4: "Mein Tag war schrecklich."

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„Wie geht es dir?" Diese Frage wurde mir in den letzten Tagen oft gestellt. Den Knutschfleck habe ich überschminkt, genau wie die blauen, beinahe schon lilanen, Flecken auf meinen Handgelenken. Finn ist nichts aufgefallen. Ich weiß nicht, was er denkt. Sehen tue ich ihn immer noch fast nie. „Mira?" Carol wedelt mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum. „Hm?", murmele ich und versuche, wieder klare Gedanken zu fassen. „Ich habe was gefragt." „Was denn?", frage ich. Meine Stimme ist leise und kraftlos. „Wie es dir geht.", wiederholt sie. Ich zucke mit den Schultern. „Passt.", antworte ich. „Hat Kyle wieder..." „Nein.", unterbreche ich sie. „Wirklich nicht?" Kyle sitzt etwas abseits von uns auf einer Couch im Besprechungsraum. Ich spüre seinen warnenden Blick auf mir, gemischt mit diesem ekelhaften, schmierigen Gesichtsausdruck. Mir wird schlecht. Dann schüttele ich den Kopf. „Nichts.", betone ich. Carols Blick fährt sofort zu ihrem Cousin, der nun unschuldig in der Gegend umher schaut. Wut steigt in mir auf, doch ich atme einfach einmal tief durch und schlucke sie wieder hinunter. „Hast du mit Finn geredet?" Carol liegt mir damit schon die ganze Woche in den Ohren. Und immer ist meine Antwort die gleiche: Schweigen. Mit gesenktem Blick starre ich auf meine Finger. „Du kommst nicht drum herum, das weißt du, oder?", fragt sie. Ich nicke. „Ich kann es nicht.", sage ich und lege meine Stirn in Falten. „Er ist dein Freund. Bedingungsloses Vertrauen und so." Ich zucke mit den Schultern. „Was soll er schon dagegen tun.", seufze ich leise. Ich stütze mein Gesicht in die Hände. „Emotionalen Beistand leisten? Zum Beispiel.", schlägt Carol vor. „Dafür ist er doch da." „Er ist nie da.", widerspreche ich. Was soll er schon tun.

Ich hebe mein Handy an mein Ohr und lasse mich rückwärts auf mein Bett fallen. Es tutet. „Hey.", meldet sich ein scheinbar etwas müder Jack. „Hey, alles gut?", frage ich. „Bin nur müde.", bestätigt er meine Vermutung. „Wieso das?", lächele ich schwach. „Hatte viel zu tun.", seufzt er. „In der Nacht?", frage ich. Da fällt mir etwas ein. „War Sadie da?", grinse ich. „Und wenn schon. Du hörst dich auch nicht sonderlich fit an.", wechselt er das Thema. „Heute war anstrengend.", sage ich wahrheitsgemäß. „Kyle wieder?", fragt Jack besorgt. „Nicht direkt." „Wie dann?", fragt er. Ich seufze. „Er macht mir Angst. Er droht mir.", erzähle ich. „Immer noch?" Jack ist hörbar besorgt. „Ja.", murmele ich. „Ohne Witz, wenn du mir weiter solche Sachen erzählst, fliege ich höchstpersönlich nach Boston und hol dich da raus.", sagt er aufgeregt. „Brauchst du nicht. Mir geht es... gut.", sage ich nach einigem Zögern. „Ist klar. Ist Finn immer noch am Set?", wechselt er wieder das Thema. „Jep.", sage ich trocken. „Wie sollte es auch anders sein." „Besuch ihn doch mal!", schlägt Jack vor. Ich zucke mit den Schultern. „Ja, mal sehen." „Er arbeitet doch mit Tom Hanks und Leonardo DiCaprio zusammen. Die mal zu treffen wäre doch mal was.", erzählt Jack weiter. Und dann erzählt und erzählt er. Doch ich höre nicht richtig zu. Irgendwas von Sadie und Wyatt, der in Vancouver ist- und Kino. Mehr bekomme ich nicht mit. Meine Gedanken schweifen ab. Soll ich wirklich mal Finn besuchen? Wann? Ob er es überhaupt will? Ich seufze. „Mira, hörst du mir zu?", reißt Jack mich aus meinen Gedanken. „Was?", murmele ich verwirrt. „Also nein. Ist auch nicht so wichtig.", seufzt er. „Tut mir leid.", flüstere ich. „Schon gut. Mira, aber mal im Ernst... Wenn es nicht besser wird, musst du kündigen.", seufzt er. „Nein.", sage ich bestimmt. „Mira!" „Ich bin nicht schwach.", sage ich. „Das hat doch nichts damit zu tun!", regt Jack sich nun auf. „Der Typ macht dich fertig, du wohnst alleine in einem Hotelzimmer, du siehst Finn kaum... Komm schon!", ruft er aufgebracht. Ermattet lasse ich das Handy sinken. Jacks Stimme höre ich immer noch klar und deutlich, so laut ist sie. „Versprich es mir!", ruft er. Ich nicke, obwohl er mich nicht sehen kann. „Mira?", ruft er. Ich seufze. „Ja doch.", rufe ich. „Wir sehen uns.", sage ich und lege auf.

Ich liege nun einfach auf dem Bett und schließe meine Augen. Langsam atme ich ein und aus. Mein Leben ist der pure Horror. Da piept mein Handy kurz auf. Eine Nachricht. Finn. Ich öffne sie.

Hey, habe heute früher Feierabend. Kino?

Ich seufze. Dann tippe ich die Antwort.

Nein, mir geht es nicht so gut.

Tränen steigen in meine Augen.

Soll ich vorbei kommen?

Ich schluchze auf. Ich verdiene ihn nicht. Er ist immer für mich da. Immer. Obwohl er so viel zu tun hat. Und ich... erzähle ihm nicht einmal von Kyle. Aber... ich fühle mich schwach. Schwach.

Bringst du Pizza mit?

Da meldet sich auch schon mein Magen. Ich habe die letzten Tage kaum was gegessen. Das macht sich erst jetzt bemerkbar. Doch meine Gedanken bleiben wieder einmal bei mir und meiner Schwäche hängen. Finn ist immer für mich da. Und ich... bin so dumm. Ich muss es ihm erzählen.

Klar. Bin in einer halben Stunde da.

Ich muss lächeln. Finn und Pizza. Der Tag könnte doch noch schön werden.

Eine halbe Stunde später klopft es an der Tür. Bis gerade lag ich unverändert auf meinem Bett und starrte gegen die Decke. Jetzt stehe ich auf und öffne die Tür. Finn steht lächelnd mit zwei Pizzaschachteln davor. Ich muss ebenfalls lächeln, auch wenn es ein eher müdes Lächeln ist. „War dein Tag so anstrengend?", fragt Finn sanft und gibt mir einen Kuss. Dann geht er an mir vorbei und lädt die Pizza auf meinem Bett ab. Dann kommt er wieder zu mir und umarmt mich einfach nur. Ich erwidere die Umarmung und kuschele mich eng an ihn. „Mein Tag war schrecklich.", nuschele ich in sein Shirt. „Oh man.", seufzt er und gibt mir einen Kuss auf den Haaransatz. „Ich habe Hunger." „Du bist echt Meisterin im Stimmung zerstören." „Blödmann.", seufze ich und löse mich. Da knurrt mein Magen. „Okay, du hast gewonnen.", grinst mein Freund und gibt mir noch einen Kuss, bevor wir uns an die Pizzen machen. 

Lovers. // f.w.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt