~ Kapitel 2: Zusammen einsam

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Nachdem wir eine Stadt erreichten, zügelte ich ein wenig das Tempo meines Kombis. Ein ohrenbetäubendes Quietschen dringt gedämpft durch die Autotüren. Wahrscheinlich lag es an den Bremsen, aber weder Xerxes noch ich gingen weiter drauf ein. „Also...", unterbrach der Andere die bis jetzt herrschende Stille, „Wo fahren wir jetzt genau hin?" Bevor ich meine Antwort formulierte, atmete ich aus:„Dir ein paar Klamotten kaufen und etwas zum Essen." Zögerlich schenkte ich Xerxes ab und zu einen Blick, der aber nickte nur mit einem leichten Lächeln.
In der Stadt fuhren unzählig viele Autos, wodurch wir nur mäßig schnell vorwärts kamen. Um weitere mögliche Verzögerungen zu umgehen, parkte ich den Kombi auf einem noch recht leeren Parkplatz. Mit großen ungläubigen Augen guckte mich Xerxes an, als hätte er, die Situation nicht begriffen. Ich stellte ihn klar, dass wir angekommen waren und jetzt einkaufen gehen konnten. Daraufhin schnallte ich mich ab und verließ das Auto. Der Andere schien, jedoch noch etwas Zeit zu gebrachen. Auch gut. Aus meiner Jackentasche zückte ich eine abgenutzte Zigarettenpackung und ein rotes Feuerzeug. Glücklicherweise waren die Läden zu dieser Tageszeit noch nicht überfüllt... Sanft und doch brennend schweifte der Rauch von meinen Lungen aus die Mundhöhle. In der Zwischenzeit hatte Xerxes sich endlich überzeugen können, das Auto zu verlassen. Er kniff die Augen zu im ersten Moment, da es ziemlich hell durch Sonne war. „Ich wusste gar nicht, dass du rauchst.", sagte er mit Hohn in der Stimme.
„Wenn man leben will ohne durchzudrehen, sucht man sich etwas, um zu testen, ob man noch lebt. " Durch meiner Zigarette im Mund klang es unverständlich, doch Xerxes schien mich verstanden zu haben. Oder er log und das Nicken war nur eine Geste, damit ich meinen Schnabel hielt. Nur eine Bewegung meines Armes benötigte es, um die Zigarette an meiner Schuhsohle auszudrücken. „Hast du eigentlich einen Nachnamen?"
„Break. ", antwortet er ungewöhnlich monoton.
„Wie das englische Wort?"
„Jap."
„Wollen wir dann?"

Gesagt, getan. Wir machten uns
auf dem Weg zu irgendeinem Laden, der mir als Erstes ins Auge stach. Schwermütig folgte mir Xerxes über einen alten Backstein-Gehweg, bei dem ich um ein Haar ausrutschte. „Ich will nicht, dass du Geld für mich ausgibst..." Für den ersten Moment verstand ich die Worte des Anderen nicht, da er sie kaum hörbar vor sich hin murmelte. Als Antwort schüttelte ich nur meinen Kopf, wobei sich fast mein Zopf löste. „Schon gut." Das Einzige, was ich im Moment wohl hervorbrachte. Wenn ich es kurz fassen sollte, hatte Geld für mich nur einen materiellen Wert.
Obwohl die Sonne gerade am Aufgehen war, stand mir die Hitze schon in den Lungen. Nur durch einige Häuser, die wir passierten, bekamen wir ab und zu ein wenig Schatten. „Wie wäre es mit den Laden?" Mit meinen ausgestreckten Zeigefinger zeigte ich auf einer Boutique. Hilflos zuckten die Schultern von Xerxes darauf. Klang für mich wie ein 'ja'. Erleichterung kam in mir auf, als ich die Klimaanlage auf meiner verschwitzten Haut spürte. Ein kleiner Blick zu den Anderen sagte mir, dass er sich unkomfortabel fühlte. „Na los beeilen wir uns!", motivierte ich ihn und wuschelte durch das schneeweiße Haar. Auf diese Geste gab er mir nur einen genervten Blick.
Ich durchsuchte einige Regale, die ziemlich geschmackslose Kleidung ausstellten. Jedesmal rümpfte ich die Nase vom Geruch der Chemiekalien. „Was denkst über diesen Pullover?", fragte ich und hielt ihn den Stofffetzen vor die Nase.
„Der geht eigentlich... "
„Dann nehmen wir den und diese schwarze Hose"
„Nicht mehr?", fragte er verdutzt.
„Ich habe auch noch Klamotten mit, die wir uns teilen können. Anscheinend besitzen wir eine ähnliche Kleidergröße. ", erklärte ich auf dem Weg zur Kasse. Genervtes Augenrollen zierte den Kassierer. Für einen einfachen Angstellten war der Mann recht modisch eingekleidet. Naja, trotzdem wirkte er nicht wirklich sympathisch.
Nachdem wir zahlten, verließen wir das Geschäft, das ein Glück noch nicht überfüllt war. Die Straßen trotzten voller Autos, doch kaum ein Fußgänger kreuzte unsere Wege. „Und nun?" Aus meinen Gedanken gerissen, blinzelte ich wild. Es war schön witzig anzusehen, wie Xerxes versuchte, meine Aufmerksamkeit zu kriegen, durch rudern mit seinen dünnen Armen. Für gewöhnlich trug er seine Kleidung so, dass man kaum Haut sieht. Vielleicht eine Art Tick, dachte ich, doch für einen ausgewachsenen Mann stachen mir zu viele Knochen ins Auge.
„Wie wäre es mit einen Eis?"
„Eis? Au ja!!"
Damit hatte ich wohl offiziell, seine Lustlosigkeit getötet.
Xerxes rannte voraus, doch ich folgte ihn sorglos. Immer wenn er aus meiner Sichtweite verschwand, kam er zurück gedackelt. Dieser Ablauf wiederholte sich dauernd wie ein Zyklus. Beim Spazieren passierten wir einige Bäume, die uns Schatten schenkten. Ich spürte die Hitze auf meiner Haut, als hätten meine Zellen Feuer gefangen. Ruhig seufzte ich leise, während Xerxes vor einer Eis Diele stehen blieb.
„Wollen wir hier Eis essen?", fragte er und richtete seinen Zeigefinger auf das bunte Gebäude. Solche Gebäude waren absichtlich so dekoriert, damit sie auffielen, und besonders kleine Kinder sich angesprochen fühlten. Tja, mein "kleines" Kind hieß Xerxes und stand furchtbar auf Eis.
„Von mir aus-" Als ich jedoch das nächste Mal meine Augen öffnete, saß der Jüngere schon auf einen der limettenfarbenen Stühle und fuchtelte wild mit seinen Beinen. 'Ja, geht natürlich auch so.', dachte ich und ließ mich auf dem Stuhl neben ihn nieder. Die Hitze machte mich müde, sodass ich kurz meine Auge entspannte. Als ich mich der Sonne und meiner Erschöpfung hingab, fragte ich Xerxes:„Zahlst du? Ich würde ja zahlen, aber ich habe kein Geld."
„Wie bist du nur durch die Welt gekommen?"
„Wenn du wüsstest."
„Ja, ich zahle."
Sanft klingte meine Stimme ab. Eigentlich war es viel angenehmer, mit einer Person zu reisen. Jahrelang in Einsamkeit hatten mich wohl geprägt...
Als ich klein war, fuhr ich manchmal in die Stadt mit meinem Großvater. Damals fühlte es sich besonders an, in die Stadt zu fahren, die mehreren Stunden von meinen Heimatort entfernt gewesen war. Außerdem war ich noch ein Kind. Städte gab es heute wie Sand am Meer... Früher waren mein Großvater und ich dann Eis essen. Ab und zu erzählte er wie anstrengend seine Kindheit war und ich lauschte seinen Worten, als wären es Kindergeschichten gewesen. Ich interessierte mich nicht wie die anderen Kinder meines Alters für dumme Märchen. Das wahre Leben erzählte seine Geschichten...
Im nächsten Moment riss mich Xerxes aus meinen Gedanken. Breit grinsend hielt er seinen Löffel, der mit Eiscreme überdeckt war, mir entgegen.
„Probiere mal!"
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich den Kellner, der die Bestellung von Xerxes aufgenommen hatte, gar nicht bemerkt hatte. Ich war zu tief in meinen Gedanken versunken.
Ich wendete meinen Blick den Weißhaarigen zu. Mit funkelnden erwartungsvollen Augen blinzelte er mich an, doch ich verspürte zu diesem Zeitpunkt nicht die Lust auf Eis. Aber ich machte ihn diese Freude und probierte davon.
Nach der Geste funkelten seine rubinroten Augen noch mehr als zuvor. Er sprach freudig:„Das ist doch lecker, oder?" Mir fehlte ein wenig die Kraft, um zu antworten. Deshalb nickte ich nur leicht mit meinen Kopf, ohne weiter drauf einzugehen. „Ich finde es schön hier! So ruhig...", murmelte Xerxes erleichtert. Seine Lippen bewegten sich, doch ich war mit meinen Gedanken völlig woanders. Lachen von Kinder hallte in meinem Schädel. Es klang so vertraut wie aus einer Erinnerung.
Schon wieder riss mich Xerxes aus meinen Gedanken, als er sprach:„ Wollen wir weiter?" Ich stimmte meinen Mitreisenden zu und erhob mich aus den Stuhl. Die Hitze machte mich völlig wirr und ich schaffte es gerade so aufrecht zu stehen. Nach einer Weile kam ich wieder zur Besinnung, schließlich gewöhnte sich mein Körper daran. Dann machten wir uns wieder auf dem Weg zurück zum Kombi. „Also, wo geht es als Nächstes hin?", fragte Xerxes aufgeregt. Neben mir balancierte er elegant auf dem Bürgersteig. Als er drohte zu fallen, griff ich aus Reaktion seinen dünnen Arm. Was dachte er sich dabei? Er hätte auf die Straße fallen können... Als dankende Geste lächelte er mich peinlich angehaucht an. „Naja", fuhr ich fort und löste den Griff um seinen mickrigen Unterarm „Hier in der Nähe ist das Meer. Dort sind viele Skulpturen, die vor langer Zeit angespühlt wurden. "
Wir erreichten den Parkplatz und ich erblickte sofort mein Auto. Sofort verstaute ich die frisch gekauften Sachen im Kofferraum. Beim Öffnen von diesem, haute mich die hitzige und stehende Luft fast um. „Autsch!", schrie der Weißhaarige leicht auf.
„Alles in Ordnung?"
„Ja, denke ich... Ich habe mich fast am Auto verbrannt."
Ein Lachen entglitt meinen Mund, aber ich zügelte mich noch nicht in ein hysterisches Gelächter auszubrechen. Jeder der sein Auto in der Sonne stehen lässt, weiß, dass es sich aufheizen wird. Vielleicht hatte er noch nie ein Auto...

Irgendwann erreichten wir im Auto den äußeren Teil der Stadt. Wir passierten Neubauten und einige Schulen. Auch verlassene Gebäude gehörten dazu. Sie sind zwar herunter gekommen, aber gerade diese Häuser hatten diesen gewissen Charm für mich. „Das Meer ist bestimmt wunderschön! "
Die kindliche Seite von Break stach wieder einmal besonders hervor. Dennoch verbirgte sich etwas in ihn... Ich spürte es...
„Ja, bestimmt können wir auch schwimmen gehen.", sagte ich monoton.
„Echt? Aber wir haben keine Schwimmsachen!"
„Dann gehen wir ohne schwimmen"
„Das darf man nicht überall! Manchmal bist du schon ganz schön grotesk!"
„..."
Ungläubig blickten wir uns gegenseitig in die Augen. Dann rutschte mir ein kleines Lachen heraus und auch Xerxes konnte es nicht mehr zurückhalten. Für nur einen Moment so ausgelassen lachen... Wie ich sowas vermisste.
Einmal noch gab ich Gas, dann hatten wir die Stadt hinter uns gelassen. Ein Wunder, dass die Reifen nicht schmolzen auf dem heißen Asphalt. Jetzt sah man nur noch vertrocknete Sträucher und Bäume am Straßenrand. Kein Haus und kein Tier...
Um uns frische Luft zu zuführen, öffnete ich das Fenster auf meiner Seite und auch auf der Seite von Xerxes. Unsere Haare wehten durch die Luft, doch der Weißhaarige versuchte, verzweifelt seine Haare unter Kontrolle zu kriegen. Ruhig umfasste ich mit meiner Hand das warme Lenkrad. Irgendwie waren meine Hände immer kalt, egal ob ich Handschuhe trug oder im Sommer alle Seen verdunsteten. In aller Seelenruhe saß Xerxes auf dem Beifahrersitz neben mir. Durch seine Mundbewegungen merkte ich, dass er sang. Jedoch war es nur ein Lied, welches der Weißhaarige leise flüsterte, ohne auf mich zu achten. Der Wind weht durch das Fenster und blies mir die Schweißperlen von der Stirn. Dieses erfrischende Gefühl hatte ich vermisst, einfach fahren ohne irgendwelche Verpflichtungen...
„Jetzt kennst du meinen Nachnamen... Jetzt bist du dran.", sagte Xerxes völlig aus dem Nichts.
„Was sagst du? Ich höre dich nicht der Wind ist soo laut!", lügte ich ohne rot zu werden.
„Ich will wissen -"
„Immer noch nicht...!"
„Dein Nachname!", schrie Break in mein Ohr.
„Schon gut, schon gut. Barma..."
Kreidebleich guckte Xerxes mich ungläubig an. Aus meinen Augenwinkel erkannte ich, dass er kein Wort rauskriegt, sondern mich mit offenen Mund anstarrte und das mehrerer Minuten. „Barma..? Wie die reiche Familie Barme? " Nach einiger Zeit hatte er anscheinend die Funktion seiner Stimmbänder wiedergefunden.
Eigentlich dachte ich darüber nach ihn einfach mit dieser Frage sitzen zu lassen, als ich mir jedoch doch ein Herz fasste:„Ja... Aber ich lege keinen Wert auf sowas.. ", brummte ich mit abgewandten Blick. Ich dachte nicht oft an meinen Eltern zurück. Und wenn es so war, kamen mir zuerst nur schlechte Bilder in meinem Kopf. Mein Blick wanderte zu Xerxes, welcher an seinem Gurt rumspielte. Anscheinend spürte er, dass ich ihn beobachtet hatte, da er prompt in mein Gesicht starrte. Seine eindringlichen roten Augen durchbohrten mich, als hätte er versucht, meine Gedanken zu lesen. Break brachte kein Wort heraus. Trotzdem wusste ich, was er in diesem Moment von mir wollte, und ich konzentrierte mich wieder auf die Straße.
Wie eine lange graue Schlange war vor uns die Straße. Kaum ein Baum oder ein Strauch verzierte diese. Sie war einfach nur leer... Vielleicht kam es nur mir so vor, aber selbst Autos passierten uns selten.
„Ich hasse den Sommer...", hatte ich geflucht... Diese Worte hatte ich meinen Großeltern skrupellos an den Kopf geschmissen, als sie mich mit an den Strand nehmen wollten. Dauerhafte Hitze, schlaflose Nächte und soziale Kontakte verabscheute ich sogar jetzt noch. Ich erinnerte mich nur teilweise an diesen Sommer. Eigentlich kam es mir eher wie eine Ewigkeit vor, die in Abständen an mir vorbei zog.

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Es tut mir leid, dass ich das Kapitel erst jetzt veröffentlichen konnte... Ich hatte ein bisschen Stress und ich arbeite schon an meiner nächsten Geschichte.

Die letzten Tage des Sommers Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt