21: "Mira, ich habe so viel zu tun..."

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Ich wache auf. Und mein erster Gedanke gilt dem Gleichen wie gestern vor dem Einschlafen. Wie erreiche ich Finn? Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Sofort greife ich zu meinem Handy und tippe etwas darauf herum. Dann halte ich mein Handy ans Ohr. Mein leerer Blick fährt die zugezogenen Gardinen rauf und runter, während ich dem Tuten lausche, dass aus dem Hörer kommt. „June Hotel Boston hier, Sie sprechen mit Emma Geller. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?", meldet sich eine scheinbar etwas ältere Frau am Telefon. Ich hole tief Luft. „Mein Name ist Mira Stanford, ich war auch erst vor Kurzem Gast bei Ihnen.", fange ich an und versuche dabei, nicht so nervös zu klingen, wie ich es eigentlich bin. „Okay." Die Dame klingt ziemlich skeptisch. „In Ihrem Hotel wohnt zur Zeit mein Freund, Finn Wolfhard.", fahre ich fort. „Sind Sie wieder eine dieser komischen Fans?", fragt die Frau genervt. Ich seufze. „Nein. Ich war bei Ihnen Gast, vor etwa einem Monat noch, mein Aufenthalt wurde von Joe Saintclair bezahlt.", erkläre ich. Ich höre im Hintergrund, wie einige Computertasten gedrückt werden. „Ah, ja, Verzeihen Sie bitte, Mrs. Stanford. Und was genau ist jetzt Ihr Anliegen?", fragt sie etwas freundlicher. „Würden Sie ihm bitte eine Nachricht überbringen?", frage ich unsicher. „Ihrem Freund?" Ich nicke. „Finn Wolfhard, ja." „Eine schriftliche Notiz aufs Zimmer?", fragt sie nach. „Ja.", sage ich trocken. „Wie soll die Nachricht lauten?" Ich hole tief Luft und überlege. „Bitte ruf mich an, wenn alles okay ist. Gezeichnet Mira Stanford.", diktiere ich. „Alles klar, ich drucke es auf einem Zettel aus und Mr. Wolfhard wird es spätestens in zwei Stunden erhalten.", informiert die Frau mich. „Vielen Dank. Schönen Tag noch.", sage ich freundlich und lege auf.

Die nächsten zwei Stunden schaue ich immer wieder zu meinem Handy, welches auf dem Küchentresen liegt. Ich sitze gerade auf dem Boden und wische mit einem Lappen über den Couchtisch, auf dem ein paar Krümel eine Party feiern, als mein Handy tatsächlich klingelt. Wie von der Tarantel gestochen springe ich auf, lasse dabei den Lappen fallen und sprinte zum Küchentresen. Unbekannte Nummer. „Ja?", melde ich mich etwas außer Atem. „Mira? Ich bin es."

„Finn.", atme ich erleichtert auf. „Was ist denn los?", fragt er, als wäre nichts gewesen. Ich seufze. „Wieso hast du mir so eine Nachricht zukommen lassen und..." „Finn.", unterbreche ich ihn. „Immer wenn ich dich anrufen will, kommt nur „Kein Anschluss unter dieser Nummer".", informiere ich ihn. „Ah so!" Seine Verwirrung löst sich in Luft auf. „Es tut mir leid, Schatz, ich habe ein neues Handy, weil mein Altes kompletter Schrott ist." „Und deshalb kannst du mich nicht anrufen oder so?", frage ich etwas genervt. „Mira, ich habe so viel zu tun...", beginnt er. Doch ich unterbreche ihn wieder. Mein Puls rast ins Unermessliche und ich spüre die Wut, die in mir aufsteigt. „Willst du mich komplett verarschen?", schreie ich in den Hörer. „Das kann nicht immer deine verdammte Ausrede sein, Finn, ich habe mir solche Sorgen gemacht, ob es dir gut geht! Und ich habe mir Vorwürfe gemacht, weil ich dachte, du hast deine Nummer geändert und meldest dich nicht mehr, weil du es beenden willst! Mir ging es in den letzten Tagen richtig schlecht deswegen!" Meine Stimme bricht an einigen Stellen. „Mira, es waren keine mehreren Tage, es..." „Im Ernst?", brülle ich. „Das ist jetzt das, was du für wichtig erachtest? Geh doch zu deiner Ayla!", brülle ich und ehe ich mich versehe, habe ich aufgelegt. Tränen der Wut vermischen sich mit Tränen der Reue und der Enttäuschung. Ich bereue das, was ich gesagt habe. Und ich bin enttäuscht von Finn. Und von meiner Reaktion. Ich versuche, meinen Puls wieder auf einen normalen Wert zu bringen. Langsam atme ich tief ein und aus. Mein Handy liegt wieder auf dem Tresen. „Anruf beendet.", steht da immer noch. Wie in Trance speichere ich die neue Nummer noch als „Finn" mit einem schwarzen Herz dahinter ein, bevor ich mein Handy sperre und weglege.

Mein leerer Blick schweift über den Boden vor mir. Ich gehe ins Bad. Nehme den orangenen Plastikbehälter aus dem Schrank. Drehe ihn in den Fingern hin und her. Ich hasse meine Krankheit. Sie macht alles kaputt. Schnell nehme ich eine der länglichen, weißen Pillen heraus und gehe in die Küche, um das Medikament mit Wasser hinunterzuspülen. Dann schaue ich mich um. Was soll ich jetzt tun?

Alleine zu leben hat Vor- und Nachteile. Einer der Nachteile ist definitiv das Alleinsein. Man weiß nichts mit sich anzufangen. Gelangweilt sitze ich auf dem Sofa und zappe durch die verschiedenen Kanäle. Währenddessen schwirren mir meine eigenen Worte durch den Kopf.

Geh doch zu deiner Ayla!

Ich kneife die Lippen zusammen und lasse die Fernbedienung sinken, sodass im Hintergrund Keeping Up With The Kardashians läuft. Doch ich achte nicht auf den Fernseher. Wieso habe ich das gesagt? Er hatte mir doch gesagt, weshalb er bei Ayla war.

„Tja, jetzt bin ich wohl dran mit dem Monolog.", seufzt er. Ich sage dazu nichts sondern sauge nur die Luft scharf ein. „Wie auch immer. Ich war bei Ayla im Zimmer. Im Bett. Aber nicht so. Sie... hat mir bei was geholfen. Und ich wollte dich nicht anlügen, aber... es ging nicht anders. Ich hoffe, dass du das Ganze verstehen wirst. Und weil ich Angst habe, dass du mir nicht glauben wirst, oder was auch immer... Sage ich dir jetzt den Grund, aus dem Ayla mir geholfen hat. Auch wenn ich das eigentlich ja nicht tun wollte. Also..." Er zögert. Ich sehe, wie seine Hände zittern. Ich schlucke. „Ich wollte dich überraschen.", sagt er leise. Meine Kinnlade fällt beinahe hinunter. „Ich... habe mir für Ende Januar und Anfang Februar drei Wochen frei genommen.", erzählt er weiter. „Ich wollte mit dir nach Paris. Als Geburtstagsgeschenk. Und Ayla war schon öfter dort und hat mir dabei geholfen, rauszusuchen, was wir alles machen können und welches Hotel wir nehmen sollen... Ich würde nie was mit Ayla anfangen. Sie ist nur eine Freundin. Und eben so eine Freundin, die mir beim Planen der Überraschungsreise für meine Freundin geholfen hat.", beendet er seine Erzählung.

Wieso war ich so dumm?

Lovers. // f.w.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt