Zu aller erst ist zu sagen, dass sie wunderschön war. So schön, dass es nicht anders geht, als es an erster Stelle zu erwähnen. Alles andere kann nur an zweiter Stelle kommen. Es geht wirklich nicht anders.
Sie hatte kugelrunde blaue Augen, doch starkes schwarzes Haar. Sie hatte so furchtbar feine Züge an Gesicht und Körper, dass ein neues Wort dafür erfunden werden müsste, um ihrer gerecht zu werden. Kein Dichter kann sie beschreiben, kein Maler sie malen.
Dazu wusste sie ihren Körper so lieblich sanft zu bewegen, dass manche meinten sie schwebte. Wie schwer sie doch war, sahen die wenigsten.
Ihr Vater war ein Flüchtling. Geflohen aus dem Irak. Zu unstet waren die Verhältnisse in seiner Heimat. Gar lebensbedrohlich wurde es. So verließ er das Land, dass er so sehr liebte für eine bessere Zukunft. Auch für seine zukünftigen Kinder dachte er.
Er fuhr in fensterlosen Wagen unter Decken versteckt, schwamm durch Gewässer und lies dabei den ein oder anderen Freund und Feind zurück. Froh, aufgezehrt und mittellos kam er in Deutschland an. Niemand sah seinen steinigen Weg. Alle wollten sie nur, dass er arbeitet. So tat er.
Er bückte sich und beugte sich dem Willen des Landes, das ihn so großzügig aufnahm. Er arbeitete, er folgte, er arbeitete, er folgte, er lernte eine deutsche Frau kennen. Mit ihr war ihm die besagte Tochter und ein 5 Jahre jüngerer Sohn. Der Sohn, den er sich immer sehr gewünscht hatte.
Anders als im Berufsleben, war der Vater zu Hause der Chef. Hier war er der Souverän und nur manchmal blitzen seine kleinen Schwächen durch, wenn er dem Krieg und der schweren Flucht gedachte oder daran, dass er sich so oft hatte bücken müssen. Zu Hause bückte er nie.
Die Frau hatte nichts zu sagen, die Tochter schon früh gelernt zu kochen, um dem jüngeren Bruder die Zeit frei zu halten. So folgte auch die Tochter, sie folgte dem Vater.
Sie folgte ihm so sehr, so willenlos, dass sie ihm ähnlich wurde und er sie doch nie sah. Wunderschön anzusehen war das Mädchen, nicht schön genug für den Vater. Sie lies nichts unversucht, geliebt zu werden. Sie putzte, sie arbeitete, sie zog sich schön an, doch als das alles nicht reichte, hungerte sie. Sie aß nichts mehr und hungerte. Sie hungerte nach Liebe.
Sie Hoffte auf die Einschulung. Die Einschulung dann zerstörte die Hoffnung. Sie wohnte in einem reichen Teil Hamburgs. Sie war das ärmste Kind der Klasse und trotz ihrer Schönheit, sah auch hier niemand das zierliche Mädchen. So verstand sie grazil an allem vorbei zu schweben und tief unterzutauchen. Dabei wurde sie hart und härter, wie der Vater durch die Flucht.
Das kleine Mädchen mit der großen Sehnsucht nach Nähe schützte sie durch eine Schale einer Haselnuss gleich. Das Mädchen wurde ab diesem Zeitpunkt nie mehr verletzt, doch konnte auch keiner mehr an es heran. Keiner konnte das, obwohl es so viele versuchten. So viele! Sie war eben so schön.
Doch, wenn sie genau hinfühlt, wenn sie sich stark konzentriert, dann spürt sie ihn noch immer. Vor allem abends alleine im Bett spürt sie den Hunger. Den leisen Hunger, den nie jemand stillte. Das kleine Mädchen in ihr hungert still nach Liebe.
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Sehnsucht nach Nähe
Short StoryDie Geschichte eines Jungen, der sich furchtbar nach Nähe sehnt. Er tut alles dafür. Zu viel. Er gerät an die Falsche und tanzt mit ihr. Jeder Teil der Geschichte gehört zu einem Musiktitel. Ich habe ihn beim Schreiben gehört, höre du ihn beim Lese...