Julien
Er drückte die große Glastür des Krankenhauses auf und trat ein. Ihm war bewusst, dass er Blue zum letzten Mal sehen würde, aber er konnte nicht einfach gehen ohne sich zu verabschieden.
Julien erkundigte sich bei einer der Schwestern nach Blue und obwohl sie eigentlich keinen Besuch bekommen sollte, ließ die Schwester ihn zu ihr.
Blue saß mit dem Rücken zur Tür an einem Tisch, der direkt unter einem Fenster stand. Sie trug einen großen Pullover und hatte ihre Haare grob zu einem Zopf zusammengebunden.
Julien schloss die Tür hinter sich und Blue drehte sich zu ihm um.
„Julien?", Sie sah ihn überrascht an und stand auf.
Er lächelte sie kurz an und deutete dann auf ihr Bett: „Darf ich mich setzen?"
Blue nickte und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. Julien setzte sich auf ihr Bett und sah sie an. Er würde in seinem Leben nie wieder jemanden so sehr lieben können, wie er Blue liebte.
„Was machst du hier?", fragte sie und vermied es, Julien in die Augen zu sehen.
Julien schwieg einen Moment und sah Blue an. Sie sah zwar müde und sehr unglücklich aus, aber dennoch war sie schön. Julien wusste, dass Jack genauso über Blue dachte. Sie war besser bei ihm aufgehoben. Er konnte es leugnen so oft er wollte, aber es war die Wahrheit.
„Ich möchte mich verabschieden.", sagte Julien und spürte einen Kloß in seinem Hals.
„Verabschieden?", Blue sah ihn verwirrt an und er musste die Tränen zurückkämpfen.
Er nickte: „Ich kann nicht länger mit ansehen, wie du dich mit einer Entscheidung quälst."
„Aber das ist nicht deine Sache, " erwiderte Blue, „Das ist meine Sache."
„Es ist auch meine Sache, Blue, " widersprach Julien, „Ich bin hier um auf dich aufzupassen. Die Götter haben mir diese Aufgabe gegeben. Ich kann nicht auf dich aufpassen, wenn es dich kaputt macht."
Blue sah ihn einfach weiter an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und auch sie schien mit ihnen zu kämpfen.
„Die Götter haben deine Gefühle beeinflusst, " erklärte Julien und sah wie Blues Gesichtsausdruck sich veränderte, „Sie haben dich dazu gebracht, dass du mich liebst. Du solltest bei mir bleiben, damit ich dich beschützen kann, aber das hier ist nicht der Sinn des Ganzen."
„Was?", Blue sah Julien ungläubig an.
„Es ist wahr, " sagte er leise, „Es ist alles wahr und es tut mir unendlich leid, dass ich nicht schon früher gegangen bin. Du gehörst zu Jack, nicht zu mir."
Er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, genauso wenig wie Blue.
„Ich liebe dich gar nicht?", fragte sie leise. Ihre Stimme bebte und sie sah schnell weg, als Julien ihren Blick erwiderte.
„Nein.", antwortete Julien nach einer kurzen Pause. Es fiel ihm unglaublich schwer.
„Ich habe dich nie geliebt, " hauchte Blue fassungslos und sah ihn endlich wieder an, „Und du? Hast du mich geliebt? Oder war das auch nur irgendeine kranke Spielerei von diesen ekelhaften Göttern?"
Julien schloss für einen Moment die Augen. Er konnte es ihr nicht sagen. Es ging ihr schlecht genug. Er musste sie beschützen und er durfte ihr nicht noch mehr Last auf die Schultern legen.
Doch er wollte nicht mehr auf die Götter hören. Sie hatten am meisten Schaden angerichtet in Blues Leben. So viel Schaden, dass es kein Mensch auf dieser Welt jemals wieder reparieren könnte.
Es war nun Juliens Aufgabe ihr so viel wie möglich zu helfen. Wenigstens für ein paar Minuten, bis er für immer gehen würde.
„Ich liebe dich immer noch, " erklärte Julien, „Ich habe dich immer geliebt. Deswegen werde ich gehen. Ich liebe dich."
Blue schloss die Augen und senkte ihren Kopf. Sie atmete tief durch und sah Julien dann wieder an. In ihrem Blick lag etwas Liebevolles.
„Es tut mir so leid, Julien, " flüsterte sie und stand auf, „Es tut mir so leid, dass du in diesen ganzen Mist mit reingezogen wurdest."
„Es ist mir eine Ehre einen Menschen wie dich gekannt zu haben, " sagte Julien und stand ebenfalls auf, „Aber es wird jetzt Zeit, dass ich gehe."
„Du verdienst etwas Besseres als mich, " erklärte Blue leise und nahm seine Hand, „Pass immer auf dich auf, okay?"
Julien nickte. Blue hatte Unrecht. Er verdiente nichts Besseres als sie. Er wollte nichts Besseres. Er würde nie eine Frau finden, die auch nur annährend an Blue heran reichte.
„Leb wohl.", sagte Julien dann und küsste Blue auf die Stirn, bevor er sie ein letztes Mal umarmte. Sie erwiderte die Umarmung und so standen sie für einige Minuten in ihrem Zimmer.
Als er Blue losließ, lächelte sie ihn ein letztes Mal an. Julien drehte sich um und verließ ihr Zimmer.
Schnell ging er zu seinem Auto und als er die Autotür geschlossen hatte, konnte er die Tränen nicht länger zurückhalten. Er begann zu weinen und schlug gegen das Lenkrad.
Er war wütend auf die Götter, er war wütend auf sich selbst. Er hätte niemals ja sagen sollen, er hätte niemals ihr Wächter sein sollen. Vielleicht hätte er jetzt ein glückliches Leben.
Andererseits war er froh, Blue zu kennen. Er war dankbar für die Jahre, die sie zusammen verbringen konnten.
Er startete den Motor und sah in den Rückspiegel. Julien würde sie schrecklich vermissen; noch mehr als vor einem Jahr, als sie angeblich tot war. Denn sie war nicht tot. Sie war am Leben und dennoch konnte Julien nicht bei ihr bleiben.
Er hoffte, dass Jack sich gut um sie kümmern würde, denn Blue hatte nur das Beste verdient.
Julien würde Blue nie vergessen. Niemals.Blue
Ich blieb noch zwei weitere Tage im Krankenhaus, bis Donna mich abholte.
Sie verlor kein Wort über Julien oder Jack, sondern fuhr mich still schweigend nach Hause.
Als wir vor meinem Haus anhielten, drehte sich Donna zu mir.
„Hör zu, Blue, " begann sie, „Julien ist verschwunden-."
„Ich weiß, " unterbrach ich sie und bemerkte, dass meine Stimme heiser war, „Er war bei mir, bevor er gegangen ist."
Donna sah mich eine Weile an. Sie sagte nichts und ich hielt ihrem Blick nicht stand. Ich blickte aus dem Fenster.
Wenn ich über eine Sache nicht reden wollte, dann war es Julien. Ich empfand nichts mehr für ihn. Sein Name war nicht mehr an ein Gefühl gebunden. Wenn ich an ihn dachte, fühlte ich nur noch eine innere Leere. Da, wo er war, war jetzt nur noch ein Loch. Dort war nichts mehr. Es machte mich nicht traurig, aber glücklich machte es mich auch nicht. Ich wusste, dass ich Jack liebte. Ich liebte ihn über alles auf dieser Welt, aber genauso hatte ich Julien geliebt. Dieses Gefühl, dass ich jetzt nur noch für Jack empfand, hatte ich auch einmal für Julien. Es fehlte.
„Willst du darüber reden?", fragte Donna vorsichtig und schnallte sich ab. Ich schüttelte bloß den Kopf.
Ich wollte mit niemandem darüber reden. Nicht einmal mit Jack oder mit Kyle.
Im Krankenhaus musste ich mit genügend Therapeuten darüber reden. Sie waren in mein Zimmer gekommen nachdem Julien gegangen war. Ich hatte geweint, aber in derselben Nacht noch verschwanden alle meine Gefühle für ihn. Ich konnte nicht mehr wegen ihm weinen.
Meine Liebe für Julien hatte einem Hass auf die Götter Platz gemacht. Ich fand sie schon immer merkwürdig, doch jetzt konnte ich sie nur noch hassen.
Sie hatten nicht nur mein Leben zerstört, sondern auch Juliens.
Vielleicht war es nicht ihre Schuld, aber meine war es auch nicht. Es war nicht meine Schuld, dass ich in dieser Familie genau in diesem dreihundertsten Jahr geboren wurde. Ich konnte es nicht ändern, egal wie sehr ich es wollte. Egal, wie sehr ich ein normales Leben führen wollte, ich konnte es nicht. Ich war nicht normal. Ich war nicht einmal ein Mensch.
„Wollen wir reingehen?", fragte Donna und legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich nickte stumm und schnallte mich ab.
Donna stieg aus und holte meinen Rucksack aus dem Kofferraum. Ich brauchte etwas länger, um auszusteigen.
Ich freute mich, Jack wiederzusehen. Als Donna mich im Krankenhaus angerufen hatte, erzählte sie mir, dass sie Jack schon eine Menge beigebracht hatte. So musste ich es nicht mehr machen. Ich war unendlich dankbar, dass Donna meine beste Freundin war. Ich konnte mir keine Bessere wünschen.
Sie trat neben mich und legte mir einen Arm um die Schultern.
„Hm?", machte sie und lächelte mich an, „Komm. Wir gehen zu Jack."
Wir gingen zusammen zur Tür und sie gab mir meinen Haustürschlüssel.
Ich schloss die Tür auf ging langsam ins Wohnzimmer. Jack wartete bereits auf mich.
„Liebes, " sagte er und breitete seine Arme aus, „Ich hoffe es geht euch besser."
Ich lächelte und umarmte ihn: „Ja."
„Das ist erfreulich zu hören.", sagte er grinsend und ließ mich los.
Ich war froh, endlich wieder bei ihm zu sein. Ich hatte es vermisst, ihn zu lieben. Nur ihn. Ich hatte es vermisst, mich gut zu fühlen. Gut und sicher. Erst jetzt wurde mir klar, wie sicher ich mich in seiner Nähe fühlte. Er würde es nie zugeben, aber er beschützte mich. Da ich es wusste, musste er es auch nicht zugeben.
Vielleicht würde mein Leben doch gut werden können. Vielleicht würden die Götter mich in Ruhe lassen und ich könnte ein friedliches Leben führen, genau so, wie ich es mir immer gewünscht hatte. Mir einem Mann, den ich liebte und Freunden, die für mich da waren. Donna und James lebten weit weg, aber dank moderner Technik war alles kein Problem mehr. Selbst im Krankenhaus hatte ich nette Menschen kennengelernt und ich bezweifelte es nicht, dass ich neue Freunde gefunden hatte.
Mein Leben war bereits gut, es musste gar nicht besser werden.
Es dauerte nur, bis ich es erkennen konnte.
DU LIEST GERADE
Blues Caribbean 4 - Wem gehört dein Herz?
FanfictionZurück in der Gegenwart flieht Blue mit Julien nach Amerika. Doch bereits wenige Wochen später steht ihr Leben schon wieder Kopf, als der bekannte Cpt. Jack Sparrow vor ihr im Supermarkt steht.