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Es regnete.

Ich liebte den Regen. Vorsichtig legte ich meinen Kopf an die kalte Fensterscheibe und blickte nach draußen, in den lauen Herbstabend. Ich sah nicht sofort die friedliche Umgebung, es dauerte kurz bis sich meine Pupillen so geweitet hatten, dass ich in der Dunkelheit etwas erkennen konnte.

Die Sonne war bereits untergegangen, weshalb der große Hof des Hotels von unzähligen Kerzen erleuchtet wurde. Mir tat der arme Hausmeister beinahe leid, der vor Sonnenuntergang immer von Laterne zu Laterne laufen musste, um dieses magische Bild jeden Tag neu zu erschaffen.

Aber von oben, von meinem Hotelzimmer aus betrachtet, fügten sich die ganzen kleinen Flammen zu einem wunderschönen Bild zusammen. Wie Wellen breitete sich das warme Kerzenlicht über den alten Mauern und dem dunklen Boden aus.

Ich liebte dieses Hotel. Es war so edel und ehrwürdig, wie ein altes Schloss. Alles hier war entweder vergoldet oder von rotem Samt überzogen. Und es fühlte sich erschreckend vertraut an. Fast als würde ich heimkehren.

Ein absurdes Gefühl für mich. Denn weder in meiner kleinen Wohnung in Wien, noch in dem riesigen Wohnklotz meines Vaters empfand ich ein so warmes Gefühl.

Doch vielleicht lag das gar nicht an der schönen Einrichtung, der rauen Umgebung oder dem himmelweichen Bett hier. Vielleicht kam dieses Gefühl einfach nur, da dieser Ort ein Geheimnis barg, welches ich schon so lange in mich einschließen und für immer verwahren wollte.

Es war nicht mein eigenes Geld, was den beinahe vier Wochen langen Aufenthalt hier zahlte. Es war das schlechte Gewissen meines Vaters. Und obwohl ich meine Eltern über alles liebte, war es mir dieses Mal nicht schwer gefallen, eines der großzügigen Angebote von ihm anzunehmen.

Offiziell war ich im Grand Hotel am Bodensee. Zumindest spiegelte das die Realität der Bilder wider, welche ich meiner Mutter täglich schickte, um ihr ein wenig gute Laune zu bescheren.

Ich am Pool, mit einem Cocktail in der Hand. Eine weite grüne Wiese mit einer Picknickdecke und zweien meiner Lieblingsbücher. Ein Bild von mir in ihrem alten grünen Ballkleid.

Tatsächlich war ich aber ganze 160 Kilometer vom Bodensee entfernt. Nur konnte ich den Namen des Ortes, an dem Ich jetzt war wohl kaum meinen Eltern mitteilen. Um ganz ehrlich zu sein, konnte ich niemandem sagen, wo ich gerade war. Und auch wenn das hier strenggenommen Betrug, zumindest meinem Vater gegenüber, und hoch gefährlich war, fühlte ich mein Herz voller Vorfreude aufgeregt schlagen.

Ich war ganze 4 Tage zu früh angereist. Mein innerer Kontrollfreak wollte wohl einfach sicher sein, dass ich nichts verpasste. Aber neben vielen völlig harmlos dreinschauenden Menschen, konnte man doch erahnen, dass auch einige außer mir nicht der schönen Wanderwege angereist waren.

Oder bildete ich mir das nur ein?

Mein Blick wanderte durch das Zimmer. Ich ließ den Anblick auf mich wirken. Noch saß ich in einem schwarzen, trägerlosem Satinbody auf meinem Bett und wartete, dass meine Haut sich nach der heißen Dusche etwas abkühlte. Aber lange würde ich wohl nicht mehr vor dem Fenster aushalten. Dafür war mein Appetit zu groß.

Es war mutig von mir hier her zu kommen, aber vor Herausforderungen bin ich bisher noch nie gescheut. Eine Charaktereigenschaft von mir, die meine Psychologin beinahe in den Wahnsinn trieb. Sie erklärte sich diesen unvernünftigen Zug mit der Tatsache, dass ich glaubte, nichts verlieren zu können.

Naiv, aber zutreffend.

Ich stand auf und schlenderte zum Spiegel. An einem schweren Holzbügel hing das Kleid, was ich mir schon vor dem Duschen zurechtgelegt hatte. Meine Finger fuhren über den weichen Stoff, der älter war, als ich selbst.

Du gehörst mirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt