Kapitel 3

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Blue


„Jack?“, fragte ich ungläubig. Er stand zwischen den Keksen und den Backmischungen und starrte mich an.
„Blue.“, sagte er und runzelte die Stirn.
„Was… wie kommst du hierher?“, fragte ich und ließ fast die Packung Cornflakes fallen.
„Das… ich weiß es nicht.“, erwiderte Jack und dachte angestrengt nach.
Ich starrte ihn sprachlos an. Er war keine Einbildung, er war wirklich hier. Wie war das möglich? Wieso schickten die Götter ihn hierher? Das Raum Zeit Kontinuum geriet aus dem Gleichgewicht, wenn immer mehr Menschen in der Zeit reisten.
„Ach du meine Güte.“, murmelte ich und beobachtete Jack dabei, wie er sich umsah. Wie sollte ich mit dieser Situation klar kommen? Für Jack war alles hier absolut neu. Ich hatte James zwar bereits alles beigebracht, aber James wusste sich wenigstens zu benehmen. Was sollte ich jetzt nur tun? Gerade Jack mit seiner experimentellen Art war hier nicht sehr gut aufgehoben.
„Wo bin ich?“, fragte Jack und sah mich wieder an.
„In einem Supermarkt im Jahr 2018, “ stellte ich nüchtern fest, „Schön, dich wieder zu sehen.“
Jack grinste mich an: „Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“
„Bitte fass hier nichts an.“, sagte ich und sah Jack fest an.
Jack hob die Augenbrauen und sah sich erneut um.
„Ich meine es Ernst, “ wiederholte ich, „Fass hier nichts an oder ich fühle mich dazu gezwungen, dir weh zu tun.“
Jack zog die Augenbrauen zusammen.
„Blue?“.
Ich drehte mich um und sah Julien am Ende des Regals stehen. Er war genauso überrascht und verwirrt wie ich: „Jack?“.
Jack starrte Julien an und Julien sah zu mir.
„Woher kennt er mich?“, fragte Jack und sah mich ebenfalls an, „Woher kennt er euch?“
Ich spürte ein unschönes Gefühl, dass sich in mir ausbreitete. Es fühlte sich an wie Panik, Hilflosigkeit.
„Er… wir… ich, “ stammelte ich, „Das ist wirklich nicht normal.“
„Was ist nicht normal?“, hakte Jack nach.
„Dass du hier bist.“, antwortete Julien und kam neben mich.
Ich schwieg und sah zwischen den beiden hin und her. Mir wurde langsam klar, wie unschön diese Situation enden würde. Jack war hier. Julien war jedoch auch hier. Jack war in dieser Zeit nun nicht mehr tot und ich spürte, wie meine Gefühle für ihn wieder auftauchten. Jedoch verblassten die für Julien nicht.
Das Gefühl von Panik ließ sich immer genauer definieren. Was sollte ich jetzt tun? Jetzt waren Jack und Julien beide hier. Sie waren beide bei mir und ich liebte sie beide. Wie konnte es überhaupt möglich sein, dass ich beide liebte?
„Blue, ist alles in Ordnung?“, Julien holte mich aus meinen Gedanken zurück in die Realität. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass Jack und Julien beide versucht hatten, mit mir zu reden.
„Äh, ja, “ antwortete ich, „Mir geht’s gut.“
„Wir sollten von hier verschwinden.“, stellte Julien fest und nahm meine Hand.
Jack sah ihn überrascht an, bevor er mich überrascht ansah.
Ich seufzte und zog meine Hand aus Juliens. Er sah mich irritiert an, doch bevor er etwas sagen konnte, ging ich zum Ausgang.
Jack und Julien liefen mir beide hinterher.
„Was sollen wir denn jetzt machen?“, fragte ich, als ich beim Auto angekommen war.
„Was sollten wir nicht machen?“, fragte Jack und runzelte erneut die Stirn.
Ich seufzte und sah Julien an. Er zuckte die Schultern: „Am besten wir fahren nach Hause.“
„Fahren?“, fragte Jack und sah Julien verwirrt an.
„Sei einfach still.“, grummelte dieser und stieg in sein Auto ein.

Julien

„Ihr stellt nichts Blödes an, “ befahl Julien und sah Blue und Jack eindringlich an, „Ihr werdet beide das Haus nicht verlassen bis ich zurück bin. Es tut mir leid, aber ich muss zur Arbeit. Es ist wichtig.“
Blue nickte und stieß Jack in die Rippen, damit er auch nickte.
Julien vertraute ihm nicht. Er wollte ihn nicht mit Blue allein lassen, aber er musste heute eine Operation leiten auf die er sich lange vorbereitet hatte. Er konnte sich heute einfach nicht krank melden.
„Ich bin so schnell wie möglich zurück, “ erklärte Julien und nahm seine Jacke, „Und ich bringe was zu Essen mit.“
Wieder nickte Blue und sah ihm nach, als er das Haus verließ und zur Arbeit fuhr.
Ihm war sehr mulmig zumute.
Wie konnte es passieren, dass Jack in der Zeit reiste? Die Götter waren seit Blues letzter Zeitreise gegen solche Aktionen weiterer Menschen. Wieso also ließen sie es erneut zu?
Julien wurde das Gefühl nicht los, dass die Götter ihn ersetzen wollten. Jack war ebenso ein Wächter wie er und Julien war bewusst, dass Jack ein Besserer war als er. Seine Verbindung zu Blue war wesentlich stärker, weil sie nicht auf Beeinflussung durch die Götter basierte.
Blue liebte Jack wirklich. Sie liebte ihn so, wie Menschen einander lieben konnten. Blues und Jacks Beziehung zueinander war echt und daher unglaublich stark.
Jack wusste nicht, dass er ein Wächter war, aber er machte seine Aufgabe besser als Julien.
Jedoch liebte Blue Julien nicht. Die Götter beeinflussten sie, damit sie ihn liebte; damit sie bei ihm blieb und die Götter sie in Sicherheit wägen konnten.
Julien seufzte und umklammerte das Lenkrad. Blue würde sich immer für Jack entscheiden und Julien hatte immer gehofft, dass Jack nicht in der Zeit reisen würde. Und jetzt war es doch geschehen.
Es war eine ungünstige Zeit. Blue war viel zu instabil und wer wusste schon, wie es ihr in der nächsten Zeit ergehen würde? Sie geriet viel zu schnell in Panik und zog sich zurück, wenn sie in schwierige Situationen kam.
Die Götter hatten sich keinen guten Zeitpunkt ausgesucht, um Blues Leben erneut umzukrempeln.

Blue

„Und nun?“, fragte Jack und sah mich erwartungsvoll an.
Ich seufzte: „Was?“.
„Wollt Ihr mir nicht einige Dinge erklären?“, hakte Jack nach und grinste mich an, „Zum Beispiel dieses merkwürdige Gefährt, mit dem wir hierher gekommen sind?“
Ich schüttelte den Kopf und setzte mich auf die Couch.
Jack setzte sich zu mir und sah sich im Wohnzimmer um. Für ihn war vielen neu. Der Fernseher, das Telefon, das Licht. Und ich fühlte mich kein bisschen dazu in der Lage, ihm auch nur irgendetwas zu erklären.
„Wieso nicht?“, Jack hob eine Augenbraue und sah mich wieder an.
„Es würde zu lange dauern.“, erwiderte ich kurz.
„Dann sagt mir, was wir tun können.“, sagte Jack und grinste mich erneut an.
Ich dachte nach. Am liebsten hätte ich mich in meinem Bett verkrochen und nicht weiter mit dem Problem auseinander gesetzt.
„Du kannst hier so nicht rumlaufen.“, stellte ich nach einer Weile des Schweigens fest und zog an einer von Jacks Dreadlocks bis er aufjaulte.
„Das kann ich sehr wohl!“, erwiderte Jack eingeschnappt und löste meine Hand von seinen Haaren.
Ich schüttelte den Kopf: „Nein.“
„Wieso?“, jammerte Jack.
„Es geht nicht, “ sagte ich knapp und stand auf, „Komm mit.“
Jack stand ebenfalls auf und folgte mir ins Badezimmer. Ich bedeutete ihm sich auf den Badewannenrand zu setzen, während ich eine Schere suchte.
„Was habt ihr vor?“, fragte Jack und beobachtete mich.
Anstatt zu antworten nahm ich eine von Jacks Dreadlocks und schnitt sie auf Kinn Höhe ab.
Jack starrte mich entsetzt an und als er etwas sagen wollte, legte ich ihm meinen Zeigefinger auf die Lippen.
„Nein, sei still.“, fauchte ich und schnitt weiter eine nach der anderen Dreadlock ab.
Jack schwieg und schien überrascht über meinen Tonfall.
„Es tut mir ja leid, Jack, “ erklärte ich dann, während ich versuchte seine übrig gebliebenen Haare zu kämmen, „Aber es geht wirklich nicht anders. Du hast ein einziges filziges Chaos auf deinem Kopf und das stinkt.“
Jack grinste mich an: „Ich stinke?“
„Gewaltig.“, erwiderte ich nüchtern und kämpfte den Kamm durch seine verfilzten Haare.
Als ich es endlich geschafft hatte, sammelte ich die vielen Perlen und Anhänger aus den Haaren auf dem Boden und drückte sie Jack in die Hand.
„Durchaus nett.“, sagte dieser und lächelte die Perlen an.
Ich schwieg, fegte die Haare zusammen und stopfte sie in eine Plastiktüte.
Dann sah ich Jack an. Seine Frisur sah wesentlich zivilisierter und unauffälliger aus als vorher. Ich musste nur noch etwas gegen seine Klamotten, den Gestank und den abartigen Dreck machen.
„Zieh deine Schuhe aus, “ befahl ich daher, „Weste und Hemd auch.“
Jack grinste und tat wie befohlen, während ich eine Dose holte, in die ich seinen Schmuck legen konnte. Ich wollte sein Aussehen verändern und nicht seine Sammlung an Erinnerungen zerstören.

Blues Caribbean 4 - Wem gehört dein Herz?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt