Cassiel konnte noch immer nicht fassen, dass er es mitsamt der kleinen Prinzessin aus der Burg des Abtrünnigen Magiers geschafft zu haben, ohne auch nur einen ernsthaften Kampf ausfechten zu müssen. Der Ausgang der Dinge erschien ihm noch immer zu leicht, zu einfach. Aber er beschloss, es anzunehmen, wie es war.
„Da ist der Busch", wendete Cassiel sich an das Kind. „Dahinter habe ich meine Stute, Chandra, versteckt. Sie wird uns nach Hause bringen."
„Zu meinem Vater."
„Zu deinem Vater."
Das Mädchen lächelte glücklich.
Und Cassiel lächelte noch viel glücklicher, als er das Schnauben seines Reittiers vernahm. Chandra war noch immer da und wartete auf ihn. Es würde alles gut werden. Der König würde ihm bis an sein Lebensende dankbar sein.
„Chandra, mein Mädchen", begrüßte Cassiel sie und ging, mit dem Mädchen an der rechten Hand, auf sie zu. Doch die Stute schüttelte den Kopf, riss die Augen auf und scherte aus. Sie wieherte laut und schien erschrocken zu sein.
Da sah Cassiel ihn auch. Den Abtrünnigen Magier, der gelassen am Stamm eines nahe stehenden Baums lehnte. Er wirkte zufrieden, geradezu amüsiert.
„Oh, Cassiel, Cassiel, mein Lieber, ich habe dich erwartet", flötete er und schenkte ihm ein durchtriebenes Grinsen. „Du hast sie also befreit. Herzlichen Glückwunsch!"
Instinktiv schob Cassiel das Mädchen hinter sich und erhob die Stimme: „Ihr bekommt sie nicht! Nicht über meine Leiche!"
„Aber, aber", begann der Abtrünnige Magier gespielt entrüstet. „Ich bewundere deinen edlen Heldenmut, doch nicht sie ist es, die ich will, sondern dich."
Cassiel traute seinen Ohren nicht. Was sollte er von ihm wollen?
Er hörte das Mädchen hinter sich weinen.
„Es ist nämlich so", der Magier näherte sich Cassiel und blieb unmittelbar vor ihm stehen. Der Ritter starrte ihn verwirrt an. „dass der König mit mir eine Vereinbarung hat."
„Und was für ein Deal soll das sein?", höhnte Cassiel, der ihm kein Wort glaubte.
Der Abtrünnige Magier lächelte leicht. „Die Entführung war inszeniert, mein Lieber. Vom König und mir, um dich hierher zu locken. Meinst du wirklich, meine Sicherheitsvorkehrungen seien so dürftig?"
Cassiel verstand kein Wort.
„Sagen wir es so: Ich habe den Auftrag, dich zu töten, dann darf ich wieder in das Königreich zurückkehren und mein Ruf wird wiederhergestellt. Deshalb bist du hier. Das Mädchen...interessiert mich nicht. Nur ein Mittel zum Zweck, wenn du verstehst."
Cassiel runzelte die Stirn. „Warum sollte der König mich töten wollen? Ich bin sein bester Ritter, seine rechte Hand, sein Vertrauter."
„Weil du, Cassiel, der eigentliche Herrscher bist."
„Was soll das heißen?"
„Was denkst du denn? Der König - der unrechtmäßige König -, hat bei deiner Geburt dafür gesorgt, dass du verschwindest. Und der Tod des vorherigen Königs war kein Unfall, sondern Mord. Ebenso der an der Königin. Banditen? Nein, keine Banditen, sondern dein Onkel. Ist das nicht eine wahnsinnig spanennde Geschichte? Nun bist du allerdings wieder auf den Plan getreten, jung und stolz und kraftvoll, du hast dem König Sorgen bereitet. Was, wenn du deine wahre Herkunft herausfinden würdest, was würdest du ihm dann antun?" Er lachte und rieb sich die Hände. „Jetzt weißt du es ja und denkst an Rache, blutige Rache, aber die Gelegenheit dafür wirst du nicht mehr bekommen, denn bis dahin bist du fort. Nun schick dein Ross mit dem Kind fort und komm mit mir. Dann passiert der Kleinen nichts. Ehrenwort."
Cassiel war wie vor den Kopf gestoßen und konnte nicht glauben, was der Abtrünnige Magier ihm erzählt hatte. Sein ganzes bisheriges Leben war eine Lüge. Eine perfide, von langer Hand geplante Lüge, die ihn um sein Geburtsrecht gebracht hatte. Der Hass, der in Cassiels Herzen aufglomm, war von einer solchen Intensität, dass er die Fäuste ballte.
Der König hatte ihn wissentlich in den sicheren Tod geschickt.
Trotzdem drehte er sich zu dem kleinen Mädchen um, das ihn aus großen blauen Augen anstarrte und große Angst zu haben schien. „Wirst du mich umbringen, Cassiel?", fragte sie resigniert. „Aus Rache an meinem Vater?"
„Nein, meine Kleine", sagte Cassiel beruhigend. „Du kannst nichts dafür."
Er hob sie auf Chandra und streichelte der Stute über die Nüstern. Das Pferd sah ihn traurig an. Das Mädchen auf seinem Rücken weinte.
„Bring sie nach Hause, Chandra", flüsterte Cassiel ihr zu und schloss die Augen. „Bring sie in Sicherheit."
Das Tier gehorchte nur zögernd und galoppierte dann fort. Cassiel sah ihm noch hinterher, bis seine anmutige Gestalt im Wald verschwunden war und wandte sich dann dem Abtrünnigen Magier zu, der nun plötzlich von Dutzenden Ghulen flankiert wurde. „Die letzten Worte?", fragte der Magier und grinste schief.
Halbherzig und noch immer erschüttert zog Cassiel sein Schwert und stellte sich breitbeinig und tapfer seinen Feinden. Doch tief im Herzen wusste er, dass es ohnehin zwecklos war.
Denn sein Leben war bereits vorüber gewesen, als er den Zwerg aufgesucht und die Phiole mit dem Drachenkraut-Extrakt geholt hatte.
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Jetzt, da ihr am Ende meiner (recht langen) Kurzgeschichte angelangt seid, würde mich eure Meinung natürlich ausgesprochen interessieren. Was haltet ihr von der Geschichte? Was könnte ich verbessern? Was fandet ihr gut?
Und nicht zu vergessen: danke fürs Lesen! ^^
xxx
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Das Geburtsrecht
FantasyCassiel ist die rechte Hand des Königs und sein ergebener Ritter. Er ist der jüngste Waldelb, der es in der Geschichte Amnágons so weit gebracht hat und dementsprechend stolz. Und er hat einen Auftrag von enormer Wichtigkeit: Er soll die entführte T...