Ein schwerer Windstoß fegte über die Weide, als Hélène de Fontaine, nun eine staatliche Frau, mit wehenden Röcken und voller Vorfreude und Emotionen hinaus lief. Man hatte ihr eine Nachricht zu kommen lassen, dass ihre frühere Liebe und ihr bester Freund Etienne Chevalier am üblichen Ort anzutreffen sei. Sie hatte sich direkt zum Zaun aufgemacht, wo die Beiden sich in späten Kinderjahren getroffen hatten. Das frische, grüne Gras schmeichelte Hélène's Knöcheln, jedoch rannte sie ohne das Gefühl auf der Haut zu beachten, das sie sonst sehr genossen hätte.
Das Waisenhaus war noch intakt und es lebten dort noch Waisen, allerdings nur sehr wenige. Der Monsieur hatte dafür gesorgt, dass die Erzieherinnen sich mehr auf die Bedürfnisse und die Erziehung der Kinder konzentrieren. Dafür zahlte der Monsieur de Fontaine auch gut. Hélène war sehr stolz auf ihren Vater gewesen, da sie ihm von den fürchterlichen Zuständen dort berichtet hatte und er sie auch diesbezüglich ernst genommen hatte.
Ein breitschultriger Mann mit mittellangen, dunklen Haaren stand auf der anderen Seite des Zaunes, auf der Seite des Waisenhauses. Er war mit dem Rücken zu Hélène gewandt und betrachtete eingehend das leicht heruntergekommene Häuschen. „Die Latten müssten an manchen Stellen erneuert werden",dachte Etienne. „Aber Monsieur hatte ordentlich Arbeit geleistet."
Als die junge Dame schwer atmend am Zaum ankam, drehte sich Etienne um und schaute ihr tief in die kastanienbraunen Augen. Er hatte sie jeden Tag vermisst. Hatte sie an ihn gedacht? Vielleicht sogar vermisst?
Hélène stand da und erinnerte sich an den Tag, an dem sie Etienne das erste Mal gesehen hatte. Sie fühlte sich genauso wie in der Erinnerung, die sechs Jahre zurück lag. Fasziniert und neugierig, legte Hélène eine Hand auf seine Schulter und mit der anderen Hand streichelte sie seine Wange. Sie fühlte sich nicht mehr weich an, sondern sie war kratzig von den Bartstoppeln. Etienne war erwachsen. Sehr jung, jedoch erwachsen nach den Maßstäben der Gesellschaft. Bald wäre sie ebenfalls erwachsen. Mit den Verantwortungen und Verpflichtungen, die eine Frau erfüllen musste.
„Etienne." Seinen Namen hatte sie nachdem er sich von ihr verabschiedet hatte, nie wieder ausgesprochen. Stattdessen, hatte sie Nächte wach gelegen und an ihn gedacht.
„Hélène." Sein Blick schweifte über ihre helle und reine Erscheinung zu ihrem Hals. Der Anhänger hing an ihrem Hals. Sie hatte ihn nicht vergessen. Etienne lächelte glücklich und streichelte sanft über ihre kleine, filigrane Hand.
„Du bist größer geworden. Und muskulöser", bemerkte Hélène und zog ihre Hand zurück. Sie wirkte nun etwas nervöser und distanzierter. Es war ungewohnt Etienne jetzt als heiratsfähigen, erwachsenen Mann zu sehen.
„Ja. Du bist noch schöner geworden. Ich wette mit dir um 5 Münzen, dass du auch intelligenter und gerissener geworden bist", wisperte Etienne und grinste. „Gib mir 10 und dann können wir wetten!", lachte Hélène. Etienne liebte ihr glockenhelles und aufrichtiges Lachen. Ihm fiel so etwas sehr schwer. So ging es weiter, die Beiden neckten sich bis sich ein anregendes Gespräch zwischen ihnen entwickelte. Sie verstanden sich direkt, genauso wie in den Kindertagen, so wie als hätte es diese sechs Jahre nicht gegeben.
Die beiden Freunde unternahmen einen Spaziergang zu den Lavendelfeldern und tanzten, auch als es begann zu regnen. Nass bis auf die Knochen, machten sich Hélène und Etienne später Hand in Hand auf den Rückweg. Da erst fielen der vornehmen, jungen Frau die Tätowierungen auf Etienne's Unterarmen auf, als er die Ärmel seines Wamses hochkrempelte. Interessiert, strich sie darüber und fragte was das war und was es bedeutet. Etienne war jedoch nicht gewillt zu antworten. Nach mehrfachen Nachhaken und -bohren gab der kräftige Mann nach. „Das sind magische Tätowierungen, die meine Macht verstärken beim Zaubern", antwortete er knapp.
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Damnare- Nur Magie vergisst nicht #JulyAward2019 #HolidayAward2019
Historical Fiction„In allen Straßen und auf allen Plätzen waren Berge abgeschlagener Köpfe, Hände und Beine zu sehen. Die Menschen liefen über die Leichen und Pferdekadaver. Aber ich habe bis jetzt nur die kleineren Schrecken beschrieben [...] beschreibe ich, was ich...