1. Kapitel [Marc]

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Möglichst gelassen sah ich den Idioten vor mir an. Mit meinen Augen musterte ich sein Gesicht, analysierte seine Mimik und wartete darauf, dass er irgendeine Reaktion zeigte. Aber das tat er nicht. Er starrte mich weiter ausdruckslos an. 
"Sag das nochmal", forderte ich ihn mit ruhiger Stimme auf. Er schluckte. Scheinbar bemerkte er, dass ich gerade zu ruhig war. Und dabei hatte er recht. Ich würde ihn am liebsten so lange verprügeln, bis er merkte, was für einen dummen Fehler er begangen hatte. Das müsste der Idiot aber auch ohne die Prügelei verstehen. Theoretisch. Praktisch schien er kein Hirn zu besitzen. Wie die meisten Menschen in meiner Umgebung. Ich war fasziniert davon, wie doof die Menschheit war. Aber das hatte ich mir zu einem Vorteil gemacht. Diese Dummheit konnte man ausnutzen, wenn man selbst nicht allzu verblödet war. Und das war ich wirklich nicht. Jedoch schien mein Gegenüber davon auszugehen, dass alle um ihn herum genauso blöd waren wie er. 

"Was?", fragte er mich und sah mir weiter unverwandt in die Augen. Ich erwiderte seinen Blick genervt. Wieso konnte er nicht einfach mal das kleine Spatzenhirn einschalten, was in seinem Kopf vorhanden sein sollte? 
"Wie du die Drogen verlieren konntest", half ich ihm auf die Sprünge. Dabei betonte ich das Wort "verlieren" besonders. Sowas hatte ich ja wirklich noch nie gehört. Entweder wurde man beim Schmuggeln erwischt und suchte das Weite und ließ die Drogen wo sie waren, oder sie wurden einem geklaut oder man nahm sie selbst. Aber verlieren konnte man sie nicht. Vor allem nicht diese Mengen. Irgendwas war gewaltig schief gelaufen. Nur wusste ich nicht was. Aber ich würde es heraus finden. Schließlich hatte ich das Zeugs mit meinem Geld gekauft. Und wenn ich es nicht teuer weiterverkaufen konnte, blieb ich darauf sitzen. Logischerweise

Der Kerl sah sie mich weiter an, als ob mir ein grünes Horn mitten auf der Stirn wachsen würde. Wieso hatte ich solche Idioten um mich herum laufen? Ich brummte missmutig. Warum hatte ich Raphael doch gleich nach Hause geschickt? Er war der einzige in meiner Umgebung, der die Fähigkeit zu Denken besaß. Das musste man ihm wirklich hoch anrechnen. Ich hätte ihn noch nicht nach Hause schicken sollen. Ich könnte ihn gerade hier gut gebrauchen. 
Aber da er nicht hier war, musste ich es alleine regeln.

Ohne Vorwarnung packte ich ihn am Kragen und drückte ihn grob gegen die nächste Wand. Ich legte meinen Unterarm auf seinen Hals und drückte ihm die Luft ab. Vor Schreck riss er seine Augen auf und starrte mich entsetzt an, während sein Kopf langsam rot anlief. Er fing an nach Luft zu röcheln. Seine Lippen zitterten und seine Augen wurden gefühlt immer größer. Bevor eins heraus springen würde, verminderte ich den Druck auf seinen Hals und er schnappte hektisch nach Luft. Ich wartete, bis sich seine Gesichtsfarbe einigermaßen normalisiert hatte. Schließlich wollte ich ihn nicht umbringen. 
"Also...wie hast du es geschafft, die Drogen zu verlieren?" fragte ich nüchtern nach und sah ihn einfach nur abwartend an. Er lief wieder rot an, aber diesmal konnte es nicht am Sauerstoffmangel liegen. Mein Unterarm lag zwar noch auf seinem Hals, aber nur als Drohung. Damit er wusste, dass ich wieder zudrücken würde, wenn er mir ins Gesicht log. 

Aber anscheinend setzte ich schon wieder zu viel Intelligenz voraus. Denn er log weiter. "Ich weiß es nicht", sagte er mit kratziger Stimme. Wut durchfuhr meinen Körper wie eine heiße Flamme. Sie breitete sich langsam in meinem Körper aus und ich presste meinen Kiefer zusammen. Immer wieder redete ich mir ein, dass ich ihn am Leben lassen musste. Schließlich konnte nur er mir sagen, wo die Drogen waren. Wenn er erwischt worden war, würde die dämliche Polizei bald auf der Matte stehen. Obwohl...ich bezweifelte, dass sie unser Versteck finden würden. Es sei denn, der hirnlose Idiot hatte es ihnen verraten... 
Während ich abschätzte, was wohl passiert war, erhöhte ich den Druck wieder auf seinem Hals. Fasziniert sah ich dabei zu, wie sich das gleiche wie gerade wiederholte. Wie er immer röter anlief, seine Backen aufblies und mich mit Skepsis im Blick ansah. Diese Skepsis wich schnell Verzweiflung, dicht gefolgt von panischer Angst. Ich ließ meinen Arm wo er war und sah, wie seine Gesichtsfarbe langsam wechselte und blasser wurde. Die Augen waren rund und groß wie Untertassen, die Äderchen darin ließen sich mittlerweile gut erkennen. Erst als seine Augenlider anfingen zu flattern, nahm ich meinen Arm weg und ließ ihn los. Erschöpft nach Luft ringend rutschte er an der Wand herunter und blieb dort zusammengekauert sitzen. 

