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,,Kann ich dich mal was fragen?", fragte ich meine Mutter, während sie schon in eile war, da sie schlafen gehen musste. ,,Ja, aber beeil dich bitte." - ,,Kommt unser Name aus der USA?" Meine Mutter sah mich verwirrt an: ,,Wie kommst du jetzt darauf? Ich weiß es nicht, frag deinen Vater." Danach ging sie auch schon hoch. Ich verdrehte meine Augen. Ich fragte mich, wann meine Eltern und ich das letzte Mal vernünftig zusammen gesprochen hatten.

Mein Bruder unterbrach mich, als ich gerade meinen Teller wegbringen wollte: ,,Hast du noch ein paar Schuhe für mich? Meine sind kaputt gegangen." Ich lief zum Schuhschrank und gab ihm meine alten Schuhe, die ich nicht mehr trug: ,,Wohin geht's?" - ,,Nach Hause. Wir sehen uns am Sonntag wieder, okay?" Mike umarmte mich kurz, nahm meine Schuhe und zog sie schnell an, bevor er aus der Tür verschwand.

Mike hatte einen anderen Vater als ich. Er hieß Jürgen und bei ihm wohnte er hauptsächlich. Doch mein Bruder kam uns öfters besuchen. Jürgen selbst hatte ich noch nie gesehen. Meine Mom trennte sich von ihm als Mike ein Jahr alt war. Ein Jahr später kam ich zur Welt, da meine Mutter sich ein Kind gewünscht hatte, das bei ihr wohnt.

Ich brachte meinen Teller in die Küche. Ich wollte gerne wissen, wo meine Verwandten lebten. Ob es ihnen gut ging und warum wir keinen Kontakt mehr zu ihnen hatten. Aber ich hatte irgendwie nicht das Gefühl, als würde mir mein Vater mehr dazu sagen, als meine Mutter. Seufzend warf ich mich im Wohnzimmer auf die Couch und schaltete den Fernseher ein, bis plötzlich mein Vater vor dem Bildschirm stand: ,,Ich habe hier was, das lag im Mülleimer." - ,,Ich habe mich schon für diesen Kurs angemeldet, Dad. Keine Sorge", entgegnete ich ihm sofort.

Er sah mich prüfend an, weil er in meinem Blick erkennen wollte, ob ich lüge oder nicht. Als er sich dann doch sicher war, dass ich die Wahrheit sagte, setzte er sich neben mich: ,,Mathe ist wichtig", sagte er, während sein Blick auf dem Fernseher ruhte. ,,Müssen wir jetzt wirklich schon wieder darüber reden?" Mein Vater schüttelte kurz den Kopf und drückte sich dann von der Couchlehne ab, um schlussendlich aufzustehen. Er kratzte sich kurz die Nase und sagte dann leise, aber doch noch laut genug, sodass es jemand in der Küche hätte hören können: ,,Du hast recht, wir reden viel zu häufig darüber. Ich sollte schlafen gehen, du aber auch. Gute Nacht." Schon wollte der ältere Mann aus dem Raum gehen, doch ich sprang über meinen Schatten und hielt ihn auf: ,,Können wir über unsere Familie reden? Oma, Opa, ganzen Onkel?" Er blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um, bevor er anfing zu sprechen: ,,Ich habe jetzt keine Zeit darüber zu sprechen, Max. Gute Nacht." Dann ließ ich ihn nach oben gehen.

Kurz hatte ich die Hoffnung, er würde mit mir reden, doch natürlich wurde ich mal wieder enttäuscht. Wieso möchte niemand mit mir darüber reden? Steckt da vielleicht doch mehr hinter? Nein, was rede ich da. Was soll schon sein?

-

Heute war Donnerstag, das hieß, dass der Nachhilfe-Kurs heute stattfinden würde und das bei einem Lehrer den ich nicht leiden konnte. Trotzdem musste ich meine Mathe Leistungen verbessern und das am besten so schnell wie möglich. Sven war heute wie angekündigt nicht da, deshalb saß ich wie meistens auch, alleine in der Cafeteria.

Ich biss in mein Sandwich und beobachtete die Leute. Alle hatten ihren eigenen Stammtisch: Die Basketballer, die Streber, die oberflächlichen Mädchen, die Jungs, die sich besser als alle anderen fühlten und die Außenseiter. Dort saß ich aber nicht. Ich war schlau genug, um mich nicht mit den Außenseitern gleich zu stellen. Andererseits ist das Ansichtssache. Man könnte es auch so sehen, dass ich der Außenseiter von den Außenseitern bin.

Meine Gedanken wurden durch eine Person unterbrochen, die sich gegenüber von mir setzte. Zu meiner Verwunderung war es ein Mädchen, mit dem ich wohl am wenigsten gerechnet hatte. Obwohl ich zugegebenermaßen mit niemandem gerechnet hatte: ,,Darf ich hier sitzen?", fragte Lina, setzte sich dabei aber schon hin.

Ich ersparte mir also ein nicken und schaute auf meinen leeren Teller. Svens Vermutung, oder eher gesagt Feststellung, ging mir durch den Kopf. Wie lange sie wohl schon schwanger war? ,,Wie geht es dir?", fragte ich, um zum einen die Stille zu brechen, aber hauptsächlich, weil es mich wirklich interessierte. ,,Gut, warum?" - ,,Nur so, darf ich nicht fragen?" Lina ignorierte meine Frage und aß fleißig weiter. Ich überlegte, ob es unhöflich wäre, aufzustehen, oder ob ich es tun sollte. Also starrte ich weiter auf die restlichen Krümmel, die auf meinem Teller lagen. Irgendwie war es für mich unangenehm, dass sie gegenüber von mir saß. Ich saß wohl doch lieber alleine, wenn Sven nicht da war, aber das konnte ich ihr nun schlecht sagen.

Ich fuhr mir nervös durch die Haare, bevor ich dann doch aufstehen wollte. Doch dann sah ich zu Lina, die traurig auf den Boden schaute und dabei langsam kaute. Ich löste meinen Griff wieder: ,,Kann ich dir irgendwie helfen?" Lina schüttelte ihren Kopf. Diesmal war sie es, die ihren Teller nahm: ,,Entschuldigung", war ihr letztes Wort, bevor sie aufstand und weg ging. Ich sah ihr noch verblüfft nach, wollte sie zurück rufen, doch ich tat es nicht.

Vielleicht war ihr wieder schlecht. Ich redete mir ein, dass ich nichts hätte tun können, doch auf den Weg in die fünfte Stunde plagten mich meine Schuldgefühle. Ich hätte ihr hinterher gehen sollen. Enttäuscht über mich ließ ich mich in den Stuhl der letzten Reihe fallen und suchte Lina in der dritten Reihe, doch sie war nicht mehr da. Ich hätte es verhindern können, dass sie geht. Zumindest hätte ich es versuchen können.

Ich dachte noch nie ganze Stunde darüber nach, bevor es plötzlich klingelte und ich so langsam wie möglich aufstand, um zu gehen. Ich hatte jetzt lieber noch eine Stunde Physik als Nachhilfe bei Herrn Mattson. Leider konnte ich diesen kurz nicht vermeiden, außer ich würde mich krank stellen, aber das war nun wirklich viel zu auffällig.

Ich betrat den besagten Raum und sah auch schon Lea in der ersten Reihe sitzen. War ja klar, dass sie als erstes hier sein würde. Genervt über ihre Anwesenheit lief ich zur letzten Reihe und setzte mich auf einen freien Stuhl. Es verblieben noch ganze vier Minuten, bevor Herr Mattson rein kommen würde und begann.

Ich starrte auf den Sekundenzeiger, den ich in dem Moment nur allzu gerne gestoppt hätte. Doch er bewegte sich weiter im Kreis, vier Minuten lang, bevor die Tür des Klassenzimmers aufging. Es kamen fünf Schüler herein, die ich nur vom flüchtigen Sehen im Schulflur kannte. Hinter ihnen lief Herr Mattson, der die Tür hinter sich schloss und sich vor das Lehrerpult stellte. Er verschränkte seine Hände ineinander und meiner Meinung nach, sah er ziemlich fertig aus. Er biss sich auf die Unterlippe, während sein Blick durch die Reihen ging.

Als der braunhaarige uns alle kurz angesehen hatte, sagte er kurz: ,,Schön, dass ihr alle wieder hier seid und schön, dass du auch da bist, Maximilian." Schon war es mir wieder egal, was mit ihm los war, warum er so fertig aussah. ,,Wie wäre es, wenn du deine Sachen mal herausholen würdest?", hing er noch hinten dran. Warum hatte er so schlechte Laune plötzlich? Um ihn nicht noch mehr zu verärgern, legte ich also meine Mathesachen auf den Tisch. Herr Mattson nickte kurz und begann mit dem Nachhilfeunterricht.

Er fragte uns, was wir nicht verstehen würden und am liebsten hätte ich mit 'Alles' geantwortet. Aber ich wusste, dass ihm das nicht gefallen würde. Ich versuchte so gut es ging mit zu machen, obwohl Lea eigentlich schon alles sofort beantwortete. In einer Zeit, in der ich nicht mal über die Frage nachdenken konnte. Unser Mathelehrer verhielt sich meiner Meinung nach trotzdem anders als vorher. Und das bekam ich auch deutlich zu spüren: ,,Maximilian. Denk jetzt mal bitte mehr an Mathe, als an andere Dinge." - ,,Könnten Sie bitte aufhören Ihre schlechte Laune an mir auszulassen?", fragte ich etwas zu genervt. Herr Mattson blieb stumm, sah nur auf das helle Holz des Lehrerpults.

Dann sah er plötzlich auf die Uhr und murmelte: ,,Ihr könnt gehen." Alle packten ihre Sachen zusammen und liefen, ohne ein Wort zu sagen, raus. Was für eine dramatische Situation. Auch ich war schon dabei raus zu gehen, doch ich entschied mich noch einmal umzudrehen: ,,Ehm.. Entschuldigung." Herr Mattson sah mich nicht als, als er: ,,Schon gut, hast ja recht", entgegnete. Ich hatte das Bedürfnis ihn zu fragen, warum er so schlecht drauf war. Doch ich ließ es.

Es ging mich nun wirklich nichts an. ,,Ist noch etwas?", fragte mein Mathelehrer plötzlich und diesmal sah er sogar hoch. Ich wurde rot. ,,Nein, ehm.. Ich wollte jetzt gehen.." Kurz bevor ich mich von ihm weg drehte, sah ich, dass sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen geschlichen hatte. Ich presste meine Lippen aufeinander und verließ den Raum. Und das musste ich ab jetzt also jede Woche überleben.

My Teacher. (boyxman) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt