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R A C H E L

Ich schaute dem unsicheren aber auch selbstbewussten und stolzen Jungen mit den wunderschönen graugrünen Augen ins Gesicht und prägte mir dieses besonders gut ein. Harry. Ein schöner Name. 

»Harry.«, flüsterte ich. Es war, als würde dieser einfache Name mich verzaubern. Als hätte er eine starke Wirkung auf mich. 

»Sag mal, wieso lebst du hier?«, fragte Diana interessiert und fuhr sich durch ihre kurzen Haare, während sie leicht anfing, mit ihrem Fuß auf den Boden zu tippen. 

Harry schien nicht lange zu überlegen, bis er seine Antwort parat hatte, denn prompt erhob sich seine Stimme um eine Oktave, nachdem er uns eine Weile lange emotionslos angestarrt hatte.

»Ich schätze, dass geht euch gar nichts an. Stimmt's?« Stimmt.

Kurz darauf folgte ein langer Moment des Schweigends, bei dem ich und Diana uns nur überrascht angesehen hatten. 

War es vielleicht die falsche Entscheidung gewesen, ihn aufzuwachen und ihn anzusprechen? Hätten wir einfach gehen sollen, in der Hoffnung, ihm würde bloß nichts passieren? Hätten wir so tun sollen, als hätte unsere kleine Erkundung niemals stattgefunden und hätte Schweigen sollen? Ich wusste es nicht, ich war aber immer noch fest davon überzeugt, dass wir richtig gehandelt hatten. Vielleicht wäre er in den nächsten Tagen gestorben, an einem Hungertod oder Kälteschock, und einen Tod wollte ich ganz sicher nicht verschulden. 

Ich stand auf und wendete mich Diana zu. »Ich denke, wir sollten nun gehen.« Ich schielte leicht zu Harry rüber, der mir nur zustimmend zunickte. Dies war meine Bestätigung. Ich verließ das Gebäude schweigend mit meiner Freundin und lief ebenso still mit ihr nachhause. 

»Glaubst du, e-er benötigt unsere Hilfe? Ich meine, denkst du, wir sollten ihm helfen?« Ja, genau dass dachte ich. Harry war meines Erachtens bloß zu stur, um unsere Hilfe anzunehmen. 

Anläßlich meines Schweigends hackte Diana noch Minuten nachher nach meiner Meinung nach. Ich ignorierte sie und stampfte den langen Waldweg entlang. »Wir müssen ihm helf-!» Seufzend blieb ich einen Moment stehen und verdrehte meine Augen. »Das tun wir, versprochen.«

H A R R Y

Ich ließ mich auf der dünnen kirschroten Decke nieder, die ich einmal in dem Schloss gefunden und sofort zu meinem Schlafplatz mitgenommen hatte.

Ich fragte mich schon seit mehreren Stunden, wer diese zwei komischen Mädchen waren. Sie hatten mir verrieten, wie sie hießen. Rachel, das war das junge Mädchen mit den langen, glatten braunen Haaren, die ihr bis zum Po reichten, mit den blauen strahlenden Augen und dem hübschen, weißen Lächeln, wenn ich mich nicht völlig täuschte. Sie wirkte sehr freundlich, zuvorkommen und sympathisch auf mich. Ihre kleine Freundin, Diana, war das totale Gegenteil von ihr. Kurze pechschwarze Haare, kastanienbraune Augen und lange Wimpern. Sie wirkte etwas kindlicher, wenn sie unsicher und nervös auf ihrer Lippe kaute und vor sich hin stotterte, wenn sie nicht genau wusste, was sie sagen sollte. Irgendwie waren beide ziemlich niedlich, wenn auch etwas zurückhaltend. Sie gefielen mir, insbesondere Rachel tat dies.

Ich lag noch stundenlang auf der roten Decke und dachte an die mysteriösen Mädchen, die sich in jenes Schloss trauten und mich dort zufällg antrafen. Seit sehr langer Zeit hatte ich keinen 'Besuch' mehr gehabt oder ein Wort mit einem anderem Menschen gewechselt, denn zu groß war die Furcht davor, dass sie mich finden würden. 

R A C H E L

Viele, sehr viele Tage waren vergangen. Einunddreißig, wenn ich micht nicht völlig irrte. Der Lockenkopf ging mir bis dato nicht mehr aus dem Kopf. Ich erinnerte mich Tag und Nacht zurück an seine ausgiebigen Verletzungen, die seinen Körper prägten, an die verwuschelten Locken die ihm verschwitzt in die Stirn fielen und an seine atemberaubenden Augen. Ich bereute es schon beinahe, gegangen zu sein und ihn alleine gelassen zu haben, denn aus einem unerklärlichen Grund, fehlte er mir. 

Ich würde ihn gerne besuchen gehen, ihm helfen und ihm zeigen, dass ich für ihn da war. Aber ich hatte eine zu große Angst vor seiner Reaktion. Vielleicht würde er glücklich und erleichtert sein, wenn er mich sah, doch er konnte mich genauso gut wütend und agressiv anschauen. Ich würde restlos enttäuscht sein, wenn er mich nicht wiedersehen wollen würde, denn auf irgendeine Weise bedeutete mir der verletzte Junge schon etwas.

Diese Ungewissheit machte mir schon seit ein paar Tagen Angst. Ich war sehr neugierig, dass konnte ich absolut nicht leugnen, aber diese widerliche Angst zerfraß mich innerlich und veränderte mich ununterbrochen ein wenig.

Ich hatte so viele Fragen, die ich ihm gerne stellen würde. Wieso war er zum Beispiel so wütend gewesen, als wir ihn fragten, wieso er in diesem Schloss lebten? Wieso war er genrell so abwesend und unhöflich zu uns? Wieso hatte er soviel Verletzungen? Wer hatte ihm diese angetan? 

Das alles ergab keinerlei Sinn für mich, doch ich war mir völlig sicher, dass ich es herausfinden wollte und dies ebenfalls tun würde. Komme, was wolle, ich wollte es erfahren.

Destiny of TruthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt