Das stetige Surren des Ventilators erfüllt den kleinen, schlichten Raum. Die sanfte Bewegung, die er in die brütend heiße Luft bringt, reicht kaum, um die Temperatur hier drinnen auch nur um wenige Grad zu senken. Es ist stickig in dem sandfarben gestrichenen Zimmer und obwohl es eine trockene Hitze ist, klebt meine Haut vom Schweiß, der mir über die Stirn und vom Nacken aus den Rücken hinunterläuft. Neben mir sitzt Anna und starrt gedankenverloren vor sich hin. Sie hat ihre Hände im Schoß zusammengefaltet und ignoriert die Schweißperlen auf ihren Wangen und auf der Haut ihres Dekolletees. Ihre Lippen sind angespannt aufeinander gepresst, doch ansonsten zeigt sie keinerlei Regung.
Während ich warte, blicke ich mich unauffällig um. Abgesehen von Anna und mir sind bloß drei weitere Leute gekommen und warten wie wir darauf, dass die früher gewohnte, doch nun immer seltener erklingende Melodie ertönt und es endlich losgeht. Ein älterer Herr sitzt mir direkt gegenüber. Wie Anna fixiert auch er geistesabwesend einen Punkt an der Wand und rührt sich nicht. Seine braun gebrannte Haut ist wettergegerbt, faltig und strahlt ein langes, arbeitsames Leben aus. Er trägt eine löchrige Latzhose aus braunem Stoff und ein beigefarbenes, knitteriges Hemd mit kurzen Ärmeln. Seine langen, dünnen Finger sind um den Griff eines hölzernen Gehstocks geklammert. Unter dem braunen Filzhut, den er trägt, lugen schwarze Locken hervor, die von silbernen Strähnen durchzogen sind. Sein Gesicht ist hager und seine Wangen eingefallen wie auch der Rest seines Körpers, der bloß aus Haut und Knochen zu bestehen scheint, doch seine fast schwarzen Augen wirken wach und jung.
Meine Augen wandern von ihm weiter zu einer Frau, die ich auf Ende dreißig schätze. Sie trägt einen dunkelblauen Faltenrock, eine weinrote, weite Bluse und fächert sich ununterbrochen mit einem Stück Karton Luft zu. Ihre mausbraunen Haare sind zu einem strengen Dutt hochgesteckt. Ihr Gesicht ist trotz der anhaltenden Sonne draußen blass und gräulich. Sie sieht nicht sonderlich gesund aus. Und müde.
Die letzte Person in dem Raum ist ein Junge in Annas und meinem Alter. Er sitzt lässig auf einem der abgewetzten, billigen Plastikstühle, deren mintgrüne Farbe an Krankenhäuser erinnert und lässt wie ich seinen Blick durch den Raum wandern. Seine Jeans ist abgetragen, sein T-Shirt ausgeleiert, doch seine Augen sind aufmerksam, sein Gesicht ausgeschlafen, braun gebrannt und gesund ausgefüllt. Er ist nicht dürr, sondern schlank und muskulös und seine haselnussbraunen Haare schimmern voll und schön im Licht der Sonne, die durch ein Fenster hinter ihm in den Raum fällt. Ich habe lange keinen Menschen wie ihn mehr gesehen. Die Menschen, denen ich tagein und tagaus begegne, wirken erschöpft, resigniert und depressiv. Er hingegen strahlt Zuversicht und Energie aus, wie ich sie lange nirgends mehr erlebt habe. Als unsere Blicke sich kurz treffen, wird mir bewusst, dass ich ihn angestarrt habe und schnell schaue ich weg.
Genau in diesem Moment geht die einzige Tür in dem Zimmer auf und Tassya kommt herein. Tassya ist eine überaus korpulente Schwarzafrikanerin, die eigentlich nur für das An- und Ausschalten des winzig kleinen, uralten Röhrenfernsehers verantwortlich ist, der auf einem schäbigen Holzregal in der einen Ecke des Zimmers steht. Abgesehen von den mintgrünen Plastikstühlen ist er das einzige Mobiliar in dem Zimmer. Das Zimmer mit dem Fernseher und den Stühlen gehört zu einer kleinen Einrichtung im Zentrum der Stadt, die sich Studio M nennt. Das M steht für Medien. Neben dem Fernsehzimmer gibt es noch einen Raum, in dem sich ein uralter Computer befindet, auf dem zumindest Texte verfasst und Berechnungen getätigt werden können. In diesem Raum hat Tassya auch ein Schränkchen mit einem Radio mit CD-Funktion aufgestellt. Ein winziges öffentliches WC und das Büro von Tassyas Mann Mister Ward, dem die Einrichtung gehört, vervollständigen das Studio M, dass Tassyas und Mister Wards voller Stolz ist.
„Gleich ist es soweit" säuselt Tassya und beginnt, an den Knöpfen und Schaltern des Fernsehers herumzufummeln, wobei sie uns ihr gigantisches Hinterteil entgegenstreckt. Sie trägt ein flattriges Sommerkleidchen mit floralem Muster, das viel zu viel Haut zeigt.
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Nonentity
Teen FictionEs ist das Ende der Welt wie wir sie kennen. Die Welt steht am Abgrund. Ressourcenknappheit und immer stärker aufkeimende Rebellionen zwingen sie in die Knie. Armut und Anarchie beherrschen die Menschheit. Jazz und Anna sind unter den Ersten, die es...