Ich rannte zurück zum Parkplatz, auch wenn ich wusste, dass das völlig sinnlos war. Als ich dort ankam, fühlte sich meine Lunge an, als hätte sie jemand mit einem heißen Eisen ausgebrannt und mein Atem ratterte wie der Motor eines alten Lastwagens. Ich war schnell gelaufen – sehr schnell, wenn man bedachte, dass ich seit Monaten keinen Sport mehr gemacht hatte und Asthmatiker war –, aber trotzdem war meine Mühe umsonst gewesen. Vom Bus fehlte jede Spur.
»Verdammt!«, fluchte ich und trat gegen einen Mülleimer am Straßenrand. Ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Fuß und ließ mich noch lauter fluchen. »Verdammt, verdammt, verdammt!«
Wieder begann es zu regnen. Ich konnte die Tropfen auf meiner Haut fühlen, feine, kalte Tropfen. Nicht mehr lange und ich würde mir einen trockenen Unterschlupf suchen müssen.
»Verfluchte Scheiße«, stieß ich aus und trat noch einmal gegen den Mülleimer – einfach aus Prinzip. Aber natürlich blieb der Parkplatz leer.
»He, du da!«
Ich fuhr herum. Ein älterer Mann mit fettigen halblangen Haaren und schmutziger Kleidung torkelte von einem der Parkfelder auf mich zu. Ich fing seinen Blick ein, nicht ganz sicher, ob ich froh sein sollte, dass er kein Polizist war. »Alles klar bei dir, Kumpel?«
Ich musterte ihn. Ein Obdachloser, ziemlich sicher. Hatte wohl seit einigen Tagen nichts mehr gegessen, so eingefallen wie sein Gesicht war. Sturzbetrunken, natürlich, aber – soweit ich das beurteilen konnte – völlig harmlos.
Ich stieß einen leisen Seufzer aus. »Alles Bestens«, sagte ich. Der Obdachlose kam auf mich zu geschlurft. Schon von Weitem konnte ich seine Bierfahne riechen. Ich verzog das Gesicht. Ich hasste das Zeug.
»So siehste aber nich' aus, Kumpel«, meinte der Betrunkene und hickste. Er war vor mir stehen geblieben und schob sein narbenbedecktes Gesicht in mein Blickfeld. »Haste 'was auf der Leber, hm? Ich versteh das gut, weißte.« Er lachte über seinen eigenen Witz und hauchte mir seinen Mundgeruch ins Gesicht.
»Nicht so wichtig«, murmelte ich und setzte mich wieder in Bewegung, in der Hoffnung, den Betrunkenen so abschütteln zu können. Ich hatte echt andere Probleme im Moment.
»He, wo willste hin? Nich' so schnell, Kumpel!«
»Tut mir leid«, entgegnete ich, ohne mein Tempo zu drosseln. »Vielleicht ein anderes Mal.«
»Jetzt warte doch mal, Kumpel!« Ungeschickt schlurfte der Betrunkene den Bürgersteig entlang und wäre dabei fast über seine eigenen Schnürsenkel gestolpert. »Das is' doch nich' fair, Mann. Immer laufen sie von mir weg. Nich' einmal dieses Mädchen vorhin wollte etwas mit mir zu tun haben... Dabei wollte ich doch nur ihren Bus mal ansehen, weißte.«
Das war der Satz, der mich abrupt innehalten ließ. Ich drehte mich um. »Was hast du gesagt?«
»Na, das Mädchen«, entgegnete der Betrunkene, während er sich an einer Straßenlaterne festhielt, um das Gleichgewicht zu halten. »Die mit den Zwillingen, die vorhin hier war.«
Plötzlich begann mein Herz wieder etwas schneller zu klopfen. Ich hielt den Betrunkenen an den Schultern fest. »Weißt du, wo sie hin sind?«
»Ich weiß nich', Kumpel«, antwortete er und hauchte mir seinen Mundgeruch ins Gesicht. »Haben irgendetwas von 'ner Tankstelle geredet. Ich hab ihnen gesagt, dass es hier gleich eine in der Nähe gibt. Weißte schon. Da gehste durch den Park hindurch zum Stadtausgang.« Er sah mich mit geröteten Augen an. »Ist se deine Freundin, Kumpel?« Ein Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. »Ist 'ne Hübsche, was? Hat schöne Haare. Gute Wah–« Bevor er seinen Satz zu Ende bringen konnte, beugte er sich nach vorne und übergab sich. Ich konnte im letzten Moment noch zurückspringen, als sich auch schon das ganze Abendessen des Betrunkenen vor meinen Füßen auf den Boden ergoss. Beinahe hätte ich selbst kotzen müssen. Ich trat einige Schritte zurück, dann begann ich loszurennen. Die Tankstelle also. Ich musste mich beeilen.

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Meereswölfe
FantasyHinweis: Dies ist eine Leseprobe zu meinem Roman "Meereswölfe", der im März 2018 erscheinen ist. Wenn euch die Geschichte gefällt, dann hinterlässt doch gerne einen Kommentar. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen! :-) »Sie sagen, dass dich die Schatten...