2.Kapitel

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An der Turnhalle angekommen, lehnten Minho und ich unsere Räder an die alte Steinwand. Dabei strich ich mit meiner Hand leicht über den bröckligen Putz und genoss das Gefühl, welches die raue Oberfläche auf meinen Fingerspitzen hinterließ.

Was viele Leute wahrscheinlich im Umgang mit mir nie wirklich verstanden haben, ist, dass ich meistens aufmerksamer bin, als vorerst vermutet. Schon oft, wenn meine Freunde dazu geneigt hatten, mich als „auf einem anderen Planeten" oder „ganz woanders" zu bezeichnen, hatte ich meine Umgebung besser und intensiver wahrgenommen, als einige von ihnen es jemals tun würden.

Ich war ein Mensch, der sich an den kleinen Dingen des Leben erfreuen konnte. Dinge, die für die Meisten schon längst selbstverständlich geworden waren, hatten für mich immer noch eine wahnsinnige Anziehungskraft... Sei es die Sonne, die jeden Tag neues Licht und neue Wärme mit sich brachte, ohne die Erde dabei zu verbrennen, das Wasser, das sämtliches Leben auf diesem Planeten erhielt, oder einfach der Wind, der es immer wieder schaffte, mich zu beruhigen.

Meiner Meinung nach schätzten die Menschen dieses Leben nicht genug. Sie wussten nicht, was sie hatten.

Wahrscheinlich musste erst ein riesiges Unglück geschehen...eine Sonnenerruption mit anschließender Seuche oder so, damit diesen Leuten die Augen geöffnet werden würden.

Doch dann...dann wäre es wohl auch zu spät.

Ich seufzte. Wieso drifteten meine Gedanken in letzter Zeit immer in diese Richtung ab? Ich ging mir schon  regelrecht selbst auf die Nerven.

„Kommst du, Schlafmütze?" fragte Minho in diesem Moment und holte mich dankenswerter Weise aus meinem düsteren Gedankenstrom. „Ja sorry, weiß auch nicht, was im Moment mit mir los ist." antwortete ich und schulterte erneut meinen Turnbeutel.

Gemeinsam liefen wir zum Hintereingang des Gebäudes und schlüpften durch die angelehnte Tür. Innen wurden wir bereits von lauter Techno Mucke begrüßt und sofort war klar, dass Teresa schon da war.

„Aaaawwwww wen seh ich da!!!!" quietschte es in diesem Moment aus dem Geräteraum.
„Meine Boooyyyyyys!!!" Lachend verdrehte ich die Augen und drehte mich gerade noch rechtzeitig um, um meine beste Freundin auffangen zu können, als sie auf mich zugesprungen kam. „Hey T" begrüßte ich sie und vergrub meinen Kopf in ihren langen schwarzen Haaren.

„Was ist das denn schon wieder für eine Urwaldmusik?" mischte sich in diesem Moment Minho ein und Teresa hob ihren Kopf, um ihn frech anzugrinsen. „Das" sagte sie, „ist keine Urwaldmusik. Das ist vollkommen human. Nennt sich I'm always here....der Soundtrack von dem neuen Baywatch. Macht's da bei irgendjemandem von euch Klick?"

Fragend sah sie in die Runde. „Ja klar. Wer kennt das nicht?" kam da eine Stimme aus dem Off. „Gally!" strahlte Teresa und war im nächsten Moment schon dabei, dem Jungen, der gerade die Turnhalle betreten hatte, durch die rotbraunen Haare zu wuscheln.

Dieser grinste nur sein klassisches Dauergrinsen und rückte seine Brille zurecht. „Hey T, alles fit?" fragte er an die Schwarzhaarige gerichtet. „Klaro." erwiderte diese und zwinkerte ihm zu.

„Leute, was geht schief, dass ihr alle schon da seid." ertönte da eine bassige Stimme und Alby, der in der Tür lehnte, kratzte sich an seinem kurzgeschorenen Hinterkopf und schüttelte gespielt fassungslos den Kopf.

Sofort mussten wir alle noch breiter grinsen und auch um die dunklen Augen unseres „Anführers" spielte ein warmes Lächeln. Glücklich betrachtete ich unsere Gruppe. Es waren fast alle da: Teresa und Gally, Harriet, Rachel und Sonya, Ben und Winston, Dexter, den alle aber immer nur Frypan nannten (wahrscheinlich weil er der einzige von uns war, der tatsächlich in der Lage war zu kochen...ich meine...so richtig...ohne Tütensuppe und so), Brenda, Alby und natürlich Minho und ich.

Der Einzige, der fehlte, war Aris. Als hätte er meine Gedanken gelesen, rief Fry in diesem Moment: „Aris kann nicht, schreibt er grad...es gibt da wohl ein Problem." und zuckte mit den Schultern.

Alby runzelte die Stirn und setzte an, um etwas zu sagen, entschied sich dann aber doch dagegen. Stattdessen klatschte er in die Hände und meinte: „Okay ihr Strünke, geil, dass wir es mal wieder geschafft haben, fast alle auf einen Haufen zu kommen. Um es kurz zu machen: der Contest ist in drei Wochen und ich hoffe, ihr habt genauso Bock wie ich, mal wieder richtig auf die Kacke zu hauen. Ich hab die anderen Gruppen gesehen, die mittanzen...und ich kann euch sagen, da ist nicht eine so mit dem Herzen dabei, wie ihr es seid." Er machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr. „Ich will jetzt nicht sentimental werden, deshalb Schluss mit dem Gefasel und rein in die Turnschuhe. Machen wir, dass wir anfangen können." Mit diesen Worten klatschte er erneut und wir gingen geschlossen in die Umkleide, um uns unsere Sportklamotten über zu werfen.

Keine zehn Minuten später standen wir alle wieder am selben Fleck wie vorher, nur in wesentlich lockereren Sachen. „Findet ihr nicht auch, dass Sonya verdammt heiß aussieht in dem neuen Trikot?" fragte Fry in diesem Moment verträumt. Ich musste lachen. „Wann wirst du es nur jemals schaffen, sie nach einem Date zu fragen?" fragte ich und klopfte ihm auf die Schulter. „Wahrscheinlich nie. Dabei steht die voll auf ihn." mischte sich Gally an dieser Stelle ein und grinste verschwörerisch.

Ehe wir jedoch unsere Debatte um hübsche Basketballtrikots oder die Mädels der Crew fortführen konnten, ergriff Alby erneut das Wort: „Also, falls ihr euch erinnert..." fing er an, „Wir waren letzte Woche Freitag schritttechnisch bis kurz nach dem Solo von Aris und Thomas gekommen. Wichtig ist jetzt, dass ihr die Bewegungen verinnerlicht. Wir arbeiten als Gruppe, das ist unsere Stärke. Das heißt zu deutsch aber auch dass ihr tanzen müsst, wie ein einziger großer Organismus. Es reicht nicht, wenn ihr einzeln gut seid, ihr müsst zusammen gut sein."

Er schaute ernst in die Runde, bevor er weitersprach: „Also, was ich damit meine: verständigt euch, fühlt euch in die anderen rein, werdet eins miteinander. Schließt meinetwegen eure gottverdammten Augen. Aber, zum Henker nochmal, ihr müsst es fühlen...die Musik fühlen. Und jetzt ran an die Arbeit!" Damit beendete er seinen Vortrag.

Ein Blick in die Gesichter der Anderen zeigte mir, dass seine Worte Anklang gefunden hatten. Und auch ich war nach seiner Rede wieder absolut motiviert.

„Na dann, worauf warten wir noch? Lets go!" rief Winston in diesem Moment, worauf der Rest der Crew mit einem einstimmigen „yeah" und zustimmendem klatschen reagierte.

Die nächsten zwei Stunden waren wieder einmal Balsam für meine Seele. Wie immer konnte ich einfach alles um mich herum vergessen.

Die Crew arbeitete hart, jede Bewegung musste schließlich sitzen. Doch nach tausenden Wiederholungen, gefühlt zehn Tonnen Schweiß und verschiedensten Absprachen meinte Alby: „So Leute, das reicht erstmal für heute. Ihr wart großartig...so wie immer. Jetzt wird geduscht und danach chillen wir uns noch eine Runde irgendwohin. Was sagt ihr dazu?"

„Geiler Plan Bro." antwortete Gally und klopfte Alby brüderlich auf die Schulter. Auch der Rest der Crew nickte zustimmend.

Auf dem Weg in die Umkleide sah ich aus dem Augenwinkel, wie Brenda Alby von hinten mit ihren Armen umschloss, ihren Kopf an seinen Rücken lehnte und murmelte: „Du bist so wunderbar, weißt du das?"

Ihre Worte ließen ein kleines Lächeln auf den Lippen des Mannes entstehen - ein Lächeln, welches nur sie erschaffen konnte. Es war weich und liebevoll und ich konnte nur erahnen, wie viel Liebe seine Augen in diesem Moment ausstrahlten, als er sich zu ihr umdrehte, sie auf seine Hüfte hob und in einen innigen Kuss vertiefte. Das Letzte was ich hörte, war ein leises: „Nicht so wunderbar wie du." bevor ich mich lächelnd abwandte und im Flur verschwand.

Dort verdüsterte sich meine Miene schlagartig, als mich meine eigenen dunklen Gedanken wieder einholten. Würde ich jemals zu jemandem diese Worte sagen? Würde jemals irgendwer mehr für mich empfinden, als Freundschaft oder eine kleine Schwärmerei? Oder würde ich für alle immer nur der beste Kumpel bleiben?

Schlagartig wütend auf mich selbst schüttelte ich den Kopf. Was hatte ich denn bitte für ein Problem? Ich war Thomas! Der Thomas! Immer gut drauf und der Sonnenschein unserer Gruppe. Nichts und niemand konnte mich runterkriegen. Schon gar nicht ich selbst. Also was sollte der Scheiß?

Mit diesem Gedanken gesellte ich mich zu den Anderen und stellte ich mich unter die kochend heiße Dusche.

Ich schnaubte empört.

Als ob ich jetzt noch depressiv werden würde...

Schwachsinn...

Im Takt deines HerzensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt