Shin

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Wieso musste im Moment alles so kompliziert sein? Sogar zu kompliziert für ihn. Normalerweise hatte er keine Probleme damit, schwierige Situationen zu lösen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Doch jetzt gerade war etwas anders. Er wusste nicht, was zu tun war. Dieses Gefühl kannte er nicht. Wie nannte man es doch gleich? Genau. Er war hilflos. Der platinblonde Junge stülpte die Kapuze seines Mantels über seinen Kopf. Nun hatte es auch noch angefangen zu schneien. Wunderbar. Wie sollten sie so jemanden finden? Und dann auch noch Kiro. Luminor oder Romeo, das wäre ja kein Problem gewesen. Aber wie findet man einen hellblonden Jungen, der dazu auch noch winzig ist und wahrscheinlich in irgendeiner Seitenstraße kauert? Shin seufzte. Er musste einen kühlen Kopf bewahren. Wenigstens er. Wenn es schon kein anderer tat. Er wickelte sich einen Schal um den Hals und zog ihn über seinen Mund. Die kalte Luft schmerzte in seiner Lunge. Er mochte dieses Gefühl nicht. Er mochte dieses Wetter nicht. Aber es half ja alles nichts. Luminor und Romeo begleiteten ihn durch die Nacht. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass die beiden sich zu große Sorgen um ihn machten. Bei Lars verstand er das ja noch, immerhin führten die beiden so eine Art Beziehung. Aber Tobis Reaktion schien ihm völlig übertrieben. Naja, solange sie ihm keinen Begleitschutz gaben, regte er sich nicht darüber auf. Jetzt zählte nur eins: Kiro finden. Er wusste, wie sensibel der Junge war. Und wie emotional angeschlagen er in diesem Moment sein musste. Kein Wunder, wäre er in dieser Situation, hätte er wahrscheinlich ähnlich reagiert. Es war aber auch keine einfache Sache mit der Liebe. Er erinnerte sich zurück, wie es bei ihm und Lars damals gewesen war. Solange er denken konnte, waren die beiden befreundet. Es war eine ähnliche Situation, wie bei Yu und Kiro gewesen. Nur gingen die beiden nicht auf die gleiche Schule. Doch Außenseiter waren sie allemal gewesen. Lars war über die Zeit hinweg so etwas wie sein ganz persönlicher Beschützer geworden. Sie hatten viel Zeit miteinander verbracht, hatten die Stärken und Schwächen des anderen kennen gelernt. Und eines Abends war es einfach so passiert. Shins Eltern waren nur selten zu Hause. Sie arbeiteten beide viel und waren oft tagelang unterwegs. Er war es gewohnt, alleine zu sein. Ihm machte diese Einsamkeit nichts aus, zumindest hatte er sich das jahrelang eingeredet. Seine Eltern hatten ihm zwar immer ein Kindermädchen gestellt, doch eine richtige Verbindung hatte er zu diesem nie aufbauen können. Irgendwann hatte sie seinen Eltern auch erzählt, dass er daran selbst Schuld sei. Dass er bindungsphobisch oder irgendetwas in der Art sei, alles Schwachsinn. Aber sie konnte ihm einfach keine Familie ersetzen. Ganz im Gegensatz zu Lars. Immer öfter war er nach der Schule mit zu ihm gekommen. Hatte ihn auch oft nachts besucht. Wie Shin später erfahren hatte, war das für ihn mehr als untypisch. Naja, wenn man ihn sich so ansah, dann war das auch kein Wunder. Aber er hatte sich einfach nicht vorstellen können, dass dieser Mann nur zu ihm so nett war. Lars hatte nie eine normale Schule besucht. Er wurde entweder zu Hause unterrichtet oder war auf ein Internat gegangen. Er sprach nicht gerne und nicht viel über seine Vergangenheit. Nur hatte er sich relativ schnell eine eigene Wohnung gesucht, wollte unabhängig sein. Und das war auch das, was am beste zu ihm passte. Der blonde Junge musste lächeln. Wen er jetzt so zurückdachte, dass musste es wohl Schicksal gewesen sein. Eines Abends war Lars wieder einmal mit zu Shin gekommen. Seine Eltern waren im Ausland unterwegs gewesen und auch sein Kindermädchen war an diesem Tag nicht aufgetaucht. Also sprach nichts dagegen, dass Lars ihn besuchte. Sie waren lange einfach so in Shins Zimmer gesessen, hatten geredet, irgendwelche DVDs geschaut und zusammen gelacht. Irgendwann war Lars es gewesen, der den ersten Schritt gemacht hatte. Vorsichtig hatte er Shins Hand berührt. Mehr war es nicht gewesen. Es war seltsam, denn das war schon so oft passiert, doch dieses eine Mal war komplett anders gewesen. Sein Herz hatte auf einmal angefangen wie wild zu schlagen. Er hatte dem schwarzhaarigen Mann in die Augen gesehen. Er wusste nicht genau, was er davon halten sollte. Einen Ton hatte er nicht herausgebracht. Und das hätte er auch gar nicht gemusst. Lars hatte ihm zu verstehen gegeben, dass es ok war. Vorsichtig hatte er seine Hand an Shins Wange gelegt. Und es hatte sich gut angefühlt. Danach war alles ganz schnell gegangen. Sie waren beide in einem erst sehr schüchternen, dann aber immer intensiver werdenden Kuss verschmolzen. Und es war nicht bei diesem geblieben. Shin hatte diese Nacht wie in Trance erlebt. Angefangen hatte alles mit sanften Berührungen. Lars hatte mit seinen Fingern vorsichtig seinen Körper nachgezeichnet. Diese wurden mit der Zeit immer stärker und intensiver. Bis sie beide, ohne Klamotten, auf Shins Bett gesessen waren. Ihm war dieser Moment unglaublich peinlich gewesen, immerhin hatte er bis zu diesem Augenblick keinerlei Erfahrungen in diesem Bereich gehabt. Doch Lars hatte ihm sehr schnell jegliche Angst genommen. In dieser Nacht hatte Shin zum aller ersten Mal sexuelle Erfahrungen gemacht. Und es war die schönste Nacht seines Lebens gewesen.

„Woran denkst du gerade?", Luminor riss ihn aus seinen Gedanken. „W...Wieso fragst du?", ihm war die Situation peinlich. „Naja, du wirst so rot." Der schwarzhaarige Mann grinste und Shin drehte sich weg. „An gar nichts." Ihm war völlig klar, dass er sowieso schon Bescheid wusste. Er konnte seinem Freund nichts vormachen. Das hatte er schon lange aufgegeben. „Hey, Leute. Ich störe euer Turteln ja nur ungerne, aber schaut mal!" Romeo deutete nach vorne. Die beiden anderen sahen auf. Da vorne unter der Straßenlaterne kauerte eine Gestalt im Schnee. Die drei waren überglücklich. Endlich hatten sie Kiro gefunden!

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 20, 2017 ⏰

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