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Ein paar Stunden später erreichten Cassiel und Chandra die Grenze zum Nebelwald, die von einem leise plätschernden Bach markiert wurde. Die Bäume wuchsen hier spärlicher und der Boden war trockener. Dichter Nebel lag in der Luft und hüllte alles, das mehr als zwei Meter vor dem Auge des Betrachters lag, in seinen weißen Schleier. Die beiden Reisenden wateten durch das knöcheltiefe Wasser und machten auf der anderen Seite Halt, um sich auszuruhen und wieder zu Kräften zu kommen.

Während Cassiel das kühle, wohltuende Wasser mit seinen Händen schöpfte und trank, hoffte er inständig, dass in der letzten Zeit kein Zauberer das Bedürfnis verspürt hatte, es zu verfluchen, um die Trinkenden in Tiere oder Monster zu verwandeln. Auch das war einem seiner Mitstreiter zugestoßen.

Etwas Essbares konnte der Ritter nicht ausfindig machen, sodass er in seinen Beutel griff und das letzte bisschen Beeren und Nüsse herausholte, das ihm noch von der letzten Mahlzeit geblieben war.

Chandra graste in unmittelbarer Nähe, worauf sie den Kopf hängen ließ und vor sich hin döste. Cassiel wollte es ihr nachtun, doch die Aussicht auf einen Kampf mit zahllosen Ghulen und dem Abtrünnigen Magier ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.

Er wälzte sich unruhig unter seiner Wildlederdecke und dachte darüber nach, wie er sich unbemerkt in die Burg schleichen wollte, um die Prinzessin zu befreien.

Ihm fiel nichts Hilfreiches ein.

Und dann hörte er zu alledem sie – die Geister des Nebelwalds, die ihre hohen, klangvollen Stimmen hoben, um ihn an ihrem Leid teilhaben zu lassen, ihn langsam aber stetig in den Wahnsinn zu treiben. Cassiel hielt sich beide Ohren zu.

Von klein auf wurde den Waldelben beigebracht, dass sie, sollten sie einmal zu Verbrechern und Gesetzlosen heranwachsen, nach ihrem Tod als Geister in den Nebelwald kommen würden, um dort bis in alle Ewigkeit schreckliche Qualen zu leiden.

Wenn jemand diesen Ort betrat, konnte er hören wie die Geister um Gnade flehten und vor Schmerzen schrien, während sie ihre durchsichtigen Gestalten weinend in den Nebelschwaden bargen.

Cassiel wusste, dass sie ihm nichts anhaben konnten, sie steckten schließlich in einer Art Zwischenwelt fest und konnten in der wahren Welt nicht das Geringste ausrichten, doch ihre Stimmen hatten es schon oft geschafft, auch die konzentriertesten Reiter aus dem Konzept und den gesunden Verstand zu bringen. Das durfte Cassiel nicht passieren.

Sein Blick wanderte unwillkürlich zu Chandra, die bereits aufgewacht war und mit gespitzten Ohren den Stimmen der Toten lauschte. Cassiel stöhnte wütend auf und kam auf die Beine. Je schneller sie hier raus waren, desto weniger Schaden würden die Geister anrichten können. 

Das GeburtsrechtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt