Ein Klopfen an der Tür unterbrach das sonst so normal verlaufende Abendessen der vierköpfigen Familie. Überrascht warf die Mutter einen Blick zur Wanduhr, dessen Zeiger bereits auf der Acht stand. Sie hatten keine Gäste erwartet, und dann auch noch unangekündigt um diese Uhrzeit?
Missbilligend schüttelte sie den Kopf, und eine Strähne ihres graublonden Haares löste sich aus ihrem langen Zopf, den sie mit Haarnadeln hochgesteckt hatte.
„Darf ich aufmachen, Mummy?", fragte ihr Sohn sofort, und rutschte aufgeregt auf seinem Stuhl hin und her. Seine blauen Augen blitzten vor Spannung, seine Wangen färbten sich vor lauter Vorfreude rot. Sie führten ein recht abgeschiedenes Leben, Besuch war also dementsprechend selten. Beide Kinder wurden Zuhause unterrichtet, und so kam nicht jeden Tag die Möglichkeit, ein Gesicht zu sehen, das nicht zu einem Verwandten gehörte.
Kaum nickte der Vater, sprang der Junge schon auf und flitzte zur Tür. Nur knapp schaffte er es, um die Ecke im Flur zu biegen, ohne das große Landschaftsbild von der Wand mit sich zu reißen.
„Wer ist das?", flüsterte die Jüngste etwas verängstigt. Im Gegensatz zu ihrem älteren Bruder, schüchterten fremde Menschen sie meistens ein, was vielleicht auch von den ständigen Mahnungen zur Vorsicht ihrer Mutter herrühren konnte. Halb verdreht saß sie auf ihrem Stuhl, um mit großen Augen in die Richtung des Gangs sehen zu können. Sie bemerkte nicht, dass dabei ihr rotes Haar in den Eintopf gefallen war.
Sofort wurde der Blick ihrer Mutter tadelnd und sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Evelyn, schau, was passiert ist. Dein Haar!"
Gleichzeitig beantwortet der Vater die Frage seiner Tochter nachdenklich. „Vielleicht Mister James, unser neuer Nachbar? Ich habe ihm vor ein paar Tagen angeboten, sich einen unserer Traktoren auszuleihen. Allerdings habe –"
Er verstummte abrupt, als sein Sohn zurück kam und mit erschrockenem Blick ins Esszimmer trat, direkt gefolgt von zwei Frauen, denen er noch nie zuvor begegnet ist. Die eine sehr klein, mit dünnen schwarzen Haaren, die in ihrem Nacken zu einem Dutt gebunden waren. Die andere etwas größer und mit einem breiten Kreuz. Ihr Gesicht wirkte kantig mit dem strengen braunen Zopf, der ihr bis in die Taille fiel.
Ruckartig stand der Vater auf, die Arme abwehrend verschränkt. Was machten die beiden fremden Frauen nur in seinem Esszimmer? „Wer sind Sie?" Sein Ton war autoritär und verlangte eine Antwort.
Auch seine Frau hatte sich mittlerweile erhoben, um den beiden Frauen auf Augenhöhe zu begegnen. Doch bevor sie etwas sagen konnte, fragte eine der Frauen: „Anna Waley?"
Sofort erstarrte die Mutter in ihrer Bewegung, ihr Blick vorher noch verärgert, jetzt regelrecht feindselig. Vorsicht prägte ihre nächsten Handlungen. „Ja?", fragte sie, Zurückhaltung in ihrer Stimme.
„Und das ist Ihre Tochter, Evelyn Waley?"
Der erschrockene Ausdruck, der über das Gesicht von Anna wandert, verriet sie, und machte eine Antwort überflüssig.
Die größere der beiden Frauen richtete sich noch etwas mehr auf, wodurch sie sowohl die Mutter, als auch den Vater deutlich überragte. Unzufriedenheit zeigte sich auf dem Gesicht des Mannes, gemischt mit viel Verwirrung, da er nicht verstand. Die Situation war so ganz und gar nicht mehr unter seiner Kontrolle und das gefiel ihm nicht.
Doch die beiden Fremden schenkten ihm, wie auch dem kleinen Jungen, der noch immer in einer Ecke im Raum stand, keinerlei Beachtung. „Der Zirkel nordamerikanischer Hexen beschuldigt Sie der Vorenthaltung und damit des Verrats."
Annas Wangen wurden weiß, und unwillkürlich machte sie einen Schritt nach hinten, die Furcht jetzt offensichtlich in ihrem Gesicht.
„Na hören Sie ma–", fing ihr Mann an, verärgert und mit dem Verlangen, etwas mehr Kontrolle zu erlangen. Schließlich war er der Herr im Hause. Doch die Hand seiner Frau, die sich in seinen Arm krallte, unterbrach ihn.
DU LIEST GERADE
Feuerspur
Werewolf„Drei Mädchen leben, lieben, lachen. Drei Mädchen brechen je ein Verbot. Drei Mädchen wiederholt gebrochen. Drei Mädchen finden alle den Tod. Die erste nur einmal, sie wird unter Schmerzen erlöst Die zweite zweimal, sie wird leiden und nicht aufwac...