Eins.

260 24 8
                                    


„Maggie, los, frag mich.", maule ich, und stupse das Bein meiner besten Freundin, und in dem Sinne auch größten Konkurrentin, mit meinem Fuß an.

Laut stöhnt sie auf, und lässt sich auf meinem Bett nach hinten fallen. Da sie allerdings quer darin liegt, ragt ihr Kopf über die Matratze hinaus, und ihr langes erdbeerblondes Haar fällt bis auf den Boden.

„Mach es doch selber.", höre ich sie nuscheln. Ich werfe ihr nur einen bösen Blick aus meinen hellblauen Augen zu, obwohl sie mich nicht sehen kann. Sie weiß ganz genau, wie gut diese Idee ist.

„Bitte, der Test ist schon morgen, und ich habe die Definitionen noch immer nicht richtig drauf." Ich lehne mich vor, um sie mit meinem Hundeblick anzusehen, da ich es jetzt mit Betteln versuche.

Sie verdreht die Augen, und ich kann sehen, dass sie genervt ist. „Das ist aber auch das einzige, das du nicht kannst. Und ich muss auch noch lernen, aber jetzt schwirren lauter Begriffen aus der Geschichte in meinem Kopf herum." Vorwurfsvoll starrt sie mich aus ihren grünen Augen an. „Wie soll ich mich denn jetzt noch konzentrieren?"

„Dann mache ich es eben.", höre ich plötzlich Rubys Stimme. Bis dahin hat sie vor ihrem Spiegel gestanden, und ihre zierliche Figur mit dem dunkelbraunen Pixie-Schnitt im Spiegel beobachtet. Doch jetzt gesellt sie sich zu uns und lässt sich neben mir auf das Bett fallen, ein fröhliches Lächeln auf den Lippen. Allerdings weiß ich, dass ihr nur die Spannung zwischen Maggie und mir unangenehm war.

So funktioniert das mit uns dreien, seit über zehn Jahren teilen wir uns ein Zimmer. Und während wir am Anfang einfach nur Spaß hatten, hat sich mit der Pubertät sehr viel Rivalität in unserem Zimmer an der NASH, Nordamerikanischen Schule für Hexerei, angesiedelt. Es wurde uns klar, dass es nicht reicht, einfach nur gut zu sein, nein, wir müssen die Beste sein. Schließlich teilen wir uns dieses Zimmer eigentlich nur aus einem Grund – bei uns allen drei wurden in der Kindheit so außergewöhnliche Fähigkeiten vermutet, dass wir Chancen auf die Position als nächste Königin hatten. Königin der Hexen, bestimmt dafür, unsere Schwestern zu führen, und zu beschützen. Wir befinden uns im Krieg, und deswegen kann es nur die Mächtigste der Mächtigsten sein. Sonst überrennen uns die Werwölfe, und werden uns alle ohne Bedenken abschlachten.

Mittlerweile ist der Wettstreit nur noch ein Kampf zwischen Maggie und mir, da Ruby recht früh ausgeschieden ist. Einer, der des Öfteren unglaubliche Spannungen auslöst, die Ruby mit ihrem fröhlichen Wesen meist aufzulockern versucht.

„Also Eve", ertönt Rubys Stimme, und als ich meinen Blick hebe, sind ihre funkelnden braunen Augen mit smaragdgrünen Flecken auf mich gerichtet. „Wann und wie wurde Barbara, die Leuchtende gefangen genommen und schließlich verbrannt?"

Ohne zu zögern, rassele ich den Verlauf ihrer Gefangennahme, wie auch den ihrer Verbrennung herunter. Ruby nickt nur, ohne auf das Blatt zu gucken, und fragt mich die nächste Frage. Die wenigsten wissen, wie gute Noten sie tatsächlich schreibt. Ihr Gedächtnis ist außergewöhnlich, manchmal habe ich das Gefühl, sie muss sich den Stoff nur einmal durchlesen, um ihn abspeichern zu können. Von ihren schulischen Leistungen macht sie Maggie und mir Konkurrenz, doch sie hat schon lange keine Chance mehr, Königin zu werden. Dafür sind ihre Fähigkeiten zu beschränkt. Von den fünf Elementen, Wasser, Feuer, Luft, Erde, und Geist, hat sie nur Kontrolle über eins, Erde. Damit liegt sie sogar nur im unteren Durchschnitt, die meisten Hexen lenken ein bis zwei Elemente. Der Grund dafür, dass sie sich mit Maggie und mir ein Zimmer teilt, ist, dass sie früher recht vielversprechend war. Denn sie hatte das Talent zum Wahrsagen. Regelmäßig hatte sie Visionen und Ahnungen, doch mit den Jahren wurden es immer weniger und schließlich haben sie ganz aufgehört. Ein Zimmer teilen wir uns weiterhin, aber nicht mehr dieselben Chancen.

FeuerspurWo Geschichten leben. Entdecke jetzt