Bagel

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Gestatten, dass ich mich vorstelle:
Mein Name ist Gurri.
Das mag sich in Ihren Ohren nicht besonders kreativ anhören. Ja, ich bin eine Taube, genauer gesagt, ich bin ein Exemplar der gemeinen Großstadttaube, Columba livia domestica. Und da ihr Menschen ja im allgemeinen glaubt, wir Tauben würden nicht viel mehr tun, als herumzuflattern, eure Autos voll zu kacken und zu gurren, werden Sie also meinen Namen für ziemlich fantasielos halten.

Aber das stimmt nicht. Also das mit dem flattern, scheißen und gurren stimmt schon. Das macht das Leben einer Taube aus, jedenfalls das einer Stadttaube. Na ja, und fressen. Wann immer was zur Verfügung steht.
Aber mein Name, der ist durchaus nicht fantasielos. Denn das Gurren, das wir so von uns geben, hat viele Nuancen, die ein menschliches Ohr nicht wahrnimmt. Und „Gurri" bedeutet: Die mit der schwarzen, glänzenden Schwanzfeder hinten rechts.

Was das Fressen betrifft, bin ich ganz gut dran.
Ich wohne mit ein paar Kumpels auf einem Baum in der Fußgängerzone. Und zwar mitten in Berlin. Das muss wohl eine wirklich große Stadt sein, ich kann dazu nicht viel sagen. Ich habe mich noch nie weit aus dem Umkreis meines Baumes entfernt.
Aber schräg unter ihm befindet sich eine Art Paradies. Nämlich ein Bäckerei- Verkaufsstand. Jeden Morgen in der Frühe kommt ein Wagen von der Bäckerei, die ihn beliefert. Und von all den guten Sachen, die es dort gibt, fallen immer genügend Krümel zu Boden, so dass ich und meine Freunde uns daran gütlich tun können.

Kaffee gibt es hier, das ist so ein komisches Getränk. Na ich denke, das kennen Sie sicher. Ich finde, es schmeckt scheußlich, ich hab es mal probiert, bäähh.
Aber dann: belegte Brötchen. Muffins. Donuts, Gebäckteilchen. Ich sage Ihnen, ein richtiges Paradies ... einmal dort in die Auslage springen und nach Herzenslust picken dürfen ... ach ja.
Aber ich will mich wahrhaftig nicht beschweren. Die Krümelei dort ist lecker und macht satt. Ich habe noch nie Hungern müssen. Selbst im Winter nicht, selbst da war immer genug für uns übrig.

Der Wagen von der Bäckerei kommt immer in aller Herrgottsfrühe. Dann beginnen die Damen, die hinter der Auslage stehen und das ganze gute Zeug an die anderen Menschen verkaufen, alles einzuräumen, damit ihre Kunden sehen könne, was es alles gibt und in Ruhe auswählen können.
Kurz danach wird eröffnet. Jetzt, im Sommer, ist das kurz nach der Morgendämmerung.
Und dann sind auch schon die ersten Kunden da.

Es gibt Laufkundschaft, jede Menge sogar. Ganz in der Nähe ist nämlich eine U-Bahn: Ich hab mir das mal angesehen, das ist so ein Ding, mit dem die Menschen sich fortbewegen. Die armen haben ja keine Flügel. Nun gut, zugegeben, ich fliege auch nicht viel und schon gar nicht weit. Aber ich könnte, wenn ich wollte. Menschen können das nicht, und daher finde ich, dass sie sehr zu bedauern sind.

Aus diesem Ding, das irgendwie unter der Erde im Dunkeln lebt, kommen morgens immer eine Menge Leute.
Ein paar gibt es, die kommen jeden Morgen wieder.
Da ist diese Frau mit den roten Locken und dem schwarzen Rucksack, den sie immer trägt. Ich nenne sie „Ringelrot". Sie ist die gelassenste von den Stammkunden. Sie plauscht immer mit den Verkäuferinnen und trinkt ihren Kaffee gemütlich am Stehtisch. Isst sich einen Schokoladenmuffin dazu. Jeden morgen. Ich mag sie, denn da sie immer hier frühstückt, bleibt genug Zeit, dass Krümel zu Boden gehen und sie jagt uns auch nicht mit Fußtritten davon, wie es andere tun.

Dann kommt „Der Renner". Der hat es jeden Morgen super eilig. Er ist sozusagen das andere Extrem. Er kommt immer schon in Eile von der U-Bahn. Wenn die Damen ihn sehen, machen sie schon seinen Kaffee fertig: Doppelt stark, mit Zucker, schwarz. Bbbrrr, wie man so was trinken kann ... Na ja, er mag es halt. Wenn andere Kunden vor ihm stehen, wippt er ungeduldig mit den Füssen, und dann bezahlt er in aller Eile, verschluckt sich am Kaffee, weil der noch zu heiß ist, und macht sich schimpfend auf den Weg. Im Laufschritt. Jeden Morgen das gleiche.

Und dann „Basecap." Der kommt auch jeden Morgen.
Er muss einen anstrengenden Job haben, jedenfalls habe ich gehört, dass die Verkäuferinnen das gesagt haben. Was genau ein Job ist, weiß ich nicht. Aber es muss wohl wichtig sein. Jedenfalls sagen die Damen, seiner sei wohl sehr stressig, denn er hat immer so ausgeprägte Augenringe.
Ich kenne die genauen Zusammenhänge nicht.
Basecap jedenfalls ist auch nett. Der wechselt immer ein paar freundliche Worte mit den Damen. Dann kauft er ein belegtes Brötchen und Kaffee, verabschiedet sich und frühstückt, während er weitergeht.
Meist verfolge ich ihn, ich und zwei, drei meiner Kumpels, denn durch das Essen im Gehen hinterlässt er eine Spur von Krümeln. Manchmal fällt auch ein Stück Tomate oder Käse zu Boden, das ist dann ein Festessen, um das wir uns auch schon mal streiten. So sind wir eben.

Fünf Minuten, nachdem Basecap gegangen ist, kommt der Hobbit.
Ich weiß nicht, was ein Hobbit ist. Aber die Verkäuferinnen haben mal gesagt, er würde aussehen wie ein Hobbit. Darum nenne ich ihn so. Die Namen, die die Menschen untereinander benutzen sind nämlich ganz schön bescheuert. Er heißt „Herr Krüger". Aber er hat nichts mit Krügen zu tun. Statt dessen mit irgend so einer „Tube". Das finde ich ziemlich dumm, daher nenne ich ihn eben weiterhin den Hobbit.
Basecap, klar, denn nenne ich so, weil er ständig eine solche Kappe auf dem Kopfe trägt. Schützt ihn auch vor Taubenkacke hihi ...
Der hat auch mit dieser Tube zu tun. Aber ich glaube, sie kennen sich trotzdem nicht. Jedenfalls habe ich noch nie gesehen, dass sie sich hier begegnet wären.
Basecap kommt nie verspätet, und der Hobbit ist nie früher hier gewesen, eher mal später.
Der Hobbit holt sich immer etwas süßes. Einen Muffin meist, oder auch mal ein Plunderteilchen. Die krümeln besonders stark, daher ist das für uns Tauben Klasse. Ich mag den Hobbit.

Na ja, wie auch immer. Menschen sind interessant, aber das wichtigste an ihnen ist natürlich, dass sie uns mit Nahrung versorgen. Sie verstehen sicher, dass das für uns von existenzieller Bedeutung ist?
Wir sind immerhin Stadttauben, und nicht gewohnt, das Futter auf dem Felde zu suchen...
Außerdem, wer will schon irgendwelche bescheuerten Körner, wenn er Donutkrümel und Brötchenreste haben kann...
Na sehen Sie.
Deswegen liebe ich meinen Baum, den Bäckerstand und die Menschen, die hier für uns sorgen.
Und daher erzähle ich Ihnen gerne Geschichten aus meinem Leben hier.
Wenn Sie dafür so nett wären ...? Den Rest von Ihrem Bagel ... den essen Sie doch nicht mehr? Ein kleiner Schubs über die Kante des Stehtisches ... Danke. Sehr nett von Ihnen.

Kommen Sie gerne wieder, dann erzähle ich mehr von dem, was ich hier so mitbekomme.
Also gut.
Bis dann!

Gurr ...

Dem einen sin Froid is dem andern sin TaubenkackeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt