1. Kapitel

923 19 18
                                    

A/N: Hallo ihr Lieben,
der Sommer ist vorbei, der Staffelstart #7 zum Glück auch nicht mehr allzu lange hin und ich bin mit einer neuen Geschichte wieder da. Ich hoffe sehr, dass von euch noch viele dabei sind und sie euch gefällt. 🤗
Ab jetzt gibt es jeden Donnerstag ein neues Kapitel von mir und ich freue mich auf eure Anregungen, Rückmeldungen, eure Kritik und generell eure Meinungen zu meiner Schreiberei. 😊
Viel Spaß beim Lesen!
🐒

„Sind alle draußen?"
„Ist da noch jemand drin?"

Hallte es Stefan dumpf in den Ohren nach, als er langsam wieder die Umgebung um sich herum wahrnahm. Mit geschlossenen Augen, die er kurz schützend zugekniffen hatte, lag er mit dem Rücken im kalten Gras und spürte jeden einzelnen Knochen seines Körpers. Er fühlte die dunkelbraune, harte Erde zwischen seinen nackten, tauben Fingern und die knisternden Flammen rauschten in seinen Ohren. Das flackernde Feuer wärmte seine rechte Körperhälfte und der beißende Geruch von verbranntem Plastik biss seine Nase. Er verzog vor Gestank seine Gesichtszüge.
Die aufheulenden, grellen Sirenen erweckten endgültig seine Aufmerksamkeit und seine Sinne. Er öffnete sukzessive seine Augen. Sein Blick fiel auf den schwarzen Nachthimmel, der durch ein paar funkelnde Sterne und durch den Brand des weißen Pavillons erhellt wurde. Erschöpft rieb er sich mit seinen dreckigen Handinnenflächen durch das Gesicht. Schwarzer Ruß haftete danach auf der Haut seiner Hände, Wangen und Stirn. Sein schwarzer Anzug war durch Löcher und Flecke ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden, wie das Hemd, das er darunter trug und das nicht mehr im Bund seiner Hose steckte.
Allmählich richtete er sich auf in eine sitzende Position. Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Körper und er zog scharf die Luft ein, während er sich die schmerzenden Rippen hielt. Vorsichtig schaute er sich suchend im Park um, in dem es inzwischen von Menschen wimmelte. Rettungssanitäter, Notärzte, Feuerwehrmänner, -frauen und Polizisten kümmerten sich um die Rettung der Personen, dem Löschen des Feuers oder der Absicherung des Brandortes. Die Menschen wirkten wie ein kleiner, chaotischer Haufen Ameisen, die stürmisch herumwuselten. In Wahrheit gingen die eingesetzten Kräfte jedoch mit einer Akribie, Präzision und vollkommenen Fokussierung ihrer Arbeit nach.
Sein Kopf pochte durchdringend, als würde jemand monoton mit einem Hammer immer wieder auf seine Schädeldecke einschlagen. Er befasste vorsichtig seine Stirn und fühlte eine Flüssigkeit. Diese lief langsam zu seiner Augenbraue, ein kleiner Streifen rann seine Wange hinunter und das rote Fluid tropfte leicht herunter. Die wenigen Tropfen wurden von seinem weißen Hemd aufgesogen und sprenkelten es.
Langsam ließ er seinen Blick schweifen und entdeckte nur wenige Meter entfernt eine am Boden liegende Karin. Ihr Hochzeitskleid war mit dunklen Flecken beschmiert und ihr fehlte ein Schuh. Dieser lag ein paar Meter entfernt. Ihre Augen waren geschlossen und sie bewegte sich nicht. Ihre Haut wirkte bleich und ihre blonden Haare lagen kraftlos im Dreck. Er nahm sie zwar wahr, aber die Situation und ihre Verletzungen konnte er noch nicht begreifen und verarbeiten. Der Augenblick war viel zu surreal für ihn.
Stefan sah es noch genau vor sich, wie ihre sanften Locken auf ihren Schultern lagen, ihre Augen glitzerten und sie ihn anstrahlte, als sie das „Ja, ich will." freudestrahlend und voller Überzeugung über ihre Lippen brachte, als sie gemeinsam vor dem Altar standen. Wenn er ihr Lächeln voller bedingungsloser Liebe und Freude nie wieder sehen würde, würde es ihm das Herz zerquetschen. Denn jetzt sah sie für ihn nur aus wie eine leblose, ausdruckslose Puppe ohne Lebenszeichen.
An ihr arbeiteten gleichzeitig ein Notarzt, wie er auf dessen neonfarbenen Jacke ablesen konnte, und drei Sanitäter. Zwei von ihnen hoben sie gerade mit Bedacht auf die Rettungstrage und trugen sie in die Richtung des neben stehenden Rettungswagens.
Stefan stand panisch auf leicht wackeligen Beinen auf und sein Blick war starr auf ihr blasses Gesicht gerichtet, während er vollkommen in Trance einen Fuß vor den anderen setzte, um schnellstmöglich zu ihr zu gelangen. Er musste zu ihr. Jetzt und sofort.
Auf seinem Weg stolperte er über einen Gegenstand, was ihn kurz stocken ließ. Jedoch verlor er nicht komplett sein Gleichgewicht, sondern kam nur kurz ins Straucheln. Er riskierte einen flüchtigen Blick auf den Boden und erkannte ihren zerrupften Brautstrauß, den sie kurz vorher noch in ihren zarten Händen gehalten hatte.
Doch dieser Zwischenfall hielt ihn nicht auf und er torkelte weiter, bis er bei ihr angelangt war.
„Karin", rief er vollkommen verzweifelt, weil sie bereits im Inneren des Rettungswagens lag und gerade die zweite Tür geschlossen werden sollte. „Meine Frau", hielt er die hintere Tür krampfhaft fest und versuchte sich mit der Kraft, die nach der Explosion deutlich weniger als sonst war, gegen das Schließen zu sperren.
„Wie heißen Sie?", erfragte ein stämmiger Sanitäter in weißer Arbeitskleidung.
„Vollmer, Stefan Vollmer."
Durch den Spalt erkannte er, dass man Karin gerade einen Tubus durch den Mund einführte. Seine Beobachtung sorgten dafür, dass es sich anfühlte, als würde man ihm mit einem Strick um den Hals ganz langsam die Luft zum Atmen rauben. Er setzte einen Fuß auf den Einstiegstritt, um zu ihr zu gelangen, während er sich immer noch an die Tür klammerte. Der Mitarbeiter des Rettungsdienstes stellte sich ihm jedoch in den Weg.
„Es tut mir leid, Sie können jetzt nicht zu ihrer Frau. Wir müssen schnellstmöglich mit ihr ins Krankenhaus", erklärte er Stefan.
„Aber ich muss doch zu ihr. Ich muss bei ihr sein", erwiderte er verzweifelt, während er hart schluckte und sich niedergeschlagen Tränen in seinen Augenwinkeln bildeten. Stefan versuchte am Sanitäter vorbeizukommen, doch dieser hielt ihn energisch zurück. Sein Gehirn wollte, aber physisch war er einfach nicht in der Lage, sich gegen den kräftigen Mann durchzusetzen.
„Es geht wirklich nicht. Es zählt jede Sekunde und wir müssen unbedingt los", argumentierte er ausdrücklich und mit Nachdruck, um sich nur kurz darauf schnell einen Überblick über die Lage im Park zu verschaffen.
„Paul", rief er laut und deutlich über den Platz und winkte sich einen weiteren Sanitäter heran. „Kümmere dich bitte um Herrn Vollmer und die Versorgung seiner Wunde. Er steht augenscheinlich unter Schock. Wir fahren seine Frau in die Uniklinik, sorge dafür, dass er auch dorthin kommt." Paul bestätigte die Anweisung mit einem Nicken.
„Mehr kann ich im Moment leider nicht für Sie tun", wandte er sich wieder an Stefan und drückte ihm mit seinen hellblauen Einmalhandschuhen über den Fingern noch schnell eine sterile Kompresse auf seine Platzwunde auf der Stirn, um die letzte Blutung zu stillen.
Dieser nickte dankbar und ließ kraftlos die Tür los, sodass diese geschlossen werden konnte. Seine Schultern und sein Kopf sanken entkräftet nach unten und seine Füße fanden wie selbstverständlich den Weg auf den Boden.
Gedankenverloren blickte er dem Wagen mit den blauen Blinklichtern und dem schallenden Martinshorn hinterher, der sich langsam seinen Weg durch den Park bahnte und schließlich wie in Zeitlupe in der Dunkelheit der Nacht verschwand.

Plötzlich spürte Stefan eine starke Hand auf seiner Schulter. Er drehte sich vorsichtig um die eigene Achse und entdeckte Frida auf dem Arm von Günther, die gerade ihr weißes Mützchen von ihrem Köpfchen zog und störrisch auf die Erde warf. Ihre Gesichtszüge waren kläglich jammernd verzogen, ihre Äuglein gerötet und Tränchen liefen über ihre roten Wangen. Wild zappelte sie um ihren Unmut zu äußern und Rose hatte auf Grund ihrer Hampelei große Mühe sie sicher auf seinem Arm zu halten. Sie klammerte sich unsicher an die Flosse ihres schwarzen Stoffpinguins mit dem weißen Bäuchlein und den gelben Füßen, den sie hitzig an ihrem ausgestreckten Arm durch die Luft schleuderte. Erst jetzt vernahmen seine Ohren ihr trauriges Gekreische, welches immer lauter wurde und ihre miserable, ängstliche Stimmung zeigte. Dieses versetzte ihm einen tiefen Stich mitten ins Herz und brachte das Fass endgültig zum Überlaufen. Eine einsame Träne lief schweigsam über seine Wange und er fühlte sich absolut hilflos und machtlos. Bedrückt zog sich alles in ihm zusammen.
Ohne zu zögern nahm er Frida auf seinen Arm und drückte sie eng an seine Brust, während er sie tröstend hin und her wiegte. Er hauchte ein Küsschen in ihre blonden Haare und murmelte ihr entgegen. „Alles wird gut, mein Muckelchen", flüsterte Stefan ihr ins Öhrchen, um sich mit seiner Aussage auch selbst zu ermutigen.
Er schloss fest seine Augen, während sich das Mädchen tief in seine sicheren Arme schmiegte und langsam ruhiger wurde. Ihr freies Händchen krallte sich dabei immer noch ängstlich in seinen Oberarm. „Ich bin bei dir", versuchte er Frida zu beruhigen, doch seine Stimme brach bei seinem letzten Wort. Er versuchte sich selbst für das kleine Mädchen in seinem Arm zusammenzureißen und ließ keinen Gedanken daran zu, dass sie vielleicht ohne ihre Mama aufwachsen würde und er ohne Karin, die Frau, die er liebte, weiterleben müsste.

„Stefan, lass dich behandeln", ertönte Roses markante, aber flüsternde Stimme plötzlich in den Moment zwischen Stefan und dem verängstigten Mädchen. Stumm blickten die beiden Männer sich an und der Direktor nickte ihm bestimmend zu. Für Widerworte fehlte Stefan nach den nervenaufreibenden, vergangenen Momenten die Kraft. Das Zeitgefühl war ihm sowieso schon gänzlich verloren gegangen.
Rose reichte ihm Fridas Wickeltasche, die er sich vorsichtig über die Schulter legte und sie dabei mit einem Arm balancierte. „Ich kümmere mich um deinen Wagen und komme damit mit Lydia ins Krankenhaus", deutete er kurz auf die schwarzhaarige Frau neben sich, die augenscheinlich unverletzt geblieben war und die Situation still beobachtete.
„Danke", brachte er nur leise über seine schmalen Lippen.
Er nickte ihm aufmunternd zu und zauberte noch Fridas Schnuller aus der kleinen Schnullerbox hervor, die er aus der schwarzen Tasche seines Sakkos zog und ihr behutsam zwischen die grazilen Lippen schob. Fürsorglich streichelte er ihr Köpfchen und sie blickte ihn betrübt und mit feucht schimmernden Augen an. Die blaue Box steckte er in ihre helle Wickeltasche.
„Kommen Sie mit, Herr Vollmer. Ihr Tochter darf mit Ihnen fahren."
„Halte deinen Pingo schön fest, Frida", raunte Stefan gegen ihre Schläfe und gab ihr dorthin einen zarten Kuss, während er in einen zweiten Rettungswagen stieg. Müde lehnte sie sich an seinen Oberkörper, schloss ihre Äuglein und nuckelte erschöpft auf ihrem roten Schnuller.

Mein Herz schlägt und deins schlägt auchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt