Für mich waren es nur wenige Minuten, die ich im Meer stand, doch eigentlich befand ich mich über eine Stunde im kühlen Wasser. Während ich völlig apathisch in die Ferne starrte, hatte Xerxes den Strand für sich eingenommen. Er hockte entspannt im Sand und ließ den Wind seine Kleidung trocknen. Nebenbei erledigte die Sonne ähnliche Aufgaben. Mit jedem kleinen Lüftchen tanzten meine Haare Richtung Meer in den unendlich-scheinenden Horizont. Vielleicht wollte diese Naturgewalt mir etwas sagen wie; „Lauf fort und komm nie wieder zurück."
Ein kleiner Kieselstein im Wasser schnappte sich meine Aufmerksamkeit. Ich griff tief ins kühle Nass; meine Fingerspitzen griffen etwas unbeholfen nach dem Stein. So rutschte dieser mir eins-zweimal durch die Finger. Ich holte ihn aus der Wasseroberfläche und hielt ihn in die Sonne. Durch die Berührung der Sonnenstrahlen erstrahlte der winzige Kiesel in den schönsten Farben. Es war nichts Besonderes, trotzdem zauberte es mir ein Lächeln ins Gesicht. Manchmal waren es die kleinen Dinge, die mir Freude bereiteten. Die Freude war nur von kurzer Dauer und ich entließ den Stein zurück ins Wasser, als wäre er wertlos gewesen. Dann bewegte ich mich langsam zurück zur Küste, ließ jegliche Sehnsucht nach Freiheit hinter mich.
Meine Hosenbeine, die ich zuvor hochgekrempelt hatte, litten unter den Wellen des Meeres. Sie wurden etwas nass, aber das störte mich sonderlich wenig. Deswegen folgte ich weiter meinen Weg aus dem Wasser, bis meine Füße den sandigen Boden berührten. Hitze stieg sofort wieder auf aufgrund der hohen Temperaturen. Dennoch ignorierte ich den heißen Sand und platzierte mich neben meinen Reisegefährten, ohne ein Wort zu verlieren. Break blickte kurz auf, wobei das nur einen kurzen Moment andauerte. Seine Hände vergruben sich im Sand, wohlmöglich suchte er Erleichterung vor den heißen Temperaturen. Zwar konnte ich ihn nur aus dem Augenwinkel sehen, aber ich sah, wie sich das blaue Meer in seinen roten Augen spiegelte. Dieser Kontrast wird mir wohl ewig im Kopf bleiben.
„Schön oder?", fragte der Weißhaare frei raus
„Was? Das Meer?"
„Was sonst... Du scheinst heute nicht ganz bei der Sache.", erkannte er mühelos. Ich wusste, dass er Recht hatte, deswegen widersprach ich ihm nicht. Anscheinend brachte mich der Anblick der Wassermassen völlig aus dem Konzept; ich konnte meinen Blick gar nicht abwenden. Die unendlich ballenden Wellen; die am Himmel kreisenden Möwen; das musste der Himmel selbst sein oder die Hölle. Ich selbst glaubte nicht, an sowas wie Himmel und Hölle und trotzdem kam mir dieser Gedanke zuerst in den Kopf.
Einige Minuten waren verstrichen und ich sprach: „Ich glaube, ich habe schon eine Idee, wo wir die Skulpturen finden könnten." An Xerxes' Gesichtsausdruck merkte ich, dass er anscheinend vergessen hatte, weswegen wir unterwegs waren. Wir wollten, an Land gespülte Fragmente der Vergangenheit begutachten, beziehungsweise inspizieren. Deshalb stützte ich mich hoch, während mein Arm mich unterstützte beim Abstützen vom Boden. Natürlich folgte mich Break ohne Widerworte entlang der Küste.
Es war unglaublich, wie sehr sich die Küstenlandschaft wandelte, was mich ein bisschen an die Lebensabschnitte eines Menschen erinnerte. Am Anfang verweilte dort eine kleine kahle Stelle des Strandes; keine Pflanzen und keine Tiere weit und breit. Für mich stellte dies den Beginn des Lebens da. Man war völlig unbefleckt von jeglichen Geschehnissen und verstand nicht viel vom Leben und anderen Organismen. Auf diesen Teil der Landschaft folgte einer, wo kleine Büsche sprießten mit kleinen feinen grünen Blättern. Das verdeutlichte einfach nochmal die Entwicklung. Die Abschnitte, die mir wirklich ins Auge fielen, waren der dicht bewucherte kleine Wald links von der Küste und der Abschnitt, indem alle Pflanzen der Hitze und der Sonne unterlagen. Ausnahmsweise musste ich nicht lange nachdenken, um eine Interpretation zu finden. Der Wald versinnbildlichte den Höhepunkt des Lebens, überall wuchsen Pflanzen wie Bäume und sogar Blumen. Sogar Tiere waren nicht abgeneigt, in diesem Dickicht ihre Behausungen zu errichten; es herrschte das Gefühl von Glückseligkeit und Unruhe. Doch diese Unruhe war nicht negativ behaftet, im Gegenteil, sie hatte etwas unbeschreiblich Erleichterndes an sich. Der letzte Abschnitt der Küste zeigte das langsame Verkümmern jeglicher Fähigkeit zu leben. Manche Lebewesen erreichten diese Phase früher als manch Andere; und Einige einfach zu früh. Eigentlich hätte ich mich wieder unwohl fühlen sollen, jedoch spürte ich gar nichts. Ich sah einfach nur dieses Bild vor meinen Augen mit den vertrockneten Bäumen und Büschen und einigen gestrandeten toten Fischen.
Den gesamten Weg über kam kein Wort über Break's Lippen. Seit wir an diesem Ort ankamen, hatte ich das Gefühl, dass wir auseinander drifteten.
Ich ignorierte meine Gedanken, als wir endlich eine Skulptur gefunden hatten. Aufgrund der Reise durch das Salzwasser hat diese große, aber dennoch schöne, Figur Schaden erlitten; das war nicht zu verleugnen. Ich begutachtete sie genau und hockte mich in den Sand.
„Die Skulptur ist hübsch oder?", fragte ich erstaunt. Mein Reisegefährte stimmte mir nickend zu, er positionierte sich neben mir mit großen Augen.
„Wo kommt die bloß her?"
„Wahrscheinlich aus einem Museum.", erklärte ich. Man musste wissen, dass durch das Schmelzen der Polkappen viele Landschaften mitsamt den Städten überschemmt waren. Aus diesem Grund war es kein Wunder, was man alles im Wasser finden konnte.
Nachdenklich murmelt ich vor mir hin: „ Sieht aus wie eine Frau..."
„Ob Mann oder Frau interessiert doch nicht, solange es hübsch ist.", unterbrach Xerxes meine Gedanken.
Erneut war ich verblüfft über seine weise Aussage, aber ich teilte seine Meinung.
Ich saß noch eine ganze Weile neben meiner Entdeckung und ich fertigte sogar Skizzen an. Währenddessen dachte ich über ein neues Reiseziel nach, schließlich wollte ich heute noch abreisen.
Meine Augen umkreisten die Konturen der Skulptur wie ein Wachhund. Ich konnte sie einfach nicht abwenden, vielleicht versuchte ich es auch gar nicht erst. Schönheit war vergänglich in jeder Hinsicht; Andererseits würde es keine Schönheit geben.
In meinem Kopf spielten sich Bilderbücher von Erinnerungen ab. Mit Sicherheit war ich nicht die einzige Person, der es so erging. Die Reise war ziellos, aber nicht für immer, sondern vergänglich. Genau deswegen konnte ich nicht aufhören und musste von Ort zu Ort.
Sobald die Sonne aufging, und sich von der Umarmung des Horizontes löste, sollten wir unsere Reise fortsetzen.
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Vielen Dank für das Lesen und ich hoffe, es gefällt euch!
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Die letzten Tage des Sommers
Fanfiction„Schon seit ich klein war, hasste ich es an einem Ort gebunden zu sein. Ich will frei sein und die Welt erkunden. Auch mit 26 Jahren bereiste ich die Flecke dieser Welt, an die noch kaum ein Mensch seinen Fuß gesetzt hatte. Plötzlich nahm mein kümme...