„Auf ins neue Leben!"rief sie, als wir zusammen durch die mit Postern und Stickernbeklebte Tür gingen.
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Die Schule sah aus wie immer. Grauer Linoleumboden, cremeweiße mit Edding bemalte Wände und die blauen Locker, die auch schon mal bessere Tage gesehen hatten. Es würde auch nicht mehr lange dauern, bis der Geruch nach Büchern, stinkenden Teenagern, fettigem Essen und nach Calvin Klein Parfüm, den frischen Putzmittelgeruch übertönen würde. Ich mochte den Geruch. Nicht das ich ihn lecker fand. Nein, es waren eher die Erinnerungen, die dieser Geruch hervorriefen. Er erinnerte mich an die Zeit vor dem Autounfall. Ich war gut in der Schule gewesen, hatte eine gute Beziehung zu meinem Bruder und hatte sehr viel gelesen.
Ich musste unwillkürlich lächeln.
„Was lächelst du so?" fragte Jess. „Nichts." antwortete ich. Sie sah mich an und lächelte auch. Jess wusste genau was ich dachte.
Jess und ich waren befreundet seit dem ersten Jahr in der Middle School. Damals waren wir 10 Jahre alt gewesen und unsere Freundschaft bestand darin, Streiche zu spielen, Höhlen zu bauen und egal in welcher Jahreszeit Weihnachtsfilme zu gucken. Jess hatte sich kein bisschen verändert. Nebenbei bemerkt, liebte sie es immer noch bei 35°C „Arthur Christmas" zu schauen. Im Gegenteil zu Jess habe ich mich sehr verändert. Ich bin stiller geworden, weswegen manche Leute denken ich sei unnahbar und arrogant. Außerdem hat mich früher nichts gestört. Was andere über mich dachten, was fremde Menschen fühlten, ich hatte es nicht gemerkt. Jetzt hatte ich das Gefühl ich könnte alle durchleuchten. Ich fühlte, was andere fühlten, ich war sehr Konflikt scheu und mochte es nicht gerne mit einer riesigen Gruppe unterwegs zu sein. (Abgesehen davon, hatte ich garnicht so viele Freunde, mit denen ich abhängen könnte.) Ich war nun mal lieber mit weniger Leuten zusammen. Außerdem habe ich nichts so wie Jess schon mein ganzes Leben voll geplant. Sie will unbedingt nach der High School raus aus San Diego und aufs CCSF, das ist das San Francisco City College. Danach möchte sie ein Jahr in einem Waisenhaus in Indien arbeiten und dann eine Ausbildung zur Krankenschwester machen. Man merkte ihr jetzt schon an, dass sie eine perfekte, übertüchtige Krankenschwesterabgeben wird. Jess hat immer so viel Energie, dass es oft auch nervt. Sie kann keinen Nachmittag alleine zu Hause sein und muss sich immer bewegen. (Es sei denn, es läuft ein Weihnachtsfilm.) Ich hingegen habe noch kein Plan, was ich nach der High School machen möchte. Ich hatte mir diesen Sommer mal ein paar Colleges im Internet angeschaut. Aber mehr auch nicht. Meine Mutter hatte mir immer gesagt, dass ich Schriftstellerin werden solle, aber es war immer mehr ihr Traum als meiner gewesen.
Als wir auf unsere Locker zu gingen sahen wir schon Jo an ihnen lehnen. Ein Buch hielter in der Hand an seinem ausgestreckten Arm. Seine dunkle Haut war braun gebrannt, seine schwarzen Haare länger und zottelig und sein Körper muskelöser als noch vor 8 Wochen. Er grinste. „Hey ihr!" sagte er und nahm Jess und mich gleichzeitig in den Arm. „Hey du!"antworteten wir. „Was gibt's neues? Ich will alles wissen. Erzählt!" forderte Jo uns auf.
Wenn er in den Ferien immer den ganzen Tag auf den Plantagen arbeitetenmusste, hatte er nie Zeit zum telefonieren oder so. Deswegen musste man ihm beim ersten Wiedersehen immer jedes Erlebnis ins kleinste Detail erzählen. Da ich nicht wirklich etwas erlebt hatte blieb ich still. Aber Jess begann zu erzählen. „Es war krass. Am besten hat mir die Fahrt von Punta del Este nach Riode Janeiro gefallen. Und der Aufenthalt in Stanley war unglaublich. Muss euch später unbedingt Fotos zeigen. Außerdem war ich eine derjüngsten auf dem Schiff und konnte endlich in Ruhe zeichnen..." Und so ging es mit Jess Erzählung weiter.
Der Unterricht war wie immer. Natürlich fingen die Lehrer wieder an zu unterrichten, als hätten wir nie Ferien gehabt. Vollgepackt miteinem neuen Stapel Blättern, Hausaufgaben und Büchern ging ich auf den Weg in die Cafeteria an meinem Locker vorbei und lud alles ab. Ich war keiner von den Menschen, die Fotos oder andere Erinnerungen an die Innenseite klebten. Letztes Jahr hatte Lucy, eine Tusse aus der Stufe über mir, ihren Spindrechts neben meinem gehabt. Sie hatte Sticker von irgendwelchen teuren Marken außen auf die Tür geklebt und der neue Besitzer dieses Spindes hatte anscheinend versucht diese notdürftig abzukratzen. Ich musste grinsen und machte mich auf den Weg in die Cafeteria.
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Merlinda ~ Ich will leben, nicht nur existieren.
Ficção AdolescenteMerlinda hat vor einem Jahr ihre Eltern bei einem Autounfall verloren. Seitdem fühlt sie sich wie in einer Blase. Sie bekommt Panikattacken und verbringt die meisten Nachmittage in ihrem Zimmer. Auch die Beziehung zu ihrem Bruder ist nicht mehr, wi...