der einzige Ort wo du gemocht wirst

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Es war schon früh als ich aufwachte. Ich musste mich beeilen, sonst wäre ich noch vor dem Spiel Tod. Um dies zu verhindern musste ich das Haus vor meinem Bruder verlassen oder mich verstecken bis er weg war. Man wusste nie in welcher Stimmung er im Augenblick war.
Um 8 wollte ich das Haus verlassen, so der Plan. Ich müsste dann etwas doof rumgammeln aber lieber das als Tod. Also lief ich um Punkt 8 Uhr aus der Haustür, quer durch das Haus in Richtung Keller. Michi stand um diese Zeit in etwa immer auf. Normalerweise. Nachdem ich mein Rad notdürftig geflickt hatte und es aus dem Keller schob, kam mir nämlich das Schicksal dazwischen. Ganz toll! "Hey, auf dem Weg zum Zwergentreff kleine Schwester?", höhnte eine Stimme durch den Hof. Ich verdrehte meine Augen. Ohne weiter drauf eingehen zu wollen, versuchte ich ab ihnen vorbei zu kommen. "Vergiss es, ihr trefft euch doch nicht so früh. Oder müssen deine Freunde wieder früh Zuhause sein und ihr wollt keine Zeit verlieren? Training könnte euch nicht schaden." "Was machst du überhaupt hier? Müsstest du nicht im Traumland sein? Der einzige Ort wo du etwas gemocht wirst" Das hatte gesessen. Er wusste nicht genau was er antworten sollte, das merkte man. Er war es einfach nicht gewohnt Kontersprüche zu bekommen. Selbst ich ließ seine Sprüche meistens über mich ergehen. "Ich muss den Mist machen, den du eigentlich erledigen solltest. Sehe ich aus wie ne Frau? Ich soll den Hof sauber machen, ein perfekter Job für dich wie ich finde", giftete er mich an. "Tja nur leider will ich dir keine Chance weg nehmen für deinen zukünftigen Beruf zu üben", fauchte ich zurück. Normal war ich in seiner Gegenwart still. Doch nun reizte er mich und das gefiel mir überhaupt nicht. In solchen Momenten wütete ein Sturm tief in mir. Doch leider war Michi älter und stärker als ich.  Ohne es wirklich zu realisieren griff er schon nach meinem Shirt und zog mich hinter sich her. Jeder Versuch von mir, ihm zu entkommen war sinnlos. Doch aufgeben wollte ich auch nicht. Endlich ließ er mich nach einer gefühlten Ewigkeit los.  Doch erst nun realisierte ich wo wir waren. Im Keller an einem abgeschotteten Raum. Hier hörte niemand einen, egal wie laut man schrie. Michi steckte hier gerne seine Opfer rein um ihnen Angst zu machen. Nicht selten war auch ich darin. Mit einem Schwung von meinem Bruder  landete ich auf dem harten Boden im inneren des Raumes. Die schwere Eisentür verschloss er. Ich war gefangen. Mein Morgen verlief etwas anders als geplant.

In dem Raum war es dunkel. Doch leider war ich schon so oft hier drin, dass ich den Weg zum Lichtschalter auswendig kannte. Nachdem das Licht an war blickte ich mich um. Der Raum war eine alte, kleine Abstellkammer. Sie wirkte noch kleiner und beengend durch die Regale die die ganze Wand bedeckten. Die Eimer, Ersatzteile und der Kleinkram darauf wurde schon lange nicht mehr anrührt. In diesem Teil der Grafitiburgen war kaum jemand irgendwann. Die Kammer gehörte zu der Waschkammer eines der drei Wohnhäuser. Doch in zwei der drei Türme wurden die Waschküchen aus Geldgründen nicht genutzt. Es gab eh nicht genug Mieter, dass es sich lohnen würde mehrere im Gang zu haben.

Doch nun stand ich hier. Ohne Plan was ich machen sollte. Einen Ausweg gab es nicht. Der Raum war ohne Fenster und einen Schlüssel gab es nicht. Michi schloss die Türe immer ab indem er einen Balken unter die Klinke klemmte. Mir blieb nichts übrig als zu warten. Und es konnte dauern bis ich raus kommen könnte. Beim letzten Mal saß ich drei Stunden in dem Raum. Manch andere saßen auch schon mal 5 Stunden darin. Also setzte ich mich in eine Ecke und lehnte mich am Regal an. Mir kam ein Gedanke der mir gar nicht gefiel. Was wenn ich das Training verpassen würde, weil ich hier drin saß? Die anderen würden mich hassen. Ich könnte mich aber auch nicht mit der Wahrheit rausreden. Würde ich das machen wäre ich nicht gehasst, ich wäre tot. Mir gingen die verschiedensten Gedanken durch den Kopf. Ebenso die verschiedensten möglichen Ausreden für mein Fehlen beim Training. Doch eine war unglaubwürdiger und bescheuerter als die andere. Ich horchte auf als ich Schritte auf dem Gang vernahm. Das konnte nur jemand von der Trottelgang meines Bruders sein. Wie ich schon sagte, dieser Teil der Graffitiburgen war so gut wie verlassen. Ich blickte zur Tür und stalkte sie regelrecht. Man hörte wie der Balken von der Klinke entfernt wurde  und kurz darauf wurde die Tür aufgemacht. Sense blickte mich verachtend an und ich konnte nicht anders als dies zu erwidern. "Ich soll das arme Mädchen rauslassen. Nicht das du dich noch aus Angst zu Tode heulst. Wäre ja so Schade", sprach er sarkastisch und bekam ein fieses Grinsen im Gesicht. "Keine Sorge jetzt bist du ja da. Da fühle ich mich so viel sicherer". Meine Stimme klang gespielt erleichtert. Sense blickte mich doof an um erstmal über meinen Spruch nachzudenken. Doch dieser kleine Augenblick reichte mir aus. Ich sprang auf und stieß in nach hinter. Überrumpelt von meiner Aktion stolperte er erst ein paar Schritte ehe er nach hinten fiel. Ich wiederum rannte an ihm vorbei und durch das Treppenhaus zur Hintertür. Michi würde den Haupteingang mit seinen Schwabbelfreunden belagern. Doch von dieser Tür wusste er nichts. Wir wohnten in einem anderen Gebäude und er kannte sich in den zwei anderen nicht so gut aus. Mein Glück. "Hey!", hörte ich Sense hinter mir schreien. Doch ich war schon an der Tür und öffnete sie um nach draußen zu gelangen. Vorsichtig lief ich weiter und um das Gebäude und lauschte wie mein Bruder Sense anschnauzte. Ich lugte um die Ecke und saß die Volldeppen wie sie im Gebäude verschwanden. Ich lief schnell zu meinem Rad was immer noch da lag wo ich von meinem Bruder verschleppt wurde und fuhr so schnell ich konnte zum Training,

Ich musste quer durch die Stadt und kam an der Kirche vorbei. Ein Blick auf die Uhr an ihrer Wand verriet mir das es kurz vor 10 Uhr war. Ich würde knapp zu spät zum Training kommen.  Hoffentlich nicht zu spät. Also trat ich mit aller Kraft in die Pedalen.

Ella-Ein Sturm zieht auf (DWK-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt