12. Kapitel

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„Jonas, hast du die Ringe?", fragte Stefan zum wiederholten Male innerhalb der letzten Stunden und drehte sich zu seinem Sohn, der als Trauzeuge neben ihm vor dem Traualtar stand.
„Ja", verdrehte dieser genervt die Augen und zog die blaue Schatulle aus der Innentasche der dunklen Jacke seines Anzugs, um sie seinem Vater zur Bestätigung zu zeigen, bevor sie dort wieder verschwand und er nochmal sein weißes Hemd mit der schwarzen Fliege richtete.
„Sehr gut", erwiderte dieser erleichtert und knöpfte nervös den Knopf seines schwarzen Sakkos auf, um ihn nur kurz darauf wieder zu schließen. Ungeduldig wippte er von einem Bein auf das andere und auf seinen Füßen nach vorne und hinten.
„Jetzt entspann dich doch mal. Du standest doch schon mal vor dem Altar", versuchte Jonas ihn zu beruhigen und legte seine Hand auf seine Schulter, sodass er mit seinem Gezappel aufhörte.
„Du warst aber auch mal entspannter, Stefan", scherzte Samuel, der sich in seinem Anzug zu den beiden Vollmers gesellte und mit seinen Händen kurz über den Drei-Tage-Bart auf seinen Wangen strich. Er trug ebenfalls zu seinem weißen Hemd eine schwarze Fliege und seine dunkelbraunen Haare fielen, ähnlich wie bei Jonas, locker in einem „Out of Bed"-Look in seine Stirn.
„Jetzt fang du nicht auch noch. Kommt ihr beide mal in meine Situation, dann könnt ihr meine Aufregung nachvollziehen", verdrehte dieser schmunzelnd seine grau-blauen Augen und zuppelte nervös an seinen weißen Hemdsärmeln.
„Ich glaube, ich gehe mal lieber, bevor ich noch den Unmut des Bräutigams auf mich ziehe", lachte Samuel, verabschiedete sich von Jonas mit einem Kuss und setzte sich in die zweite Reihe hinter Michael.
Die Aufregung des Bräutigams brachte den Pastor zum Schmunzeln. Dieser stand hinter den beiden Männern und Barbara, die vor dem Altar verweilten und auf Karin warteten.
Es waren nur noch wenige Augenblicke bis die Braut an der Seite ihres Vaters die Kirche betreten würde. Zwischen dem Pfarrer und den dreien standen vier Stühle, die jeweils mit einer weißen Husse und Blumen verziert waren. Die Sonnenstrahlen schimmerten durch die Glasscheiben. Die Holzbänke der Kirche, in der bereits Frida getauft worden war, zierte ebenfalls dezenter, weißer Blumenschmuck und die Reihen waren bereits mit ihren Familien, Freunden und Arbeitskollegen besetzt. In der ersten Reihe saßen Inga, Michael und Günther mit Lydia. Auf der anderen Seite saß Charlotte zu der sich gleich Walter gesellen würde.
Immer wieder wanderte Stefans Blick zum Eingang und er vergrub seine leicht verschwitzten Hände gespannt in seinen Hosentaschen. Im Vergleich zu seinem Anzug bei der ersten Hochzeit saß sein schwarzer Anzug noch etwas enger und körperbetonter. Bei seinem weißen Hemd, welches er darunter trug, waren die obersten Knöpfe in typischer Vollmerart locker geöffnet und gaben den Blick frei auf seine leicht gebräunte Haut und seine Brustbehaarung.

Dann war die Zeit des Wartens endlich vorbei. Sanfte Musik setzte ein und erst nach wenigen Klängen erkannte Stefan ihren Song „Little Lies" in einer ruhigen Version. Auf der Empore stand Karl in seinem Anzug. Seine Gitarre hing am dunklen Gitarrengurt vor seinem Oberkörper und neben ihm stand eine brünette Frau, deren warmherzige Stimme erklang und die Kirche erfüllte.

Everything is beautiful.
Cotton fields, the open road.
Your radio plays a song.
We both know, we don't sing along."

Die Tür ging auf und da waren sie. Jeder Blick war auf die drei Menschen gelegt, die dort standen.
Stefans erster Fokus fiel auf Frida, die vor ihrer Mama und ihrem Opa lief. Zu ihrem hellen geblümten Kleidchen trug sie weiße Schühchen. Ihr Blick war aufmerksam in das weiße Körbchen mit den roten Blütenblättern gerichtet, den sie in ihrer rechten Hand hielt und die sie sorgsam und leicht unbeholfen auf dem Boden verteilte, während sie den Gang entlang tapste. Ihr Köpfchen zierte ein kleiner Blumenkranz in den selben Farbtönen, wie die Dekoration der Stühle und Bänke, der über ihren offenen, blonden Haaren lag.
Für den Moment war es, als würde alles still stehen. Stefan fixierte seine Braut und himmelte sie verliebt aus der Ferne an. Das weiße, lange Kleid mit den breiten Trägern, dem leichten Ausschnitt und der grazilen Spitze umspielte ihre zarte Taille und brachte ihren Babybauch in den Mittelpunkt, den sie stolz vor sich her trug und der bereits eine enorme Größe aufwies. Mit ihrem Arm war sie bei ihrem Vater eingehakt und in ihrer anderen Hand hielt sie ihren Brautstrauß, der die Farben der Blumendekoration aufgriff. Dieser ruhte beschützend auf ihrer Kugel und ihre Haare fielen leicht gelockt auf ihre bedeckten Schultern.
Als sich ihre Blicke trafen, strahlten sie sich an und ihre Herzen trommelten noch ein wenig stärker gegen ihre Brustkörbe. Ihr intensiver Blickkontakt hielt die ganze Zeit, während sie langsam neben ihrem Vater ihrer Tochter folgte, der sie stolz führte.
Plötzlich blieben die beiden auf der Hälfte der Distanz stehen und Stefan schaute verwundert nach unten. Er entdeckte Frida, die ängstlich auf der Stelle verharrte. Ihre kleinen, blauen Äuglein waren riesig und sie sah sich verschüchtert um, da sie bemerkte, dass die ganzen Gäste auf sie schauten und bewegte sich keinen Zentimeter mehr. Die Aufmerksamkeit überforderte sie und sie schob sich verängstigt das Däumchen ihrer linken Hand ins Mündchen, auf dem sie nuckelte. Gerade wollte Stefan zu ihr gehen, doch er bemerkte Regung in seinem Augenwinkel und schon war Michael auf dem Weg zu seiner Tochter. Er reichte ihr seine Hand und sie packte diese fest mit ihrem Händchen. Langsam trottete sie neben ihm weiter und auf ihre Lippen schlich sich ein zaghaftes Grinsen.
Als sie vor Stefan ankamen, winkte er ihr zu und sie wollte seinen Gruß erwidern. Jedoch vergaß sie dabei, dass sie noch ihr Körbchen in der Hand hielt und schleuderte dieses umher, sodass alle Blümchen auf den Boden segelten. Erschrocken verzog sich ihr Gesicht zu einer Grimasse, doch als die Gäste lachten, stimmte das kleine Mädchen mit ihrem Kichern ebenfalls ein und bezirzte alle mit ihrem niedlichen Auftritt noch mehr.
Michael setzte sich auf seinen Platz und hob Frida hoch, die es sich auf seinem Schoß bequem machte. Sie tauschten den leeren Korb gegen ihren flauschigen Pingo und ihren pinken Schnuller, den sie sich zwischen die zarten Lippen schob. Sanft streichelte Inga ihrer Enkelin die Wange.

Mein Herz schlägt und deins schlägt auchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt