Letztes Jahr hatte Lucy, eine Tusse aus der Stufe über mir, ihren Spind rechts neben meinem gehabt. Sie hatte Sticker von irgendwelchen teuren Marken außen auf die Tür geklebt und der neue Besitzer dieses Spindes hatte anscheinend versucht diese notdürftig abzukratzen. Ich musste grinsen und machte mich auf den Weg in die Cafeteria.
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Dort angekommen schaute ich mich um. Jo und Jess waren noch nicht da. Ich sah nur meinen Bruder Jaxon mit den anderen Footballern an einem langen Tisch hinten links in der Ecke sitzen. Sie saßen alle auf dieselbe Art dort: weit nach hinten gelehnt, ihre muskolösen Arme verschränkt oder die Ellebogen auf den Tisch aufgestützt.
Kopfschüttelnt, um meine Gedanken loszuwerden, stellte ich mich in die Schlange an der Essensausgabe. Das Essen hier war wiederlich. Es roch jeden Tag gleich und egal was auf der leuchtenden Anzeigetafel über der Theke stand, alles schmeckte ekelhaft. Meine Mutter hatte mich immer davon versucht zu überzeugen, dass ich in der Mittagspause nach Hause komme, aber ich wollte nie. Ich wollte immer lieber mit Jess und Jo an einem Tisch sitzen und mich mit ihnen über die Tussen lustig machen. Und gerade jetzt bereute ich diese Entscheidung garnicht. Wenn ich immer nach Hause gefahren wäre, wäre das jetzt vielschlimmer. Für mich wäre nun die Mittagspausen zusammen mit meinen Freunden nur eine schmerzliche Erinnerung an meine Eltern. Aber weil es immer so gewesen ist, fühlt es sich gut an. Vertraut.
„Vegetarisch oder mir Fleisch?" ertönte die durchdringende Stimme von Juana hinter der Theke. „Vegetarisch, bitte." murmelte ich und schenkte ihr ein kleines Lächeln. Sie lächelte zurück.
Ich hatte Mitleid mit der jungen Frau. Sie verbrachte jeden Tag damit das ekelige Essen, von dem ich glaube das sie es auch ekelig fand, an hungrige Teenager zu verteilen, ohne dafür ein danke zu bekommen. Sie war vielleicht fünf Jahre älter als ich und sah aus als hätte sie schon zu viel erlebt.
Juana war, genau wie Jo, Mexikanerin und nahm ihn öfters mit dem Auto nachder Schule mit. Die beiden wohnten in dem selben Apartmentkomplex etwas weiter am Rand der Stadt. Daher kannte ich auch ihren Namen.
Juana häufte etwas von dem matschigen Essen auf einen Teller und stellte ihn mir auf das Tablett. „Guten Appetit!" sagte sie und lächelte mich erneut an. „Danke." gab ich zurück und machte mich auf den Weg zu einem leeren Tisch. Vorher sah ich kurz zu meinem Bruder rüber. Ich könnte mich auch einfach zu ihm setzten, dachte ich. Aber trotzdem nickte ich ihm nur zu und setzte mich auf einen freien Platz. Nach einer Weile kamen auch Jess und Jo dazu und Jess erzählte weiter von ihrer Kreuzfahrt und zeigte uns Fotos.
Als ich nach der Pause gerade meine Bücher für die nächsten Stunden raus suchte, hörte ich ein quietschen. Ich sah auf und sah den neuen Besitzer des Spindes mit den abgekratzten Sticker. Er hatte braune etwas lockige Haare, die in alle Richtungen abstanden und ein breites Kreuz. Er war bestimmt einen halben Kopf größer als ich. Seine Augenfarbe lag zwischen grün und blau und er trug ein dunkelgraues T-Shirt und eine eine abgeschnittene Knielange Jeans. In seinen Ohren hatte er Kopfhörer. Er wirkt angespannt, dachte ich und sah ihm wieder in die Augen. Er sah konzentriert aus. Der Junge musterte mich, genau wie ich ihn. Langsam schaute ich weg und schloss die Tür meines Spindes. Mit einem kurzen Lächeln in seine Richtung, das er erwiederte, verschwand ich im Gewusel.
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Merlinda ~ Ich will leben, nicht nur existieren.
Teen FictionMerlinda hat vor einem Jahr ihre Eltern bei einem Autounfall verloren. Seitdem fühlt sie sich wie in einer Blase. Sie bekommt Panikattacken und verbringt die meisten Nachmittage in ihrem Zimmer. Auch die Beziehung zu ihrem Bruder ist nicht mehr, wi...