➵Wie jedes Jahr

336 11 0
                                    

"Hey Frühaufsteherin."
Mein Blick schnellte hinter mich. Von meinem ganzen Training war ich zwar sehr wachsam geworden, hatte aber meine beste Freundin nicht kommen hören.
"Morgen.", murmelte ich gespielt beleidigt über den neuen, von den vielen, Spitznamen. Ayla musste schmunzeln und stellte sich neben mich, ehe sie aufs Meer starrte.
Kurz schielte ich noch zu der Schwarzhaarigen rüber. 
Ihre rabenschwarzen Haare fielen ihr in leichten, sanften Locken über die Schultern und sie hatte ein leichtes Lächeln auf ihren zartrosanen Lippen. Seit wir uns kennengelernt hatten, hatte sich sehr viel geändert für sie und ihre Geschwister Haley (sie war 20 und besass genau die gleichen, schwarzen Haare & die grünen Augen wie Ayla) und ihren kleinen Bruder Yoshua (er dagegen hatte dunkelbraune Haare & war erst 10 Jahre alt). Haley hatte eine gute Arbeit auf dem Markt bekommen und daher konnten sich die drei Geschwister sogar ein kleines Haus ausserhalb des Saums leisten.
Seit daher sah ich Ayla viel glücklicher und entspannter. Am Anfang war sie immer komplett unsicher & ängstlich gewesen, aber nun scheint sie viel stärker zu sein.
Mein Blick schweifte nun also auch wieder zum Horizont des Meeres und einige Zeit standen wir nur schweigend da.

"Morgen ist die zweitletzte Möglichkeit..", sagte nun Ayla und sah mich mit ihren smaragdgrünen Augen von der Seite an. Natürlich hatte ich auch ihr von dieser Sache mit den Hungerspielen erzählt.
Ich antwortete nicht und starrte bloss in die helllblauen Wellen. Meine roten Haare wehten mir leicht ins Gesicht, weshalb ich sie leicht genervt wegstrich.
"Hör zu, vielleicht meinte das Kapitol das gar nicht ernst. Vielleicht habt ihr euch für gar nichts Sorgen gemacht. Sie wollten euch vielleicht wirklich bloss einschüchtern oder so."
Ich musste mich beherrschen sie nicht einfach anzubrüllen, dass so  das mit Sicherheit Kapitol nicht war. Sie machten keine leeren Bedrohungen oder Versprechen.
Ich wollte sie aber nicht anschreien, sie war mir zu wichtig in meinem Leben.
"Das glaub ich nicht.", nuschelte ich und schüttelte den Kopf.
Ayla seufzte leise und griff nach meiner Hand. Wie immer war meine eiskalt, ob es nun Sommer oder Winter war, aber ihre hingegen war warm und angenehm.
Sie lächelte mich aufmunternd an und ich konnte nicht anders als auch zu lächeln.

"Ich werde nicht die Mentorin für die diesjährigen Tribute sein können!" Annie's Stimme war durch das ganze Haus zu hören, als ich die Tür hinter mir schloss, ehe ich eingetreten war.
Ich legte meine schwarze Jacke an die Garderobe und zog die Augenbrauen hoch. 
Jedes Jahr das Gleiche.
Versteht mich nicht falsch; ich mochte Annie sehr, aber sie war halt genau so stur wie ich und Finnick. Und bei ihr waren es die Spiele, wo man ihre Sturheit am meisten bemerkte.
Ich trat ins Wohnzimmer, in welchem mein Bruder und seine feste Freundin auf dem Sofa sass, sie mit Tränen in den Augen. "Ist okay, Annie.", flüsterte Finnick sanft und strich ihr über die Wange.
Auch das war jedes Jahr das gleiche Szenario.
"Morgen.", murmelte ich nun und ging Richtung Kühlschrank. Erst jetzt schienen mich die zwei zu bemerken, weshalb sie etwas überrascht hochblickten. "Guten Morgen.", kam es von Beiden freundlich. Jedoch bemerkte ich die Anspannung in Finnick's Stimme und die Angst in Annie's. Wie jedes Jahr vor den Spielen.
Ich strich mir meine roten Haare aus dem Gesicht und machte mir dann Müsli, welches ich dann auf dem Sessel bei den zwei anfing zu essen.
"Wo warst du heute morgen?", fragte nun Annie und man merkte wie sie die unangenehme Stille durchbrechen wollte.
"Am Meer.", sagte ich knapp, daraufhin sah Finnick zu Boden und runzelte die Stirn.
"Mely, ich-"
"Ist okay, Finnick. Ich weiss." Mein Blick glitt nun auch zu Boden.
Ich liebte meinen Bruder über alles und war ihm unendlich dankbar. Er nahm so viel auf sich, nur damit ich überleben werde. Ich glaubte zu wissen dass nicht jeder Bruder so war.

In dieser Nacht konnte ich wie immer nicht schlafen. Ich hatte den ganzen Tag trainiert und meine Füsse taten etwas weh von dem vielen Laufen.
Dies war aber nicht der einzige Grund weshalb ich nicht schlafen konnte.
Morgen war die Ernte. Oder schon heute, naja je nach dem wie viel Uhr es war.
Im Dunkeln setzte ich mich in meinem bequemen Bett auf und atmete tief durch.
Mir kam der absurde Gedanke, dass Ayla Recht hatte. Was, wenn das Kapitol all das nicht ernst gemeint hatte? Was, wenn ich für gar nichts Nächte um Nächte nicht schlafen konnte? Was, wenn es für meine Angst für gar keinen Grund gab?
Ich darf so nicht denken.
Vorsichtig stand ich von meinem Bett auf und tapste durch mein grosses Zimmer zum Fenster.
Ich hatte um das Zimmer mit dem gemütlichen, gepolsterten Fensterbank gekämpft und zuletzt auch bekommen. Ein Grinsen umspielte kurz meine Lippen als ich daran zurückdachte und setzte mich dann auf den Fensterbank.
Ich lehnte meinen Kopf an die Fensterscheibe und sah zum Zentrum unseres Distriktes, wo noch einige Lichter brannten und dann zum Meer, worin sich der Mond mystisch darin spiegelte.

Ich sass lange Zeit einfach nur da und hing meinen Gedanken nach, bis ich schliesslich von einem Schrei aus meinen Gedanken gerissen wurde...

Melody Odair - 73. Hungerspiele Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt