„Okay." sagte ich umarmte ihn schnell, bevor ich in den Bus sprang und sich die Türe schlossen. Ich schaute noch einmal über meine Schulter und sah Jo der mir winkte. Ich grinste ihn an und ging durch den Mittelgang des Busses entlang auf der Suche nach einem freien Platz.
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Seitdem Tod meiner Eltern lebten Jaxon und ich bei unserer Tante Lauren in einem kleinen Einfamilienhaus in Clairemont in San Diego. Ich mochte das Haus. Sehr sogar. Von außen sah es sehr unscheinbar aus,mit dem grauen Putz und der großen Garage, aber es hatte vierrelativ große Schlafzimmer, von denen Lauren eins als Büro benutzte. Außerdem hatte es einen kleinen Garten, in dem ein großer Blaubeerbusch wuchs und der im Sonnenuntergang einfach wunderschön aussah.
Früher hatten wir nicht viel mit Lauren zu tun, da mein Vater und sie nicht die beste Verbindung zueinander hatten, aber als es darauf ankam war sie sofort für uns da und das beste was Jaxon und mir passieren konnte. Sie hat sich um uns gekümmert. Sie hat die Beerdigung meiner Eltern organisiert. Sie hat alles für uns getan, obwohl wir sie sogut wie gar nicht kannten. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis Lauren und ich uns aneinander gewöhnt hatten. Aber ich konnte nun sehr gut mit ihr reden. Auch in meiner, wie Jess sie manchmal zu nennen pflegte, 'Depriphase' hatte Lauren versucht mir zu helfen. Ganz anders war das mit meinem Bruder Jaxon, der Lauren und mich komplett aus seinem Leben halten wollte. Er redete nur in kurzen Sätzen mit uns und wenn ich ihn fragte was er so vor hat, sagte er immer, dass er es noch nicht wüsste. Er kam spät Abends nach Hause und hörte bei Laurens Standpauken gar nicht mehr zu. Außerdem galt er an der Schule, wie schon gesagt, als Kiffer, Schläger und'Fuckboy'. Was auch, so weit ich es beurteilen konnte, alles stimmte. Und trotz allem war er an der Schule, auf eine unverständliche Art, beliebt. Ich hatte keine Ahnung woran es lag. Denn mir gegenüber war er arrogant und unnahbar. Aber vielleicht machte ihn das so mysteriös, das alle ihn einfach interessant fanden.
Nachdem ich die Haustüre aufgeschlossen hatte, schmiss ich meine Schuhe in die Ecke und ging die Treppe hoch in mein Zimmer. Mein Zimmer war von der Treppe aus die zweite Tür links und hatte an der Wand gegen über der Tür ein großes Fenster mit einer breiten Fensterbank. Auf dieser verbrachte ich viel Zeit mit schreiben und Netflix schauen und Abends lag ich oft nur da und schaute in den, von der Stadt erleuchteten Himmel und versuchte mehr als fünf Sterne zu erkennen. Ich fühlte mich in meinem Zimmer sehr geborgen. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich hier vor der Welt etwas verstecken konnte, wenn mir alles zu viel wurde.
Der Nachmittag verging schnell. Ich machte Hausaufgaben und setzte michin die Sonne auf unsere Terrasse. Mit meinem Tagebuch auf dem Schoss und einem Stift versuchte ich meine Gedanken zu sortieren. Heute war ein guter Tag gewesen. Ich hatte, außer von einem kleinen Anflug heute morgen im Bus, keine Panikattacken und hatte mich erfolgreich abgelenkt.
Schon armselig, dass du dich ablenken musst, um einen guten Tag zu haben. Besser ein guter Tag mit Ablenkung, als ein schlechter ohne Ablenkung! Pff, du lenkst uns dich nur noch ab. Ist dir schon aufgefallen, dass du seit heute morgen noch nicht an den Unfall gedacht hast. Toll gemacht! Man begrüße meine Ironie! Ach halt doch deine Fresse! Wenigstens versuche ich nicht die ganze Zeit die Stimmung runter zu ziehen. Könntest du auch mal versuchen! Pah, dafür bin ich nicht zuständig. Es ist...
„Mer, bist du da?" rief Lauren, als sie nach Hause kam. „Auf der Terrasse!" rief ich zurück. „Hey du. Na, wie war der erste Schultag?" fragte meine Tante, als sie in der Schiebetür erschien. Sie trug ihre Arbeitskleidung: eine rote Bluse zu einer grauen Hose und schwarze niedrige Stilettos. Ihre braunen Haare waren zu einem zotteligen Dutt gebunden, den sie bestimmt nicht bei der Arbeitgetragen hatte. Sie arbeitete beim Kundenservice einer Kleiderversandsfirma in der Innenstadt und telefonierte den ganzen Tag mit Kunden, die Fragen zu ihren Bestellungen hatten.
„Es war gut. Vor allem Jess und Jo wieder zu sehen war sehr schön." antwortete ich. „Super. Hast du deinen Bruder gesehen?" fragte sie. „Er müsste noch beim Training sein." „Stimmt. Was hältst du davon, wenn du los gehst und was von LLC holst und wir dann später zusammen essen?" fragte Lauren. „Find ich gut! Das Übliche?" antwortete ich. Sie nickte und ich machte mich auf den Weg.
LLC heißt eigentlich „Lucky's Lunch Counter" und ist eine Art Diner, das typisch amerikanisches Essen verkauft.
Als ich in das Diner eintrat sah ich den Jungen, von den Lockern aus der Schule, in der Schlange stehen. Ich konnte ihn nur von der Seite sehen, doch seine braunen Haare standen noch verwuschelter vom Kopf ab und er hatte wieder einmal einen Kopfhörer an. Ich ging auf die Schlange zu und stellte mich hinter ihn. Ich beobachtete ihn dabei, wie er die Karte über der Theke überflog. „Der Chicken Wrap ist hier wirklich sehr gut." sagte ich und er drehte sich überrascht um. Er nahm seinen einen Kopfhörer aus seinem Ohr und lächelte mich leicht an, als er mich wieder erkannte. „Ist die Dame hier Stammkunde?" fragte er und schaute mir dabei direkt in die Augen. Stechend grün, nur der Außenkreis war bläulich. Sie erinnerten mich an Mamas Lieblingsblumen. Ich räusperte mich und antwortete: „Ja, das ist sie und zu dem Wrap passt übrigens perfekt Dr.Pepper." Nun grinste er mich amüsiert an.
'Zu dem Wrap passt übrigens auch Dr. Pepper.' Bist du denn auch noch ganz dicht? Alberner ging es ja nicht, oder? Soll ich dir etwa noch Nachhilfe im flirten geben? Ich schaute kurz verlegen auf den Boden. Bestimmt dachte er jetzt ich sei total verfressen. Was, wenn ich ehrlich bin auch manchmal stimmte. Als ich wieder in sein Gesicht schaute blitzten seine Augen immer noch amüsiert auf. „Und wie ist das 'Tyron's Midwest Crispy Pork Tenderloin Sandwich'?" fragte er, ohne seinen Blick zu der Karte zu wenden. Ich runzelte die Stirn. Ich ging hier etwa drei Jahren fast täglich hin und konnte mir immernoch nicht die verdammt langen Namen der Sandwichs merken. „Ist ehrlich gesagt nicht so meins, aber..." antwortete ich, wurde aber von Sam, der Bedienung, unterbrochen. „Was möchtest du haben?" fragte sie den Jungen. Mit einem kurzen Grinsen in meine Richtung drehte er sich um und sagte: „Ein Chicken Wrap und ein Dr.Pepper, bitte." Sam gab ihm seine Bestellung. Er zahlte und bedankte sich bei Sam. Dann drehte er sich wieder um. „Ich hoffe, ich werde nicht enttäuscht." sagte er zu mir mit einem Zwinkern und verließ das Diner.
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Merlinda ~ Ich will leben, nicht nur existieren.
Teen FictionMerlinda hat vor einem Jahr ihre Eltern bei einem Autounfall verloren. Seitdem fühlt sie sich wie in einer Blase. Sie bekommt Panikattacken und verbringt die meisten Nachmittage in ihrem Zimmer. Auch die Beziehung zu ihrem Bruder ist nicht mehr, wi...