Mauer des Schweigens

Todestag

Sie erheben sich von ihren Stühlen, bis auf sie. Eine Mauer des Schweigens wird errichtet.

Man hört nichts. Keinen Atem, kein Herzklopfen, kein rauschendes Blut. Wie Leichen stehen alle im Raum und betrachten die Göttin. Sie warten alle auf den Schicksalsschlag.

"Der Gerichtshof hat für Recht erkannt und entschieden" Die kühle Stimme hallt im Saal. Daraufhin tippt der Protokollant das Gesprochene ein. Dann herrscht wieder Stille. Lange genug um sich die Haare zu raufen, um sich die Lippen blutig zu kauen und um ihm einen Blick zu werfen.

Plötzlich, nach dem die Richterin ihre Entscheidung kundtat, entsteht ein Wirrwarr von Stimmen. Jeder schreit, manche aus Freude, manche aus Trauer. Der Anwalt grinst selbstsicher und sieht den Beklagten an. Dieser steht weiterhin wie eine Leiche im Saal. Während die anderen im Saal leben, schreien, lachen, bleibt er tot.

Die Worte "lebenslange Freiheitsstrafe" haben ihm das Rückgrat gebrochen. Blut sammelt sich in seinem Oberkörper an. Seine Lungen ertrinken langsam darin und können nicht mehr nach Luft schnappen. Das Blut steigt schleppend zur Kehle, breitet sich im Rachenraum aus und verlässt schließlich durch den Mund den trostlosen Körper. Mit letzter Kraft hebt er den rechten Arm und berührt sachte sein taubes Gesicht. Er stellt fest, dass dieser kalt und pitschnass ist. Mit seiner schlaffen Zunge tastet er seine Lippen und schmeckt, dass die Flüssigkeit salzig ist. Dann lässt er den Arm fallen. Blut wünscht er sich aber, keine langen Tränen, die anderen seinen erbärmlichen Zustand noch mehr verdeutlichen.

Er dreht sich um und erblickt ihre Augen. Rot umrandet ist das Blau ihrer Iris. Ihre Haare sind zerzaust und passend zu seinem Todestag trägt sie schwarz. Ob sie davon wusste? Je länger er ihr in die Augen sieht, desto schwächer wird der Wille sie zu verraten. Unschuld und Liebe verbergen sich in ihnen, doch sie sind die Augen des wahren Mörders.

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