Teilnahmslos sah ich auf ihn herab. "Also jetzt nochmal von vorne" forderte ich ihn bemüht ruhig auf und er sah mit großen Augen zu mir hoch. 
"Ich weiß es wirklich ni-" setzte er an, aber ein Tritt in den Magen ließ ihn verstummen. Keuchend krümmte er sich auf dem Boden zusammen. "Lüg mich verdammt nochmal nicht an!", schrie ich nun aufgebracht. Meine Geduld war aufgebraucht und meine Nerven zum zerreißen gespannt. Ich hockte mich hin und packte ihn mit einer Hand am Hals und drückte seinen Kopf so gegen die Wand. "Sag mir was passiert ist", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Er schluckte und schien dann merklich innerlich zusammenzubrechen. Kraftlos und wie ein Häufchen Elend saß er vor mir. Ich hätte Mitleid bekommen können. Bekam ich aber nicht. Wenn er mir nicht bald die Wahrheit sagen würde... 

"Ich hab die Päckchen wie abgesprochen am Flughafen abgeholt", setzte er dann endlich an zu reden und ich verschob meine Mordpläne und hörte ihm stattdessen erstmal zu. "Es lief auch alles nach Plan, bis ich mitten auf der Straße von einem anderen Auto absichtlich angefahren wurde. Es hat mich von der Straße gedrängt und ich bin gegen einen Baum gefahren. Als ich wieder zu mir kam, lag ich alleine auf dem Boden vor dem Baum." Kleinlaut sah er mich an und biss sich nervös auf die Lippe. 

Ich konnte ihn nur ungläubig anstarren. Glaubte er wirklich, dass ich ihm diesen Schwachsinn abkaufen würde?! 
"Ich sagte, du sollst mich nicht anlügen!", knurrte ich und schlug mit der Faust in sein Gesicht. Mehrmals. Als ich seine Nase knacken hörte, schüttelte ich meine Hand und ließ von ihm ab. Wimmernd hielt er sich seine Nase, die langsam anschwoll und sah mich an. "Es ist aber die Wahrheit...ich kann dir den Baum und alles zeigen, wo es passiert ist", schlug er schluchzend vor. 

Meine Gedanken überschlugen sich, während ich meine Hand massierte. Die Haut an meinen Fingerknöcheln war aufgeplatzt und blutete leicht. Aber ich merkte den Schmerz nicht, dazu war ich viel zu abgelenkt. Wenn diese Geschichte stimmte, dann konnte das nur eins bedeuten: Irgendwer hatte Wind von meinen Drogengeschäften bekommen. Und das verhieß nie was Gutes. Entweder waren es die Bullen, oder einer meiner Gegner. In meiner Umgebung hatte ich viele Feinde. Die meisten hassten mich. Das konnte ich ihnen noch nicht einmal verübeln, schließlich wusste ich, dass ich manchmal unausstehlich war. Aber dieses Verhalten provozierten die anderen auch immer. Schließlich konnte ich auch nett und geduldig sein. In gewissen Maßen natürlich nur. 

In Chicago gab es genau drei Banden. Und diese rivalisieren, seit ich der Anführer von einer dieser Banden geworden war. Meine Männer vertrauten mir, sie würden blind jemanden töten, wenn ich es ihnen befiel. Aber die anderen beiden Banden hassten mich. Die Gewinne, die ich mit den Drogen machte, wollten sie auch machen. Genauso wie in den anderen Gebieten, in denen ich meine Finger drinnen hatte. Man könnte es auch organisiertes Verbrechen nennen, immerhin schreckte ich vor nichts zurück, nicht vor Mord, Drogen, Erpressung oder Prostitution von irgendwelchen Schlampen. Man konnte eigentlich mit allem Geld machen, man musste nur wissen, wie. Und das wusste ich, sehr zum Ärger von den anderen Banden. 

Da ich nicht damit rechnete, dass die Bullen auf mich aufmerksam geworden waren, musste es einer der beiden anderen Banden gewesen sein. Und sie würden weitermachen, bis sie mich ruiniert hatten. Das musste verhindert werden. 

Schwungvoll zog ich den Kerl wieder auf die Beine und lehnte ihn gegen die Wand, damit er nicht sofort umkippte, sobald ich ihn los ließ. "Ich glaube dir", hörte ich mich dann sagen und Erleichterung breitete sich auf seinem Gesicht aus. 

Ich glaubte ihm wirklich. Nur stand ich jetzt vor einem gewaltigen Problem. Irgendwie musste ich heraus bekommen, wer ihn überfallen und meine Drogen entwendet hatte. 
Aber das würde ich schaffen. Bis jetzt hatte ich alles geschafft. 
Und die Leute, die meinten, sich mir in den Weg stellen zu müssen, hatten immer mit dem Tod bezahlt. 
So würde es auch dieses Mal sein. 

Murder - You can't hide [Pausiert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt