Die Antwort

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Es war kurz nach Mitternacht. Schon seit Stunden regnete es und das Geräusch des sanften Prasselns der schweren Tropfen an den großen Fenstern, die den Erker umgaben, erfüllte das Wohnzimmer. Das Wetter war so typisch für diese Stadt, die nun schon seit einigen Jahren mein Zuhause war. Ich hatte mich daran gewöhnt. An den Regen, den Nebel und dass sich hier die Sonne nur sehr selten nicht hinter Wolken versteckte.

Ich war müde, und doch konnte ich nicht schlafen.

Vor etwas mehr als einer Stunde hatte ich das Bett verlassen und mich zum Nachdenken ins Wohnzimmer zurückgezogen. Es gab Dinge, die mich beschäftigten, die es zu überlegen galt, und eine Frage, die so eigentlich nie gestellt worden war, und doch einer Antwort bedurfte.

Seit etwas mehr als einer Woche war er wieder hier. Er war lange weg gewesen, fast zwei Monate und ich hatte nicht gewusst, ob ich ihn jemals wieder sehen würde. Doch war er jedes Mal wieder zurückgekommen. Zu mir. Und in den Zeiten, wenn er bei mir war und ich ihn nachts ruhig neben mir atmen hörte, war ich einfach nur glücklich und schlief besser als in jenen Nächten, wenn er wieder im Dienste seiner Majestät irgendwo auf dieser Welt unterwegs war um seiner Arbeit nachzugehen.

Doch in dieser Nacht, war ich dem Schlaf ferner, als jemals zuvor, auch wenn mich die Müdigkeit fest umgriffen hielt.

Lange hatte ich neben ihm gelegen und im Dunkel unseres Schlafzimmers an die Decke gestarrt, bevor ich mich heimlich aus dem Bett gestohlen hatte und leise im Wohnzimmer verschwunden war.

Er schlief schon, und ich wollte ihn nicht wecken.

Mein Körper schrie schon beinahe nach ein paar Stunden erholsamen Schlafes, doch meine Gedanken kreisten immer wieder um ihn, und das, was in den letzten Monaten und Jahren alles passiert war. Ich seufzte, als ich dem Rauschen des Regens lauschte und mich matt an den Fensterrahmen lehnte.

Die Straße zu meinen Füßen war verlassen. Nur ab und an fuhr ein Taxi vorbei, doch ansonsten war um diese unchristliche Zeit niemand mehr unterwegs, schon gar nicht bei diesem Wetter. Obwohl man sich, wenn man in London lebte, irgendwann an dieses nasskalte Klima gewöhnte.

Anfangs hatte ich mich einfach nur verloren gefühlt in dieser riesigen Metropole, die in ihrer Größe kaum dem nahe kam was ich kannte. London war so anders als die Stadt in der ich aufgewachsen war, und auch die Menschen. Immer höflich, freundlich, mit einer schier unerklärbaren Affinität zum Schlangestehen, aber doch auf die eine oder andere Art waren sie distanzierter, als ich es gewöhnt war.

Auch dieses Nationalgefühl, das die Engländer ihrem Land und er Monarchie gegenüber empfanden, kannte ich so nicht einmal im Ansatz und lange hatte ich mich wie auf einem fremden Planeten gefühlt. Mehr noch, ich dachte lange ich wäre hier fehl am Platz und haderte mit meiner Entscheidung hier her zu kommen.

Ich hatte meine Familie, meine Freunde und alles was ich kannte hinter mir gelassen, und war nach England gegangen. Die Arbeit hatte mich hier hergeführt und ich wollte diese Chance, die man mir geboten hatte, nutzen. Denn das Leben vergab nicht so viele, und in manchen Fällen auch nur eine einzige.

Zeitlich hätte diese Veränderung nicht besser zutreffen können, denn gerade erst hatte ich mich von meinem langjährigen Freund getrennt. Ich hatte erfahren, dass er nicht nur mit mir das Bett geteilt hatte, sondern auch mit meiner damals besten Freundin.

Es fiel mir in diesem Moment also unsagbar leicht, alle Brücken hinter mir abzureißen, sie niederzubrennen und in einem neuen Land, einer neuen Stadt wieder bei null zu beginnen. Und London eignete sich geradezu perfekt für einen Neustart, auch wenn ich damals noch keine Ahnung hatte, was beziehungsweise wer mich in dieser Stadt erwarten würde.

Ein Recht auf LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt