd zurück und Tyler stellte schnaubend fest, dass weder ich noch Calum ihm zuhörten.
"Naja, auf jeden Fall wird es richtig geil.", murrte Tyler verschwörerisch und zwinkerte mir lächelnd zu. Dieses Lächeln hatte ich diebisch vermisst, stellte ich wehmütig fest. Tyler ist damals immer derjenige gewesen, der Stimmung in unsere kleine Gruppe gebracht hat. Egal ob mit seinen witzigen Sprüchen oder seinen hausgemachten Brownies. Ich erinnere mich noch an die Pflanzen, die er in seinem Atuoanhänger gebunkert hatte, um sie in seiner neuen Wohnung anzusiedeln. Er liebte seine Pflanzen so sehr, dass er ihnen sogar Namen gegeben hatte. Apropos...
"Wie geht es denn eigentlich Maggie, Milly, Molly und May?", fragte ich und grinste.
"Maggie und Milly musste ich verbrennen, weil ich fast gecasht wurde von den Bullen, Molly wohnt bei meiner Granny und May ist mir treugeblieben wie eh und jeh.", schwärmte er mir vor und ich kicherte. Gott, Leslie, kicher doch nicht wie so eine hirntote Tussi und reiß dich zusammen!, ermahnte ich mich selbst. Ich erstickte das Kichern mit einem Hustenanfall, als mich ein Hotwing am Hinterkopf traf. Wütend drehte ich mich zum Schützen um, der niemand anderes war als Willow, die schon zum nächsten Hotwing greifen wollte.
"Schon gut, wir setzten uns ja schon!", rief ich und wir setzten uns zu Tyler und Calum, nachdem sie es uns angeboten hatten.
"Ich glaube du brauchst eine Brille.", sagte Willow resigniert leise zu mir, als die Jungs aufs Klo verschwunden waren.
"Was...?"
"Du hast den Typen so angestarrt als könntest du nicht genau erkennen wo oben und unten ist!", sagte Willow leicht empört. Ich durchbohrte sie mit einem wütenden Blick.
"Wenn er wenigstens nicht aussehen würde wie ein arrogantes, punkiges Hollistermodel für die Abteilung Hippie for Men, fände ich ihn ansatzweise sympathisch.", fügte Willow hinzu und biss mürrisch in einen Chickenwing.
"Das stimmt garnicht und das weißt du selbst.", stellte ich fest.
Sie kannte ihn nicht persönlich und redete ihn auch nur schlecht, weil ich viele gutaussehende Typen kannte und Willow keinen einzigen. Aber in ihrem Alter war das auch etwas schwerer. Immerhin war sie erst 14 Jahre alt geworden.
"Du bist eifersüchtig.", lachte ich und nahm mir drei große Pommesteile und hielt sie aneinander.
"Huch, guck mal was für eine lange Pommes!", rief ich, um Willow bei Laune zu halten. Sie bedachte mich mit einem Augenrollen, musste aber trotzdem mit den Mundwinkeln zucken.
"Du bist eine Idiotin, Leslie.", grinste Willow.
"Aber eine süße Idiotin.", lachte Tyler, der sich leise von hinten mit Calum herangeschlichen hatte. Ich fuhr zu ihnen herum und ließ die Pommes schnell wieder auf das Tablett plumpsen. Blut schoss mir ins Gesicht und ich boxte Tyler in die Schulter.Ja, ich hatte Tyler wirklich vermisst.
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Summer Road Trip
AdventureLeslie hat die Schnauze voll von ihrem Leben. Sie will etwas erleben und sich der traurigen Stimmung von Zuhause entreißen. Sie restauriert den alten VW-Bus ihres verstorbenen Vaters und macht sich auf ein Abenteuer ins Ungewisse. Sie macht mit alte...