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Ich stehe auf und halte ihr meine Hand entgegen. "Es wird Zeit, dass wir dich nach Hause bringen." 
Ámbar wirkt nicht gerade begeistert von meinem Vorschlag, nimmt aber doch meine Hand an und steht auf, lässt sie aber nicht los.  "Du hast wahrscheinlich recht. Lass uns gehen. "
Wir laufen einige Meter am Hafen entlang. Ihr Hand liegt noch immer in meiner. Es ist nur eine kleine Berührung, eine kleine Geste, rede ich mir ein, weil mein Herz sonst noch aus meiner Brust springt. Doch es hilft nicht. Mein Herz rast und rast und wird nicht langsamer.
Zögerlich verankere ich meine Finger mit ihren. Ámbar stößt mich nicht ab. Im Gegenteil. Sie läuft noch einen Schritt näher an mich dran.

*  *  *

"Ich glaube einer meiner glücklichsten Moment war, als ich und mein Skateteam zum Ersten Mal den Internationalen Wettbewerb gewonnen haben.", antwortet Ámbar mir.
Wir haben den Hafen schon längst hinter uns gelassen und laufen an einem kleinen Park vorbei. Neben uns fahren noch vereinzelt Autos auf der Straße.
"Das war vor Benicio. Da war es nur ich und meine zwei engsten Freundinnen. Damals war mein einziges Problem das nervige neue Mädchen in unserem Team, dass drohte mein Image als Königin der Bahn und meinen Freund zu nehmen."
In meinem Gehirn fängt es an zu arbeiten. Meine Cousine hat mir mal erzählt, dass sie es nicht so einfach hat sich hier einzufinden, weil in ihrem Skateteam so ein arrogantes Mädchen wäre, dass sich die Königin der Bahn nannte und es sich als Ziel gesetzt hätte Lunas Leben zu ruinieren... Aber ich fand ihren Ausdruck etwas krass. Es erinnert mich irgendwie an das was Ámbar gesagt hat. Kennen die beiden sich etwa?
"Ehm.. meinst zu zufällig das Roller Team?", wage ich den Versuch.
Ámbar reißt erfreut ihre Augen auf. "Ja, genau! Du hast von uns gehört?"
"Ja, also... Meine Cousine war in diesem Team. Luna" Sofort sackt Ámbars Lächeln nach unten und sie sieht mich geschockt an.
"Luna ist deine Cousine?" Ich nicke bestätigend.
"Oh. Oh mein Gott, dass ist mir jetzt peinlich."
"Muss dir nicht sein." Ich sehe sie für einen Moment an. "Du bist irgendwie anders als sie dich immer beschrieben hat." Ámbar seufzt.
"Damals war ich auch noch eine andere Person. Davor war auch noch nicht Benicio. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er meine Vergeltung ist dafür wie ich in meiner Vergangenheit war.
In den letzten Jahren hat sich viel verändert. Ich hab mich verändert." Ich blicke auf den Boden und muss an all die Telefonate denken, bei denen mich Luna aufgebracht angerufen hat, weil dieses arrogante Mädchen schon wieder irgendwas getan hat. Ständig habe ich von Ámbar gehört und gelernt sie nicht zu mögen.
Und jetzt laufe ich nachts mit genau der selben Ámbar Hand in Hand in Buenos Aires und sie ist auch nicht annähernd so, wie Luna sie beschrieben hat. Unwillkürlich muss ich anfangen zu lachen.

"Was?", fragt Ámbar beleidigt, aber ihr entkommt ein kleines Lachen. Es bringt mich umso mehr zum Lachen.
"Was ist denn, Simón?", fragt sie und kämpft gegen das Lachen an, doch schafft es nicht.
Ich schüttle den Kopf. "Es ist nichts. Luna hat dich nur immer als diese arrogante und egoistische Zicke dargestellt , dass ich mir geschworen habe, dass wenn ich dich je treffe, dich fertig machen würde, dafür, was du Luna angetan hast. Denn das war echt nicht in Ordnung von dir. Aber jetzt lerne ich dich als eine Fremde kennen, halte deine Hand und denke, dass du einer der wundervollsten Menschen bist, die ich je getroffen habe."

Ámbar dreht sich mit dem Gesicht weg, doch ich könnte schwören, dass sie errötet.
"Du denkst, dass ich wundervoll bin?", fragt sie unsicher.
"Ich denke sogar noch viel mehr über dich", antworte ich. Zögerlich stellt sie ihre nächste Frage.
"Und was denkst du noch?" Ich bleibe stehen und sehe Ámbar an. Dann hebe ich ihr Kinn leicht an. Ihr Blick trifft meinen. Mein Herz klopft mir bis zum Hals hoch, doch ich ignoriere es.
"Ich denke, dass intelligent bist. Ich denken, dass du nicht nur wundervoll, sondern auch wunderschön bist. Äußerlich wie innerlich. Ich denke, dass du einer der bewundernswertesten Menschen bist, die ich je kennenlernen durfte. Du bist stark, eigenständig und unabhängig und diese Kombinationen machen dich unglaublich attraktiv. Dabei lässt du mich verrückt werden. Und es quält mich zu sehen, dass es dir schlecht geht, wenn du eigentlich die Welt verdienst." Zittrig atmet Ámbar einmal tief ein. Nervös spielt sie mit dem Ärmelende meiner Jacke, die sie mittlerweile angezogen hat. Ihre Arme waren etwas zu kurz und die Jacke war fast so lang wie ihr Kleid. Wenn Ámbar sich nervös fühlt, dann kann sie ihre Nervosität mal zehn rechen und dann ahnt sie wie ich mich in ihrer Nähe fühle, wenn sie mich so aussieht.
"Du sagst doch nur was ich hören will."
"Nein. Ich sage die Wahrheit.", erwidere ich, als ich ihr aufmerksam in die Augen schauen und wie als wäre ich von einem Seil gezogen, lehne ich mich zu ihr nach vorne. Unsere Nasenspitzen berühren sich fast und ich spüre ihren unruhigen Atem gegen meine Haut. Doch plötzlich dreht sich Ámbar von mir weg. Sie zeiht ihre Hand aus meinem Griff und läuft los. Ich könnte mich am liebsten Ohrfeigen.  Ich sehe zum Himmelhoch und verkrampfe meine Hände. "Wieso bist du nur so ein Idiot! Du hättest fast alles ruiniert!", tadle ich mich selbst, während ich es in den leise Himmel flüstere. Ich wische mit meinen Hände über mein Gesicht und murmle nur ständig: "Idiot.Idiot.Idot." Über die kurze Zeit, die ich mit Ámbar bisher verbracht habe, ist sie mir unglaublich wichtig geworden. Ich könnte es nicht ertragen, dass sie jetzt den Rücken zu mir dreht, nur weil ich einen dummen Fehler eingegangen bin. Aber jetzt sollte ich aufhören mich selbst fertig zu machen und mich wieder auf das einzig wichtige heute Nacht fokussieren: Ámbar.
Kurzspäter habe ich Ámbar eingeholt. Schweigend laufen wir neben einander her. Es ist wie als hätten wir uns gerade kennen gelernt. Als wären wir noch zwei Fremde. Ich bewahre meine Distanz zu ihr. Wer weiß, ob ich mich noch kontrollieren konnte, wenn ich noch näher bei ihr war?
"Und wann warst du das letzte Mal so richtig glücklich?", fragt sie mich. Mir fällt ein Stein vom Herzen, als sie diese Worte so ausspricht. Sie ist mir nicht böse. Vielleicht habe ich es doch nicht ruiniert. Zu meiner Überraschung muss ich nicht lange über ihre Frage nachdenken.
"Wenn ich ehrlich bin... heute Abend."
Àmbar sieht mich mit feuchten Augen an. Sie öffnet ihren Mund dein kleines Stück, schließt ihn aber wieder augenblicklich. Es mag vielleicht merkwürdig klingen; der letzte Abend in der Stadt und ich werde abserviert von dem Mädchen, dass ich wirklich liebe. Bzw. geliebt habe. Dann habe ich Ámbar getroffen. Ein Menschen mit einem noch chaotischeren und kaputteren Leben als ich. Es klingt echt merkwürdig, wenn ich das sage, aber ich bin trotz alldem glücklich. Es macht mich glücklich, dass ich sie kennenglernt habe und das ich in ihrer Nähe sein darf. Und das ich diesen schrecklichen Abend nicht alleine verbringen muss.

Can you keep a secret? #1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt