Kapitel 1

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Es wird dunkel. Ich musste verdammt nochmal nach Hause. Marco, mein älterer Bruder von 19 Jahren, würde mir die Hölle heiß machen, wenn ich zu spät käme. Meine Schritte hallten noch etwas schneller an der Stadtmauer entlang. Wo habe ich geparkt? Es war ein Wunder, dass er mir überhaupt erlaubt hat, mir ein Motorrat zuzulegen. Es war schwarz und perfekt für mich. Hecktisch blickte ich auf meine Uhr. Noch fünf Minuten. Ich könnte es schaffen. Ich musste es schaffen. Mittlerweile war es mir egal, dass ich mir Blicke von den Fenstern einfing. Ich bog so schnell es meine Beine zuließen in die Gasse, in der – glaubte ich - mein Motorrad stand. Da war es.Hastig sprang ich auf und startete den Motor. Es knurrte und ich schoss durch die Gassen der Stadt. Ich genoss den Adrenalinstoß und den Wind in meinem braunen, gelockten langen Haar. Innerhalb von zwei Minuten war ich durch die ganze Stadt gefahren und fast bei unserem Haus angekommen. Die Reifen ächzten und quietschten, als ich das Gefährt mit einem Ruck zum Stehen brachte. Ich stieg ab und schon stand Marco in der Tür und funkelte mich an. 

„Räum sofort das Ding weg und beweg dich rein.“
Er hatte seine Schrotflinte in der Hand um „notfalls einzugreifen“ wie er es nannte. Er war viel zu überfürsorglich. Mit einem Rumms fielen die schweren Holztore unserer improvisierten Garage ins Schloss. Ich betrat die kleine Veranda unseres weißen Hauses als auch schon der Alarm ertönte.
„Wieso kannst du nicht pünktlich sein?“, schnauzte Marco mich an und knallte die Tür zu. Durch eines der Fenster sah ich, wie der Kreis aus Buntnesseln blau aufleuchtete und einen Schutz um unser Haus bildete.
„Ich bin pünktlich. Jetzt ist es genau neun.“
„Aber fast wärst du zu spät gekommen. Du weißt was passiert, wenn die Schatten dich in ihre Krallen bekommen.“ Er packte mich am Arm.
„Ja“, murrte ich und versuchte mich loszureißen - vergeblich. Immer die selbe Leier. Kaum war ich mal zwei Sekunden zu spät, dachte er, ich wäre aufgefressen worden. Die Umbra waren die gefährlichsten Lebewesen, die es gab. Wir nannten sie Nachtschatten, Dämonen oder Mondwesen. Sie gingen jede Nacht in Salt Lake City auf die Jagd. Leider jagten sie keine Tiere oder sonstige Nahrungsmittel. Sie jagten uns. Und nur uns.
„Sei pünktlich. Verstanden?“, fragte er gereizt.
„Ja!“

Endlich befreite ich mich und lief in die Küche. Dort erwartete mich ein riesiger Berg von Geschirr. Warum blieb Geschirr spülen immer an mir hängen? Jeden Abend kam ich von meinem Job als Kellnerin nach Hause und spülte an. Naja, Kira, meine 14-jährige Schwester, konnte auch einfach wunderbar kochen. Ganz im Gegensatz zu mir. Vor allem Lucas, mein 16-jähriger Bruder, meckerte ununterbrochen an meinem Essen herum. Sollte er doch selber kochen. Mittags, wenn meine jüngeren Geschwister von der Schule kamen kochte ich. Simon – mein 12-jähriger Bruder- , Julie – meine 13-jährige Schwester, Kira und Nick – mein 15-jähriger Bruder - hatten länger Unterricht, aßen in der Schule und kamen meist erst gegen Abend nach Hause. Folglich kümmerte ich mich um die Jüngsten. Isabella (11), die Zwillinge Paulin und Melanie – beide 10 - , Emily (9) und Ron.

Ich hörte Schritte in die Küche tapsen.

„Ron, lauf nicht immer Barfuß“, sagte ich, ohne mich umzudrehen. Er stellte sich neben mich und sah mich aus seinen großen blauen Augen an. Der Kleide war der Jüngste im Nightfighter-Clan, wie uns die Bewohner von Salt Lake City nannten. Ron war erst acht.

„Lika, ich mag dir was helfen.“

Ich lächelte. Er war noch so süß, wie er da stand, in seinem Pyjama. Wir waren elf Kinder. Eigentlich hätten wir noch einen Bruder, Daniel. Er starb vor vier Monaten. Unsere Eltern waren auch beide tot. Dad was vor sechs Jahren von einem Umbra angegriffen und getötet worden. Unsere Mum wurde dann vor zwei Jahren von den ZOF mitgenommen. Sie sollte der Zentralen Organisation für Frieden dienen und wurde von einem Wachmann versehentlich erschossen. Er dachte sie sei ein Umbra und schoss kurzerhand auf sie. Eine normal große Frau und ein zweieinhalb großes Ungeheuer ist ja auch sehr schnell zu verwechseln. Ich hasste diese Leute. Sie hatten uns unsere Mutter genommen. Seit dem ernährten Marco und ich die Familie.

Deep into the ForestWo Geschichten leben. Entdecke jetzt