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Ich saß im Klassenraum.
Englisch, Französisch, Deutsch, ich weiß es nicht mehr. Im Geschoss unter uns bohrten sie. Sie bohrten die Wände auf. Schimmelbefall oder so ähnlich. Also kann es nicht Deutsch gewesen sein. Deutsch ist im Keller.
Das unangenehm schrille Kreischen des Bohrers, wann immer die Lehrerin ansetzte zu sprechen. Die furzenden Töne der Fräse wenn sie versuchte, eine Aufgabe zu stellen. Monatelang.

Kein Wunder das es hier begann, kein Wunder das die Quantität meiner Anwesenheit sich nicht veränderte, ihre Qualität gleichwohl aber abnahm, ohne das es irgendwer bemerkt hätte. Denn es ging uns doch allen so, im Sommer vor drei Jahren, dem heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnung achtzehnhundertirgendwas.

32 Grad.
Wir sprachen über Globalisierung. Zum siebten Mal in den vergangenen zwei Jahren. Nicht auf ein Fach begrenzt natürlich. Vielleicht fällt es mir deshalb in der Retrospektive so schwer mich zu erinnern ob Miss Meyer über bad working conditions in India's clothing industry sprach, oder ob Madame Clemens die influences d'une économie international diskutieren ließ. Wobei diskutieren hier vermutlich das falsche Wort wäre. Vielmehr resignierte sie, schrieb Argumente auf eine Folie und sah zu wie, im besten Fall, die Mehrheit der Schüler ihre Gedanken zur Kenntnis nahm und kopierte.
Noch ein Grund warum es nicht Deutsch gewesen sein kann. Ich bin mir sicher, dass ich in diesem Jahr in Deutsch nicht über Gobalisierung sprach. Das hatte ich nicht mehr, seit ich endlich diese elende Ökofanatikerin losgeworden war und vernünftigen Unterricht bekam.

Eigentlich spielt der genaue Ort gar keine Rolle. Wenn ich genauer darüber nachdenke ist er sogar gänzlich irrelevant für meine Erzählung. Manchmal fällt es mir schwer linear zu denken. Dann schweife ich ab, führe Dinge aus die niemanden Interessieren, außer mir.  Deswegen wurde ich so gut. Deswegen wählten sie mich aus, deswegen wurde ich wichtig.

Zurück zur Handlung, zum Setting meiner Handlung um genau zu sein. Das hier kommt einem Selbstgespräch gefährlich nahe, erwartet also nicht das ich mir darüber im Klaren bin, was verständlich ist, und was Wissen erfordert, das nur ich haben kann.

Wichtig ist, dass wir uns im Sommer befinden. In einem extrem heißen Sommer um genau zu sein. Ich bin in der Schule, gelangweilt, lärmgeplagt. Ich schwitze. Ein Punkt den ich ungern zugebe, aber ich schwitze sehr schnell. Und sehr viel. Wahrscheinlich trage ich deshalb auch im Hochsommer noch lange Sachen. Und weil ich mich für fett halte. Also eigentlich nicht. Ich sage das nur immer, damit man mir bestätigt das dem nicht so ist. Obwohl ich genau weiß das ich zu viel wiege. Und man das sieht.
Versteht ihr meine Logik nicht? Egal, ich auch nicht.

Es ist ein ätzender, quälend langer Sommer ohne jegliche Möglichkeit einer anspruchsvollen Beschäftigung für mein gelangweiltes Hirn.
Ich sage anspruchsvoll. Anspruchsvoll will meinen: Durchführung einer Aufgabe unter Anwendung von Intelligenz. Eine Aufgabe für schlaue Menschen.
Kurz gesagt fühlte ich mich unterfordert.

So hing, nein klebte ich mit den Ellenbogen auf meinem Tisch.  Jedes Mal wenn ich mich bewegte gab mein Körper ein schmatzendes Geräusch von sich, während meine nackte Haut sich von der Oberfläche löste.
Ich hatte nichts zu trinken dabei. Eigentlich nahm ich nie etwas zu trinken mit. Meine Kehle war staubtrocken und ich merkte wie sich eine Erkältung anbahnte. Wie immer zu den ungewöhnlichsten Zeiten.
Mein trüber Blick wandte sich in einem letzten Versuch mich für den Unterricht zu interessieren auf die voll beschriebene Tafel. Die Stimme der Lehrerin, die meinen Blickkontakt erfreut als Aufmerksamkeit missdeutete, mischte sich unter den Baulärm und das ewige Geplapper der Reihe vor mir.
Ein leises Seufzen entwich meinen Lippen während meine Gedanken wie von selbst zu einem alt bekannten Traum hinab glitten.

Das ist die Ausgangssituation meiner Geschichte. Wir beginnen bei Gewöhnlichkeit, bei Normalität, bei einem Menschen, der jederzeit ungesehen in einer Masse verschwinden könnte, und der sich dessen zu seinem eigenen Bedauern mehr als bewusst ist. Ein völlig gewöhnlicher Anfang also, für eine völlig gewöhnliche Geschichte, eine Reise nach Aristoteles, ordentlich aufgebaut, ordentlich erzählt. Möchte man meinen.

Ich werde nicht von einem Abenteuer sprechen, das klingt mir zu pathetisch. Außerdem suggeriert Abenteuer eine zeitliche Beschränkung des Vorgefallenen, ein außergewöhnliches Ereignis das stattfindet und den Protagonisten dann in seinem normalen, freudigen Leben wieder entlässt. Innerlich verändert vielleicht, aber trotzdem mit einem gewissen Ende, mit einer gewissen Form von Rückkehr zur Durchschnittlichtkeit, zur Norm und vor allem zum Glück.
Meine Geschichte hat jedoch kein Ende, keinen festgelegten Rahmen, keine Rückkehr zur Normalität und schon gar kein Glück. Nur Kontinuität. Ein Aufeinanderfolgen ungewöhnlicher Ereignisse, Schritt für Schritt in Richtung besonders. Schritt für Schritt in Richtung Unglück.  
Angefangen bei einem gewöhnlichen siebzehn Jahre alten Mädchen, das gelangweilt aus dem Fenster starrt.

Meine Geschichte hat kein Ende. Weder im Positiven, noch im Negativen. Noch nicht.

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Kurze Info zu dieser Geschichte: Ich bin mir absolut nicht sicher in welche Richtung das hier gehen soll. Ich habe verschiedene Ideen, die ich alle mag, die aber alle bislang relativ wenig tatsächlichen Plot enthalten. Mal schaun was kommt. Desshalb bislang noch keine wirkliche Inhaltliche Zusammenfassung.

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