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Die Nacht war kalt. Zu kalt, um draussen zu sein. Trotzdem stand ich hier, gedankenverloren am Strassenrand vor unserem Haus, rauchend.
Der Rauch, den ich ausbließ, stieg langsam zum Himmel hinauf, an welchem man heute die Sterne leuchten sehen konnte, wie es nur selten passierte.
Ich schloss meine Augen und genoss den Moment. Den Moment für mich alleine, ohne Sorgen, ohne einen Vater, der mir das Leben zur Hölle machte, einfach nichts.
Leere. Wie fühlte es sich an, vollkommen zu sein? Wie fühlte es sich an, fröhlich zu sein, zu Leben, zu lachen, positiv durch das Leben zu gehen?
"Was ist schon dabei. So ein Leben hat niemand.", versuchte ich mir einzureden und lief langsam hin und her. Die Kälte entwickelte sich zu einem schmerzenden Gefühl, welches unter meine Haut drang und mich erzittern ließ. Ich zündete mir noch eine Zigarette an und musste lächeln. Es war zwar ein verbittertes Lächeln, aber dennoch lächelte ich. Ich lächelte über alte Erinnerungen, malte mir ein besseres Leben aus und schwelgte in Selbstmitleid. "Jeder bekommt das was er verdient.", flüsterte ich und nahm noch einen kräftigen Zug, bevor ich wieder rein ging.

Ihre Augen. Ihre blauen Augen, die so wunderschön strahlten, als sie lächelnd auf mich zukam, um mich zu begrüßen. Eine ganze Woche war sie weg gewesen, hatte mich mit Papa alleine gelassen. Ich konnte nicht schlafen, habe jede Nacht an sie gedacht. "Mama.", flüsterte ich und fing an zu weinen. "Ooh mein kleiner Schatz, hast du mich so sehr vermisst?", flüsterte sie als sie mich umarmte. Ich konnte nur nicken, während ich schluchzend ihre Anwesenheit genoss. Ihr Geruch. Ihre Fürsorge. Einfach alles. Was würde ich nur ohne sie tun?
"Ich will nicht mehr Leben, wenn du für immer weggehst, Mami.", sagte ich entschlossen und wischte mir die Tränen weg. Sie lachte und nahm meine Hand. "Wer will schon ohne einen geliebten Menschen leben?", sagte sie, strahlte jedoch über das ganze Gesicht. Dann ließ sie meine Hand los, und ging ins Haus.
Ich blieb stehen und beobachtete, wie sie ins Haus verschwand. Wie war wohl die Vorstellung, sie für immer zu verlieren?

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Sofia tauchte nicht auf. Ich sah sie mittlerweile zwar wieder in der Schule, aber sie würdigte mich keines Blickes. Vielleicht hatte sie es ja einfach satt und wollte alleine sein. Ich konnte es so sehr nachvollziehen, dass ich mir keinen Kopf mehr darüber machte.

"Scar.. also weißt du ich wollte dir nur sagen dass ich nicht mehr mit dir laufen werde, weil meine Eltern den Geruch von Zigaretten an mir gerochen haben und ich echt Ärger bekommen habe.", versuchte sie sich dann nach 2 Wochen zu erklären.
"Okay.", sagte ich und blickte starr geradeaus. Sie kommen und gehen. Wer denkt, dass ein Mensch für immer bleibt, ist unglaublich naiv. Ich konnte mich damit abfinden, dass sie geht. Sie ist nicht der erste Mensch, der so plötzlich nicht mehr in meinem Leben ist.
Ich stieß den Rauch von meiner Zigarette aus.
Ich bin abgehärtet für so einen Scheiß.

Verwundert schaute sie mich an, dieses hilflose, naive, durchschaubare kleine Mädchen und nickte dann bloß mit dem Kopf, bevor sie schnellen Schrittes wegging.
Gedankenverloren machte ich mich auf meinen Weg nach Hause.

Der Wald war so wunderschön. Heute genoss ich die Aussicht noch mehr als an anderen Tagen, und setzte mich auf einen Baumstamm. Ich zündete mir eine weitere Zigarette an und betrachtete die vielen Bäume. Die Sonnenstrahlen der Mittagssonne schienen sanft durch die Äste und gaben dem Moment eine wunderschöne Atmosphäre. Ich musste schlucken. Was war der Sinn des Lebens? Alles sah so wunderschön aus, doch in Wahrheit ist es alles grausam.
Wir verletzen uns gegenseitig, nur um es dann zu bereuen, um dann um Verzeihung zu bitten. Aber manchmal ist es einfach zu spät. Manchmal, ja manchmal haben wir einen Fehler gemacht, den man nicht mehr rückgängig machen kann. Wie wäre es zu sterben?
Dieses Leben einfach aufzugeben. Zu schwach zu sein. Einfach mal egoistisch zu sein. Das tun, was man sich wünscht. Was man sich herbeisehnt.

Ich kann das nicht. Ich brauche meine Mami. Wieso hat er sie nur umgebracht?
Tausend Gedanken, tausend Fragen und keine einzige Antwort. Mein Kopf schwirrte vor zu vielen Fragen, Kopfschmerzen kamen auf. Orientierungslos irrte ich in meinem Zimmer herum, Tränen in den Augen, ein unbeschreibliches Gefühl der Schwere in der Brust, welches nicht weggehen wollte.

Ich hasse sie. Ich hasse sie alle.
Voller Wut schlug ich meinen Kopf gegen den Boden.

Warum ist das Leben so? Warum kenne ich nichts anderes außer Schmerz und Verachtung?
Ich musste schlucken. Fang bloß nicht an zu weinen. Ich war ein hoffnungsloser Fall.

Mit einem Gefühl der Leere starrte ich in den Himmel.

Mama, siehst du mich?

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